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Angstfrei gebären trotz Sprachbarriere

Biel Für fremdsprachige Frauen in der Schweiz sind Schwangerschaft und Geburt mit Hürden behaftet.
Der Verein Mamamundo bietet deshalb auch in Biel Geburtsvorbereitungskurse mit Übersetzung an.

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Vanessa Naef

Ist diese Schwangerschaftsbeschwerde geläufig oder gefährlich? Welche Atemtechnik hilft in den Wehen? Antworten auf solche Fragen holen sich viele schwangere Frauen in einem Geburtsvorbereitungskurs. Schwierig ist das für Migrantinnen, die keine Landessprache sprechen – sie können deshalb kaum einen solchen Kurs absolvieren. Das Konzept der Geburtsvorbereitung ist zudem in ihren Herkunftsländern nicht verbreitet. Doch für viele schwangere Migrantinnen stellen sich ebenfalls Fragen zu den Veränderungen ihres Körpers während der Schwangerschaft und Sorgen
bezüglich des Wohlergehens des Kindes.

Das sagt die Bieler Dolmetscherin Sanja Karthigesu, die für schwangere Tamilinnen übersetzt. Sie engagiert sich beim Verein Mamamundo, der Geburtsvorbereitung in zahlreichen Sprachen anbietet, so unter anderem seit fünf Jahren in Biel. Sie steht den Frauen zur Seite, wenn sie die Mamamundo-Geburtsvorbereitung bei Karin Lüthi besuchen. Lüthi ist hauptberuflich Spitalhebamme. 14 Sprachen sind in Biel derzeit buchbar, häufig besucht sind Tigrinya, Arabisch und Spanisch.

Viele Einflüsse auf die Geburt

Zwei Hebammen gründeten das Angebot vor elf Jahren, als sie merkten, dass es bei ihrer Arbeit immer wieder zu Verständigungsproblemen komme und diese zusätzlich Ängste auslösten. Und beim Gesundheitspersonal wiederum Stress, so die Gründerinnen. Das Ziel des Vereins: Möglichst allen Frauen die gleiche Chance auf eine Geburtsvorbereitung zu geben, die Angst und Stress reduziert und die Frauen bestärkt. Dies, indem ihnen zum Beispiel Wissen rund um Anatomie, Entspannungstechniken und das Schweizer Gesundheitssystem vermittelt wird.

Wie, wo, und in welcher Position eine Frau gebärt, ist kulturell unterschiedlich. Bei Hausgeburten bewegen sich die Frauen in vielen Ländern. In Spitälern hingegen war lange üblich, im Liegen zu gebären. In hiesigen Spitälern wird heutzutage aber wieder vermehrt Bewegung gefördert. Kulturell geprägt ist auch die Frage, was mit der Plazenta geschieht, oder wer bei der Geburt dabei ist. Vielerorts sind es Tanten oder Grossmütter, die den Gebärenden ihr Wissen überliefern. Nicht nur die Kultur, sondern auch die Lebensumstände, beispielsweise ob jemand in der Stadt oder auf dem Land wohnt, hätten einen Einfluss auf die Geburt, sagt Priyani Ferdinando, Geschäftsleiterin von Mamamundo.

Migrantinnen und sozial benachteiligte Frauen und deren Babies seien rund um die Geburt von mehr Komplikationen betroffen, sagt Karin Lüthi. Für die Schwangerschaft spielt es zum Beispiel eine Rolle, welche Gesundheitsversorgung eine Frau vor und während der Migration erhalten hat. Das Risiko, Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln, ist bei Migrantinnen erhöht. Manchen fehlt Wissen über Ernährung, und wie man damit Schwangerschaftsdiabetes vorbeugen kann. Auch die Migration selbst könne Problematiken mit sich bringen, sagt Priyani Ferdinando. Es gibt Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Zudem kann die Migration und Flucht seelische und psychische Spuren hinterlassen. In der Schweiz wiederum verändert sich die soziale Stellung der betroffenen Frauen. Häufig fänden sie sich in einer neuen Rolle wieder und seien isoliert, berichtet Lüthi.

So kommen die Kursteilnehmerinnen mit Wurzeln in Sri Lanka mit zahlreichen Fragen zur interkulturellen Dolmetscherin Sanja Karthigesu, besonders häufig rund um Ernährung und Bewegung.

Über den Körper lernen

Einige fragen sich, ob sie beispielsweise Ananas essen dürfen, weil sie befürchten, dies könne dem Baby schaden oder zum Verlust des Fötus führen. Das hängt mit der Ayurveda-Lehre zusammen. Oder sie sind unsicher, wie viel man sich während der ganzen Schwangerschaft bewegen darf. Viele Kulturen würden unterschiedliche Vorstellungen mitbringen, nicht nur die Frauen aus Sri Lanka, sagt Sanja Karthigesu. Sie betont, dass auch in der Schweiz Hebammen oder Ärzte nicht immer einheitliche Ansichten verträten.

