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Wochenkommentar

Ja, aber nicht in meinem Garten…

Wenn wir den Atomausstieg schaffen wollen, muss die Schweiz solidarisch sein. Und von Solidarität zeugt das Vorgehen der Grenchner Windparkgegner nicht, schreibt Redaktionsleiter Parzival Meister in seinem Wochenkommentar.

Parzival Meister, Redaktionsleiter

«Wenn Du weiterhin das Licht überall brennen lässt, kaufe ich Dir ein ‹Pro AKW›-Shirt und Du musst es anziehen.» Dies pflegte mein Vater zu sagen, wenn eines seiner Kinder beim Verlassen seines Zimmers das Licht nicht ausmachte. Tatsächlich gekauft hat er so ein T-Shirt nie. Ob sein Spruch Wirkung zeigte? Ich weiss ehrlich gesagt nicht mehr, ob ich dadurch zu einem vorbildlichen Lichterlöscher wurde. Seine Kernbotschaft aber, die ist hängengeblieben. Nein, ich glaubte nie, wegen mir drohe der Schweiz ein weiteres Atomkraftwerk. Aber dass jeder von uns seinen Teil dazu beitragen kann, unsere Umwelt zu schützen, leuchtete mir ein.

Und wissen Sie was? Diesen Solidaritäts-Glauben habe ich bis heute nicht verloren. Ich kann meinen Beitrag leisten, wir alle können unseren Beitrag leisten. Und dass wir unseren Beitrag tatsächlich leisten wollen, dies hat die Mehrheit des Schweizer Stimmvolkes mit dem Ja zur Energiestrategie 2050 bekräftigt. Wir haben Ja zum Ausstieg aus der Atomenergie und zum Ausbau erneuerbarer Energien gesagt. Und somit haben wir Ja dazu gesagt, diese Herausforderung gemeinsam anzugehen. Dass wir beim Ausbau von Wasser-, Wind- und Sonnenenergie beim Landschaftsschutz Abstriche machen müssen, ist in diesem Fall die Konsequenz daraus. Jedes Gebiet muss einen Beitrag leisten, einen Teil seiner Landschaft «opfern», um ein grösseres Ziel zu erreichen.

Ich liebe die Jurahöhen. Der Grenchenberg ist mein liebstes Naherholungsgebiet. Und am liebsten wäre es mir, dort oben würde alles so bleiben, wie es ist. Denn so wie es ist, ist es perfekt. Nun sollen in genau diesem Gebiet gigantische Windräder gestellt werden. Sechs Türme sind geplant, 160 Meter hoch werden sie sein. Aufwerten werden sie die Landschaft bestimmt nicht. Und trotzdem stehe ich voll und ganz hinter diesem Projekt. Denn ich kann nicht Ja zur Energiewende sagen und dann nachschieben: Aber nicht in meinem Garten. 

Diese Aussage ist keine Absage an den Landschaftsschutz. Wilder Aktionismus muss auf jeden Fall vermieden werden. Und das haben die Projekttreiber auch getan. Der Kanton Solothurn hat an zig Standorten Messungen durchgeführt und fünf Gebiete definiert, in denen solche Anlagen gebaut werden dürfen. Er hat damit ausgedrückt: Diese fünf Gebiete sind unser Beitrag an die Energiewende, an das Ziel, bis zu 1000 solche Anlagen in der Schweiz zu errichten. Löblich ist auch, dass über die Kantonsgrenzen hinweg geplant wird. Denn das Projekt für sieben Windturbinen des Bieler Energieversorgers ESB soll unweit der Grenchner Anlagen auf dem Gemeindegebiet von Court entstehen. Diese Standort-Konzentration ist wichtig und richtig.

Diese Woche ist der Verein Pro Grenchen mit einem neuen Versuch in Erscheinung getreten, das Windparkprojekt auf dem Grenchenberg zu verhindern. Er argumentiert mit Grundwasserschutz. Vermutlich wird auch dieser Versuch scheitern, doch weitere Anläufe werden folgen. Es ist zwar das gute Recht des Vereins, diesen Kampf zu führen, doch mit Solidarität hat das überhaupt nichts zu tun. Das Vorgehen zeugt sogar von einem engstirnigen Denken. Denn es ist wichtig, die Dinge in einem grösseren Kontext zu betrachten. In derselben Woche nämlich, in der lokale Windparkgegner zum Angriff blasen, ist auch der Bundesrat an die Öffentlichkeit getreten. Dieser ist nach wie vor auf der Suche nach dem richtigen Gebiet für ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Es wird zwar noch über 40 Jahre dauern, bis irgendwo in der Schweiz Atommüll im Boden versenkt wird. Doch es wird einen Ort geben, der solidarisch für die ganze Schweiz in den sauren Apfel beissen muss.

Atomabfall und Windturbinen, zwei Komponenten der Schweizer Energieversorgung. Würde ich vor die Wahl gestellt, ob ich Turbinen auf oder Atommüll im Hausberg haben möchte, ich müsste nicht lange überlegen.

E-Mail: pmeister@bielertagblatt.ch 
 

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