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Hungerstreik

«Ich habe mich nie so lebendig gefühlt»

Seit elf Tagen befindet sich Guillermo Fernandez auf dem Bundesplatz im Hungerstreik. Wer ist der Freiburger, der sagt, er sei bereit, fürs Klima sein Leben zu lassen?

Guillermo Fernandez hungert vor dem Bundeshaus fürs Klima. Bild: BM

Quentin Schlapbach

Guillermo Fernandez sitzt auf ­einem Stuhl auf dem Bundesplatz, in der rechten Hand eine Zigarette, in der linken Hand eine Tasse Tee. Er erzählt, wie es sich anfühlt, seit elf Tagen nichts mehr gegessen zu haben. «Ehrlich gesagt, fühle ich mich recht gut», sagt er. Laufen könne er noch immer problemlos. Und das Hungergefühl im Magen sei seit gut einer Woche verschwunden. «Wenn ich jetzt noch ans Essen denken muss, stehe ich kurz neben den Marronistand und schnuppere eine Weile an der Luft», sagt Fernandez.

Es ist unklar, wann der Freiburger je wieder einen Bissen zu sich nehmen kann. Er befindet sich im Hungerstreik – fürs Klima. Fernandez will erst wieder etwas essen, wenn die Schweizer Umweltministerin Simonetta Sommaruga die vereinigte Bundesversammlung einberuft und endlich Klartext zum Klimawandel spricht. Die Forderungen des 46-jährigen Familienvaters: Das Parlament soll den Klimanotstand erklären, bis 2030 eine klimaneutrale Wirtschaft anstreben und ein Verbot für die Finanzierung fossiler Brennstoffe aussprechen. «Ich kämpfe für das Leben meiner Kinder», sagt Fernandez. «Und ich bin bereit, dafür zu sterben.»

Das Phänomen «Klimaangst»

Wenn man Menschen auf der Strasse auf den Klimawandel anspricht, kann man die Reaktionen grob in drei Lager aufteilen. Die eine Gruppe – die tendenziell kleiner wird – streitet prinzipiell ab, dass es überhaupt ein Problem gibt. Dann gibt es die mit Abstand grösste Gruppe. Sie anerkennt zwar das Problem, glaubt jedoch nicht, dass es wirklich einmal so schlimm wird. Und dann gibt es noch die Gruppe, zu der Guillermo Fernandez sich zählt. Diese Leute glauben, dass wir den Planeten schon in wenigen Jahren an die Wand gefahren haben, wenn wir nicht sofort etwas ändern.

In der englischsprachigen Welt redet man von «climate anxiety», übersetzt: Klimaangst. Laut der englischen Fachzeitschrift «Nature» gaben bei einer weltweiten Umfrage 27 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, dass der Klimawandel sie «extrem beunruhigt». Die Aussicht auf die drohende Katastrophe löst bei ihnen Wut, Angst und Machtlosigkeit aus und kann sogar in Depressionen münden.

Guillermo Fernandez hat die Schreckensvision eines unbewohnbaren Planeten diesen Sommer erstmals so richtig ereilt, ausgerechnet am 13. Geburtstag seiner jüngsten Tochter. Damals habe er den Bericht des Weltklimarats gelesen. An diesem Tag sei im bewusst geworden, dass in 7 Jahren, wenn seine Tochter 20 Jahre alt sein werde, alles schon zu spät sein könnte. «Wenn die Temperaturen weiter so steigen, sind wir dann bereits verloren.»

