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Yukon

Alte Sprachen erhalten neuen Aufschwung

Weltweit gelten fast 2700 von rund 7000 Sprachen als gefährdet. 2019 wurde deshalb von den Vereinten Nationen zum «Internationalen Jahr der indigenen Sprachen» proklamiert. Im Yukon ist dies aber schon lange ein Thema.

Die Begrüssung in Southern Tutchone weist darauf hin, das wir uns in Whitehorse im traditionellen Territorium der Kwanlin Dün First Nation und des Ta’an Kwäch’än Council befinden. Bild: zvg/Christine Mäder
  • Dossier

Christine Mäder

Diese traditionelle Lebensweise wird im Yukon zum Glück teilweise noch heute gepflegt. Der Respekt für das Land, die Tiere und die Pflanzen basiert auf urzeitlicher, mündlicher Geschichtenüberlieferung. Wie Tänze und Lieder hat das 
Geschichtenerzählen einen hohen Stellenwert in der indianischen Kultur: Traditionen werden so, in Legenden und Fabeln verpackt, von Generation zu Generation weitergegeben. Doch beinahe ist dies verunmöglicht worden.

Trübes Kapitel in der Geschichte Kanadas
Die Behandlung der Ureinwohnervölker Kanadas ist ein trübes Kapitel in der Geschichte meiner Wahlheimat. Der Indian Act von 1876 erklärte die Indianer zu Schutzbefohlenen des Staates; es wurden ihnen oft lächerlich kleine Reservate zugewiesen, um im Gegenzug europäischen Siedlern Land zur Verfügung zu stellen.

Es begann eine Politik der zwangsweisen Eingliederung der First Nations, der Métis (gemischtrassig indianischen und europäischen Ursprungs) und der Inuit in die weisse Kultur des jungen Staates Kanada. Kinder wurden ihren Familien entrissen und in Zwangsinternate – sogenannte Residential Schools – gesteckt, wo sie streng bestraft wurden, wenn sie ihre eigenen Sprachen und Bräuche weiterzupflegen versuchten.

Der Assimilationsdruck führte dazu, dass mehrere Generationen ihre Kultur und Sprache verloren haben und sich weder in ihrer angestammten noch in der weissen Welt heimisch fühlen.

Im Yukon gab es von 1911 bis 1969 vier Residential Schools, die zahlreiche Familien auseinandergerissen und nachhaltig zerstört haben. Unser 
Yukon College bietet seit Ende Februar unter dem Titel «Walking the Path Together» (den Weg gemeinsam beschreiten) einen kostenlosen Hör-
Podcast mit monatlichen Folgen an. Mehr als 
50 Yukoner, darunter etliche Elders (Stammes-
ältere), haben dazu beigetragen.

«Versöhnung heisst Zusammenarbeit in echter Partnerschaft, und dass die Stimmen der First 
Nations gehört werden und ihr Input geschätzt wird», sagt ein Stammesälterer. Und ein weiterer Elder betont: «Es ist wichtig, über die bitteren 
Erfahrungen zu sprechen, das schwächt die Kraft der Erinnerungen.»

14 Stämme, 8 Sprachen
Rund 25 Prozent der Bevölkerung im Yukon identifizieren sich als First Nations, Métis oder Inuit; in ganz Kanada dagegen sind es bloss knapp 5 Prozent. Die Mehrheit der Ureinwohner gehört zu einer der beiden grossen Sprachfamilien Athabaskan oder Tlingit.

14 verschiedene Stämme sind im Yukon heimisch, verteilt auf acht Sprachregionen. Wie unterschiedlich diese Sprachen sind, veranschaulicht zum Beispiel das Wort «Danke», das in Southern Tutchone Gwänaschis heisst, in Tlingit dagegen Gunalchîsh und in Gwich’in Màhsi.

Seit Jahren sind bei uns intensive Bestrebungen im Gang, die traditionell nur mündlich überlieferten Sprachen vor dem Aussterben zu retten; mit der Hilfe von Elders und Sprachforschern werden diese nun schriftlich und audiovisuell festgehalten.

Alle Schulen im Yukon befinden sich auf angestammten Gebieten der verschiedenen First Nations und neuerdings werden in allen 12 Schuljahren Geschichte, Kultur, Sprache und traditionelles Wissen der Ureinwohner in den Lehrplan eingewoben. In der 10. Klasse ist die Geschichte der 
Residential Schools im Yukon und in Kanada ein fester Bestandteil der Sozialkunde. Je nach Region wird allen Schülern als Zweitsprache oder Wahlfach Gwich’in (Old Crow), Hän (Dawson City), Northern Tutchone (Mayo, Pelly Crossing, Carmacks), Southern Tutchone (Burwash Landing, Champagne, Haines Junction, Whitehorse), Kaska (Ross River, Watson Lake, Upper Liard), Tagish (Tagish), Tlingit (Carcross, Teslin) oder Upper 
Tanana (Beaver Creek) angeboten.

Bühnenautor und Radiomann Leonard Linklater, ein Angehöriger der Vuntut Gwitchin First 
Nation, und seine ebenfalls theaterschaffende 
Lebenspartnerin Patti Flather, haben 1999 das sich ganz auf Inszenierungen von First-Nations-Autoren ausrichtende Gwaandak Theatre gegründet (Gwaandak bedeutet Geschichtenerzähler in der Gwich’in Sprache).

In den letzten 20 Jahren haben sie uns zahlreiche ausgezeichnete Produktionen gebracht mit brisanten, sehr relevanten Themen wie die Auswirkungen der Residential Schools, Entwurzelung und Alkoholismus. Auch wenn es mitunter schwere Kost ist, der einmalige Humor der First Nations fehlt nie!

Gemeinsam vorwärts
Vor Wochenfrist hatte ihre neuste Produktion «Ndoo Tr’eedyaa Gogwaandak», was mit «gemeinsam vorwärts» übersetzt werden kann, in Whitehorse Premiere: drei absolut witzige Geschichten aus dem reichen Fundus der Vuntut-Gwitchin- Überlieferungen, als Besonderheit zugleich in Englisch wie in Gwich’in dargeboten.

So kommunizierte zum Beispiel der Gwitchin Mann, der in der einen Story erstmals mit weissen Pelzhändlern – notabene von First-Nations-Schaupielern dargestellt – in Kontakt kam, ausschliesslich in seiner eigenen Sprache, während ein weiterer Schaupieler im Hintergrund die englische Übersetzung dazu lieferte.

Das Publikum lachte sich schief über die Situationskomik! Der Radiosender CBC zeichnete das Ganze als drei Hörspiele auf und wird diese im Laufe des «Internationalen Jahrs der indigenen Sprachen» landesweit ausstrahlen.

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». Nach weiteren drei Jahren als Musikredaktorin in Zürich und Baden wanderte sie in die «hintereste obere Ecke» von Kanada aus: ins spärlich besiedelte Yukon-Territorium, wo sie ihre Sprachkenntnisse zuerst im Tourismus anwendete, seit 2014 nun aber in Whitehorse als Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

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