Sie sind hier

Abo

Konjunktur

«Die Virus-Krise hat das Potenzial, eine Weltrezession auszulösen»

Ökonom Klaus Wellershoff äussert sich im Gespräch über die Fed-Zinssenkung, deren Auswirkungen auf die Schweizer Geldpolitik und den Spielraum, den die Nationalbank noch hat.

«Hier geht es um Leib und Leben und viel wichtigere Dinge als die Wirtschaft»: Ökonom Klaus Wellershoff. Bild: Flurin Bertschinger
  • Dossier

Angelika Gruber

Klaus Wellershoff, die US-Notenbank Fed hat überraschend die Zinsen gesenkt. Bringt dieser Schritt auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) unter Zugzwang?

Klaus Wellershoff: Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Ausgangsvoraussetzungen sind andere. Die US-Notenbank hat es nicht versäumt, gegen Ende des Zyklus die Zinsen anzuheben, und hat sich damit Spielraum geschaffen. Die SNB klebt seit fünf Jahren an den Negativzinsen und hat gan wenig Spielräume. Vielleicht kann sie etwas Symbolisches machen, aber eine wirkungsvolle Zinssenkung kann sie nicht durchführen.

Was würde ein symbolischer Zinsschritt bringen?

Im Moment ist viel Verunsicherung spürbar. Die Botschaft der Zentralbanken ist es, zu sagen: «Wir passen auf, wir begleiten. Wenn es ernsthafte Probleme zum Beispiel im Finanzsystem gäbe, wären wir da.» Das alles hilft, um die Unsicherheit zu verringern. Eine symbolische Zinssenkung würde auch ins Arsenal passen. Aber ob das irgendetwas bringt und signifikanten Einfluss haben kann, ist fraglich. Da müssen wir realistisch sein. Die SNB kann gar nicht so viel tun, weil der Ausgangspunkt schon bei einem Leitzins von minus 0,75 Prozent liegt – und nicht bei einem positiven Zins wie in den USA.

Welche Folgen hätte eine Zinssenkung?

Je tiefer die Zinsen sind, je weniger man bei den Obligationen an Ertrag erwarten kann und je unsicherer andere Anlagen wie Aktien sind, umso mehr werden Pensionskassen und Versicherer auf Immobilien setzen. Mittelfristig beschert uns das Probleme: Die richtig grossen konjunkturellen Krisen kommen fast jedes zweite Mal aus geplatzten Immobilienblasen. Insofern hätten wir die Chance, mit einer Zinssenkung die unmittelbaren Auswirkungen der Coronavirus-Krise zu dämpfen, aber wir würden uns damit ein erhebliches Systemstabilitätsrisiko einhandeln. Denn wenn es am Immobilienmarkt hakt, geht es in der Folge meist auch den Banken sehr schlecht.

Könnte die SNB mit einer Zinssenkung eine Rezession verhindern?

Die Coronavirus-Krise hat das Potenzial, eine Weltrezession auszulösen. Das würde uns in der Schweiz hart treffen, weil wir eine sehr exportorientierte Wirtschaft haben. Aber gegen die Einschränkungen und die Verunsicherung der Konsumenten kann Geldpolitik nicht viel ausrichten. Sie kann ein bisschen Unsicherheit reduzieren. Aber wenn die Zinsen ein halbes oder ein viertel Prozent tiefer sind, ändern wir unser Verhalten nicht direkt. Hier geht es um Leib und Leben und viel wichtigere Dinge als die Wirtschaft.

Was ist dann für die SNB überhaupt noch möglich?

Die SNB fühlt sich wahrscheinlich gezwungen, auf der Wechselkursseite noch wachsamer zu sein. Da sind die Spielräume noch grösser als bei den Zinsen. Sie hat auch in den vergangenen Wochen recht deutlich am Devisenmarkt interveniert, und ich denke, wir müssen davon ausgehen, dass sich das fortsetzen wird.

Hat die SNB bei Interventionen tatsächlich noch Spielraum? Die Bilanz ist schon riesig, und die Nationalbank riskiert damit, wieder auf die Watchlist der Amerikaner zu kommen wegen des Vorwurfs der Devisenmarktinterventionen.

Rein theoretisch könnte man die Bilanz unendlich gross machen. Aber wenn wir Nationalbank-Chef Thomas Jordan ernst nehmen, müssen wir annehmen, dass für die SNB die Obergrenze schon überschritten ist. Er hat am 15. Januar 2015 die Aufhebung der Wechselkursuntergrenze damit begründet, dass das Direktorium Sorge hat, dass die Bilanz der SNB über die Devisenmarktinterventionen stark anwächst und daraus schwer managebare Risiken entstehen. Wenn Herr Jordan seine Einschätzung nicht grundsätzlich geändert hat, befindet sich die SNB schon in einem 
Bereich, der unangenehm ist. Die Bilanz ist seit 2015 noch 
mal ganz gewaltig angewachsen.

Wie schätzen Sie die Entwicklung des Franken-Wechselkurses ein?

Ich denke nicht, dass der Franken rein als Reaktion auf den Schritt des Fed zulegt. Es gibt keine empirische Basis dafür, dass die Zinsdifferenz den Wechselkurs bestimmt. Die Amerikaner haben die Zinsen in den letzten Jahren angehoben und seit Ende 2018 gesenkt – und das hat auf den Wechselkurs keinen Effekt gehabt. Das ist eine Geschichte aus den Lehrbüchern der Ökonomie, die man Studenten auf der Bachelorstufe erzählt – mit der Realität hat das wenig zu tun. Auch im Wechselkurs zum Euro spielt die Zinsdifferenz keine Rolle. Generell glaube ich aber, dass in dem aktuellen Umfeld mit einer hohen Verunsicherung der Franken weiter eine Tendenz zur Stärke haben wird. Dem wird sich die SNB sicherlich weiterhin entgegenstellen. Insofern denke ich, dass die Entwicklung des Euro-Franken-Kurses eher undramatisch bleiben wird.

Nachrichten zu Wirtschaft »