Seine Familie steht dahinter

Der gläubige Katholik tat in Folge etwas, das man irgendwo zwischen wahnsinnig mutig und komplett verrückt klassifizieren kann. Er hängte seinen Job als IT-Berater an den Nagel und wurde Vollzeitaktivist. Er kämpft seither mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Klimakatastrophe. «Und alles, was ich habe, ist mein Körper», sagt Fernandez. Als er seiner Frau und den drei Kindern von seinem Hungerstreikvorhaben erzählt habe, hätten sie zuerst geschockt reagiert. Mittlerweile würden sie aber alle voll hinter ihm stehen. «Meine jüngste Tochter sagte zu mir, dass sie stolz auf mich sei», sagt Fernandez. Im Gegensatz zu all den Politikerinnen und Politikern tue er wenigstens etwas gegen die sich anbahnende Katastrophe.

Er erntet für seine Aktion aber auch Kritik. Ein Passant habe ihm diese Woche vorgeworfen, ein schlechter Vater zu sein, weil er seine Familie im Stich lasse. Er habe aber dem Mann im Gespräch klarmachen können, dass er seine Familie im Prinzip nur beschützen wolle, sagt Fernandez. Während seines Hungerstreiks telefoniere er jeden Abend mit ihnen. Ein physisches Treffen finde aber nur an den Sonntagen statt. Dann besucht er auch die Predigt in der Dreifaltigkeitskirche, gleich neben der Kleinen Schanze.

Der Glauben spiele für ihn eine wichtige Rolle, sagt Fernandez. Aber er sei nicht der Grund, wieso er heute hier sei. Vor seinem Hungerstreik konnte er noch mit einem katholischen Priester über sein Vorhaben sprechen. Ein Thema sei der Tod gewesen, den er mit seiner Essensverweigerung bewusst in Kauf nehme. Dass diese Aktion hier eine Art Suizid aus Angst vor dem Tod ist, streitet er aber vehement ab. «Ich will nicht sterben, sondern gewinnen und weiterleben», sagt Guillermo Fernandez.

Mit einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern konnte Fernandez in den letzten Tagen bereits sprechen. Es seien bisher ausschliesslich Grüne oder SVPler gewesen, sagt er.

Support aus dem Ständerat

Eine davon ist die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone, die Fernandez am Dienstag auf dem Bundesplatz besuchte. «Dass jemand wegen des Klimawandels so beunruhigt ist, verstehe ich sehr gut», sagt sie. Eine klimaneutrale Schweiz bis 2030 sei auch das Ziel von ihr und ihrer Partei, so Mazzone. Sie versuche dieses Anliegen aber über den politischen Weg zu erreichen. Dass Fernandez das Mittel des Hungerstreiks wählt, um seine Ziele zu erreichen, will Mazzone weder verurteilen noch gutheissen. «Das ist seine persönliche Entscheidung. Aber es zeigt, wie machtlos man sich fühlen kann», sagt sie. Die Dringlichkeit, die Fernandez damit aussende, sei «sehr stark».

Schon 8 Kilo abgenommen

Frühere Hungerstreiks haben gezeigt, dass ein Mensch bis zu hundert Tage ohne Nahrung überleben kann. Wenn am 29. November die Wintersession beginne, würden die Politikerinnen und Politiker in Bern spätestens merken, dass er nicht bluffe, so Fernandez. In den letzten Tagen hat sich bereits ein Netz von Unterstützerinnen und Unterstützern um ihn formiert. «Es ist unglaublich, wie liebevoll die Menschen in Bern sind.» Sie bringen ihm Tee, Decken und am Mittwochmorgen sogar eine Rose. Bis auf wenige Ausnahmen habe er auch fast nur positive Reaktionen bekommen, sagt er. Viele würden ihm danken, weil er sich auch für ihre Kinder und Grosskinder einsetze.

Gedanken dazu, wie das hier alles enden werde und was er danach tun wolle, mache er sich keine, sagt Fernandez. Es habe etwas Befreiendes, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde zu leben. «Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt», sagt Fernandez. Und auch schon lange nicht mehr so leicht. In den ersten elf Tagen seines Hungerstreiks hat er bereits 8 Kilo Körpergewicht verloren.

Stichwörter: Hungerstreik, Klima, Protest, Bern

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