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Kairo

Die Wut ist stärker als die Angst

Am Wochenende sind hunderte Ägypterinnen und Ägypter auf die Strassen gegangen, um den Rücktritt ihres Präsidenten zu fordern. Die Proteste wurden durch Videos in den sozialen Medien ausgelöst.

«Sisi hau ab» war eine der Hauptforderungen der Demonstranten. Mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition soll die Polizei gegen die Protestierenden vorgegangen sein, mehrere Menschen wurden verletzt. Bild: Keystone

Seltene Bilder haben sich an diesem Wochenende in Ägypten geboten: Hunderte Menschen gingen in Kairo und anderen Städten auf die Strassen, um den Rücktritt von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi zu fordern. Dabei sind regierungskritische Demonstrationen im Land äusserst rar.

Dutzende versammelten sich in der ägyptischen Hauptstadt auch auf dem symbolträchtigen Tahrir-Platz – 2011 Schauplatz wochenlanger Massenproteste, die den Langzeitherrscher Husni Mubarak aus dem Amt vertrieben hatten.

Videoaufnahmen von den Freitagskundgebungen zeigten, wie Demonstranten «Sisi hau ab» riefen. Die Polizei verstärkte im Verlauf des Wochenendes ihr Aufgebot massiv, zahlreiche Sicherheitskräfte waren in mehreren Städten im Einsatz.

In der Hafenstadt Sues kam es am Samstagabend dennoch zu Protesten von hunderten Ägyptern – und zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Polizisten, die nach Angaben von Protestteilnehmern Tränengas, Gummigeschosse und scharfe Munition gegen die Menschen einsetzten. Mehrere Demonstranten wurden demnach verletzt.

Dutzende Festnahmen

Mindestens 74 Menschen wurden seit Freitag nach Angaben aus Sicherheitskreisen allein in der Hauptstadt Kairo festgenommen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte die ägyptischen Behörden auf, «das Recht auf friedlichen Protest zu schützen» und die festgenommenen Demonstranten freizulassen.

Die Proteste wurden von dem im spanischen Exil lebenden Geschäftsmann Mohamed Ali ausgelöst, der dem Militär und dem Staatschef Korruption vorwirft und dessen Sturz fordert. Am Freitagmorgen hatte er die Ägypter in einem in den sozialen Medien verbreiteten Video zu Demonstrationen aufgerufen.

Für den kommenden Freitag rief Ali zu neuen Massenprotesten auf. In einem «Millionen-Marsch» sollten die Demonstranten zentrale Plätze in den Städten des Landes besetzen, forderte er im Online-Dienst Facebook. Es handele sich um eine «Revolution des Volkes», schrieb er weiter.

Staatschef al-Sisi kommentierte die Proteste bisher nicht. Eine Medienakkreditierungsstelle der ägyptischen Regierung warnte Journalisten am Samstagabend in einer Mitteilung, ihre Berichterstattung über Veranstaltungen «sollte nicht übertrieben werden».

Präsident al-Sisi hatte die Korruptionsvorwürfe zuletzt entschieden zurückgewiesen. «Das sind Lügen, deren Ziel es ist, den Willen der Ägypter zu brechen und sie jede Hoffnung und jedes Vertrauen in sich selbst verlieren zu lassen», kritisierte er vor einer Woche auf einem Jugendkongress in Kairo. Er warnte dort junge Menschen vor den möglichen Gefahren regierungskritischer Meinungsäusserungen.

Regierungskritische Demonstrationen sind in Ägypten äusserst selten. Unter dem seit 2013 herrschenden General al-Sisi, der den demokratisch gewählten islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi gestürzt hatte, werden Proteste und Kritik weitgehend unterdrückt. Tausende Islamisten, Regierungsgegner, Blogger und Aktivisten wurden in den vergangenen Jahren inhaftiert und teils verurteilt.

Schwere Legitimitätskrise

Die jüngsten Proteste markieren nach Ansicht des Kairoer Politik-Experten Nael Shama die bislang «schwerste Legitimitätskrise» für al-Sisi. Anders als zu Beginn des arabischen Frühlings 2011 hätten die Demonstranten nicht zuerst soziale und demokratische Forderungen gestellt, sondern direkt al-Sisis Rücktritt gefordert, betonte Shama.

Der ägyptische Staatschef sieht nach eigenen Angaben Sicherheit und Stabilität als Merkmale seiner Herrschaft. Jedoch wächst in der Bevölkerung die Unzufriedenheit wegen steigender Preise. Laut einem im Juli veröffentlichten Bericht ägyptischer Behörden lebt fast ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. sda

Stichwörter: Ausland, Kairo, Ägypten, Protest

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