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Treffpunkt Wirtschaft

Führung als Herzenssache

Was sind die Herausforderungen an die Führung? Herzchirurg Thierry Carrel und weitere Experten haben dies diskutiert.

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Er ist der wohl bekannteste Herzchirurg der Schweiz und hat als Direktor der Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie am Inselspital Bern allein schon eine reich befrachtete Agenda, aber er hat zum Beispiel auch geholfen, im Ural eine Klinik aufzubauen und pflegt mit den dortigen Ärzten regelmässigen Austausch - er wisse gar nicht, wie er dieses Pensum in 24 Stunden am Tag unterbringe, sagte SRF-Moderator Urs Gredig einführend über Thierry Carrel. Der Professor fand gestern Abend aber auch Zeit, um in Biel zum Thema «Innovation und Nachwuchsfindung als Schrittmacher der Medizin» zu referieren. «Führung - Quo vadis?» hiess das Thema des ersten Treffpunkt Wirtschaft in diesem Jahr im Bieler «Le Pavillon», zu dem neben Carrell weitere namhafte Experten geladen waren und die zahlreiche Aspekte des Themas umrissen. Carrel meinte, da er eine äusserst abwechslungsreiche Tätigkeit ausübe, sei die grosse Arbeitsbelastung gut zu bewältigen - manchmal kümmere er sich auch, wenn einem Patienten der Kaffee zu kalt sei.

Eine Vertiefung der am gestrigen Anlass besprochenen Themen findet sich in der Beilage «Wirtschaft & Konjunktur», ebenso die Resultate der Früh-jahres-Konjunkturumfrage des «Bieler Tagblatt». Diese zeigt, dass die Unternehmen in der Region Biel-Seeland-Berner Jura zwar einigermassen zuversichtlich in die nächsten Monate blicken, eine grosse Dynamik aber nicht zu erwarten ist. Ein anhaltend starker Druck auf die Margen schmälert die Ergebnisse, die Beschäftigungslage dürfte aber stabil bleiben oder leicht besser werden.

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Thierry Carrel beginnt mit Understatement. «Ich bin kaum die am besten geeignete Person, um Empfehlungen zum Thema Führung abzugeben», sagt der bekannte Herzchirurg zu Beginn seiner Ausführungen. Es ist Dienstagabend, und der erste Treffpunkt Wirtschaft des Handelsund Industrievereins Sektion Biel-Seeland und der Wirtschaftskammer Biel-Seeland widmet sich dem Thema «Führung – Quo vadis?». Die dem Thema angehängte Frage zeigt, dass es für Führungskräfte in der heutigen Zeit nicht mehr nur einfache Antworten gibt, und dass Führung unter Umständen kein Zuckerschlecken ist. Fabian Engel, Vizepräsident der HIV-Sektion und Unternehmer im Bereich Bauzulieferung, hat es einleitend gesagt: «Führung ist auch Knochenarbeit. Chef sein wollen viele, aber täglich führen, das ist ein anderes Paar Schuhe.»

Der lange Weg im OP

Aber auch eine Knochenarbeit kann eine Herzensangelegenheit sein, besonders bei Thierry Carrel. Er «fühle die Temperatur» ständig, sei «den ganzen Tag überall», sagte der bekannte Herzchirurg. Dass auch in der Medizin die Führung immer stärker ein Thema ist, verdeutlicht allein die starke Zunahme des Personals am Inselspital in den letzten Jahren.

Geht es dann ganz konkret um die Mitarbeiter im Operationssaal, so plädiert Carrel dafür, sich für die Auswahl derselben sehr viel Zeit zu nehmen und die Rekrutierungsgespräche stets in der Gruppe zu führen. Kriterien seien dabei Talent, Ausdauer, Sympathie und Vertrauen; Letzteres eine zentrale Eigenschaft in der Medizin. Thierry Carrel wählt aber «keine Fachidioten» aus, wie er betont. Vielmehr wolle er Mitarbeiter, die ihre Position auch reflektieren könnten. Wer es zum Herzchirurgen gebracht hat, bewies aber zumindest seine Ausdauer: Nötig seien 10 000 Stunden im Operationssaal, bis man einigermassen ausgebildet sei, so Carrel.

Die Universitätsklinik für Herzchirurgie pflegt denn auch ein Weiterbildungskonzept. Dieses ersetzt aber keineswegs das enge Lehrer-Schüler-Verhältnis und «eine Kultur der Förderung, des Teaching und des Feedbacks».

Aber nicht nur Führung, auch Innovationen prägen die heutige Spitzenmedizin. Neue Materialien vereinfachen Verfahren. So kann heute eine halb-künstliche Herzklappe mit viel geringerem Aufwand eingesetzt werden als noch vor einigen Jahren, und die Miniaturisierung hat Kunstherzen in den letzten 15 Jahren massiv verkleinert – aber auch ums Doppelte verteuert.

Die Umkehr der Bewerbung

Jiri Scherer, Teilhaber von Denkmotor und Spezialist für kreatives Denken, hat sein Publikum rasch im Sack. Wie kann man eine Torte mit drei Schnitten in acht Stücke schneiden? Nein, es gibt nicht nur eine Möglichkeit. Auch nicht zwei, drei. Sondern mindestens sieben (mehr zu Scherer in der Beilage).

Kreativität benötigen aber nicht mehr nur die Mitarbeiter, sondern mittlerweile auch die Arbeitgeber, wenn sie in der Jagd nach Talenten an die besten Köpfe kommen wollen. Der Arbeitsmarkt sei heute ein Arbeitnehmermarkt, ist Nelly RiggenbachHasler überzeugt. Sie arbeitet bei Universum, einem Unternehmen, das nach eigenen Angaben der globale Leader im «employer branding» ist. Sie sagt: «Im Zweifelsfall bewirbt sich heute der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer.» Die heutige Generation junger Hochqualifizierter lasse sich auch nicht mehr bloss mit dem Versprechen nach Übernahme von Führungspositionen anlocken, denn die Sinnstiftung erfolge über die Aufgabe bei der Arbeit an sich, nicht über die herkömmliche Karriereleiter. Sie selber hat eine Führungsposition aufgegeben, um wieder mehr Freude an der Arbeit zu haben.

Pascal Schmid, CEO der Bieler Netrics Hosting AG, macht derweil aus der Not, ein Unternehmen abseits des InformatikerHotspots Zürich zu führen, eine Tugend: Netrics bildet selber zahlreiche Fachkräfte aus und setzt auf Personal, das in der Region verwurzelt ist – was auch die Fluktuation verringert.

Führung bedeutet heute also weit mehr als die klassische Befehlsausgabe, so Jiri Scherer schliesslich abschliessend. Führen bedeute, dem Mitarbeiter «the reason why» zu vermitteln, also schlicht: den Sinn.