Viele Frauen seien nicht ausreichend aufgeklärt worden und deshalb interessiert daran, mehr über ihren Körper zu lernen, sagt Karthigesu. Die Sexualität gehört in ihrer Heimat kulturell oder religiös bedingt zur Privatsphäre. Für eine Geburt sei es aber wichtig, sich mit Becken und Beckenboden auseinanderzusetzen, so Karthigesu. Am Anfang des Kurses werden die Teilnehmerinnen gefragt, ob sie ihre Männer dabei haben möchten. Meistens wünschen die Frauen, unter sich zu bleiben. Nach den Gründen fragen die Kursleiterinnen nicht. Manche Männer seien gemäss Karthigesu nicht bereit, in einer Gruppe mit schwangeren Frauen über intime Sachen zu sprechen oder Bilder der weiblichen Anatomie zu sehen. Bei der jungen Generation gäbe es aber einen Wandel, so die Dolmetscherin.

Bei der Arbeit der Dolmetscherin geht es nicht nur um die wörtliche Übersetzung, sondern auch darum, dass sie zwischen Kursteilnehmerinnen und Hebamme vermittelt, Letzterer erklärt, welche Tabus oder Vorstellungen in der Kultur der Klientin vorherrschen. Auch ausserhalb des Kurses tauchen bei den Mamamundo-Klientinnen viele Fragen auf, etwa betreffend Krankenkasse oder wo man etwas einkaufen kann. Dafür nimmt sich die Bieler Dolmetscherin Zeit.

Sanja Karthigesu sagt: «Wenn wir Schweizerinnen etwas nicht wissen, dann googeln wir es. Doch fremdsprachige Frauen können nicht einfach etwas auf Türkisch oder Tamilisch suchen. Wenn sie das tun, erhalten sie Antworten, die sich auf die Türkei oder Sri Lanka beziehen.» Oft hat sie mit Frauen zu tun, die wegen einer Heirat sehr jung in die Schweiz kommen. Sie will ihnen, die hier fast niemanden haben, helfen. «Wenn ich das bloss früher gewusst hätte!», haben ihr schon Frauen rückgemeldet, die bereits in ihrer Heimat Mutter wurden, und nun hier einen Kurs besucht haben.

Schwierige Suche

Doch wie finden die Klientinnen überhaupt zu den übersetzten Kursen? Einfach sei es nicht, sagen die drei. In Biel kooperieren sie mit dem Spitalzentrum. Meistens sind es Hebammen, die die Schwangeren anmelden. Mit Gynäkologinnen möchte sich der Verein noch besser vernetzen, sagt Karin Lüthi. Kürzlich haben sie eine Anerkennung aus dieser Richtung erhalten: Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) hat dem Verein einen Qualitätspreis verliehen. Im Austausch ist der Verein auch mit der Stadt, Sozialdiensten und weiteren sozialen Institutionen.

Der Kurs kostet abhängig vom Einkommen zwischen 210 und 350 Franken, wobei 150 Franken von der Krankenkasse abgedeckt werden. Der Preis sei bewusst tief, auch wenn die Ausgaben so nicht gedeckt werden können (siehe Infobox). «Wäre es kostendeckend, hätten die Frauen wiederum keinen Zugang», sagt Karin Lüthi. Die Geschäftsleiterin ergänzt: «Wir setzen alles daran, dass die Frauen zu uns kommen können.»

Doch eigentlich sei dies ein systemisches Problem. Die Frauen müssten auf einen solchen Kurs so selbstverständlich hingewiesen werden, wie auf Schwangerschaftskontrollen, so Ferdinando.

Karin Lüthi freut es, wenn die Frauen am Ende ein besseres Vertrauen in sich und ihren Körper gewinnen. Das sieht sie, wenn sie Geburten begleitet oder Rückmeldungen von Hebammen erhält, die Mamamundo-Klientinnen betreuen. Auch motiviert es sie, wenn im Kurs ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Schwangeren entsteht – unabhängig von der Sprache.

Karin Lüthi,
Hebamme und Kursleiterin Mamamundo

Verein Mamamundo

  • Die Kurse in Biel werden in 14 Sprachen angeboten: Albanisch, Amharisch, Arabisch, Englisch, Kurdisch, Tigrinya,
Tamilisch, Somali, Farsi, Tibetisch, Spanisch, Portugiesisch, Ukrainisch und Russisch.
  • Jeweils zwei bis drei Dolmetscherinnen unterschiedlicher Sprachen begleiten denselben Kurs.
  • Letztes Jahr wurden in Biel sechs Kurse und vier Kurzmodule mit 30 Teilnehmerinnen durchgeführt.
  • Mamamundo wird finanziell unterstützt vom Kanton Bern und der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, sowie Privatspenden und Stiftungen.
  • Der Verein wurde im Mai mit dem Preis «Innovation Qualité 2022» in der Kategorie Patientensicherheit der FMH ausgezeichnet. vna