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Terrorismus

Er wollte «Anti-Weisse» töten

Der Rechtsextremist Stephan B. verfolgte den Plan, in der Synagoge von Halle möglichst viele Juden zu töten. Auch über Muslime, Linke, Flüchtlinge und Feministinnen äusserte er sich hasserfüllt.

Vor der Synagoge in Halle gedenken Trauernde der Opfer des Anschlags. Bild: Keystone

Dominique Eigenmann, Berlin

«Was wir gestern erlebt haben, war Terror.» Peter Frank, als Generalbundesanwalt der höchste Strafverfolger Deutschlands, nannte die Dinge beim Namen, als er in Karlsruhe die Medien informierte. Das Ziel von Stephan B. sei es gewesen, im jüdischen Gotteshaus von Halle ein Massaker anzurichten. Zur Zeit des Angriffs hielten sich in der Synagoge 50 Gläubige auf. Allerdings hielten die Türen stand, Stephan B. gelang es nicht einzudringen.

Der Täter sei ein Mensch, der «tief durchdrungen» von Judenhass und Rassismus sei, so Frank. Er habe nicht nur mehrere Waffen mit sich geführt, sondern in seinem Auto auch grosse Mengen Sprengstoff, insgesamt vier Kilogramm. In Teilen habe er sich bei seiner Tat offenbar an dem Rechtsextremisten orientiert, der im neuseeländischen Christchurch im März in einer Moschee mehr als 50 muslimische Gläubige erschossen hatte.

Ziel: «Weltweite Wirkung»

Wie sein Vorbild habe er eine «weltweite Wirkung erzielen wollen». Deswegen habe er vor der Tat ein englischsprachiges «Manifest» im Internet veröffentlicht, deswegen habe er eine Helmkamera getragen, mit der er seine Taten gefilmt, kommentiert und live ins Internet übertragen habe. «Stephan B. wollte ein Nachahmer im doppelten Sinne sein», sagte Frank. «Er ahmte Taten nach, die andere vor ihm begangen hatten. Und er wollte andere dazu anstiften, ihn nachzuahmen – das heisst, selber ähnliche Taten zu begehen.»

Der Bundesanwalt ermittelt gegen Stephan B. wegen zweifachen Mordes und neunfachen versuchten Mordes. Noch stehe man ganz am Anfang, sagte Frank. Es stellten sich viele Fragen: «Hatte der Täter Komplizen oder Mitwisser? Mit wem hat er sich ausgetauscht? Wie hat er sich radikalisiert?»

Über die Person des Täters sagte Frank fast nichts, Medien zeichneten aber bereits ein anschauliches Bild. Stephan B. ist 27-jährig, lebte unweit von Halle bei seiner Mutter und war der Polizei bisher nicht als Rechtsextremist bekannt. Die «Bild»-Zeitung sprach mit dem Vater. Dieser schilderte seinen Sohn als Eigenbrötler, der oft vor dem Computer sass und kaum Freunde hatte: «Er war weder mit sich noch mit der Welt im Reinen, gab immer allen anderen die Schuld.» Nach der Matura habe Stephan B. in Halle zwei Semester Chemie studiert, das Studium aber abgebrochen. Eine Nachbarin sagte, Stephan B. habe zuletzt als Rundfunktechniker gearbeitet. Laut dem Vater diente sein Sohn in der Bundeswehr. Er beklagte, dass er zuletzt nicht mehr an ihn «rangekommen» sei. Es habe immer wieder Streit gegeben. Vom Anschlag seines Sohnes habe er aus den Nachrichten erfahren.

Im englischsprachigen Bekennerschreiben, das Stephan B. vor der Tat im Internet hochlud, nannte er als Ziel, «so viele Anti-Weisse zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden». Das Dokument ist laut Experten am 
1. Oktober angelegt worden, also acht Tage vor der Tat. Die Tat selbst übertrug Stephan B. live auf der Streaming-Plattform Twitch. Dort wurde das Video von 2200 Menschen angesehen, bevor der Betreiber es nach einer halben Stunde löschte. Allerdings wurde es davor vielfach geteilt. Der Account war vor zwei Monaten erstellt worden.

Das 35 Minuten und 28 Sekunden lange Video zeigt das Tatgeschehen aus der Sicht des Täters. Stephan B.s Kommentare legen offen, dass er den Holocaust leugnet, Juden hasst und sie als «Wurzel des Problems» ansieht.

Darüber hinaus verabscheut er aber ganz offensichtlich auch Muslime, Flüchtlinge, Linke oder Feministinnen. Entsprechend wählte er offenbar die Opfer aus, nachdem es ihm nicht gelungen war, Juden zu töten. Eine zufällig vorbeigehende 40-jährige Frau streckte er mit mehreren Schüssen von hinten nieder. Er schoss noch mehrmals auf sie, als sie bereits tot am Boden lag, und beschimpfte sie unflätig. Einen 20-jährigen Kunden in einem türkischen Kebab-Imbiss tötete er wenig später, obwohl dieser um sein Leben flehte.

«Versager, der ich bin»

Das Video belegt überdies, dass Stephan B. wohl noch viel mehr Menschen getötet hätte, hätten seine Waffen besser funktioniert. In zwei Fällen verhinderte eine Ladehemmung einen Mord. Die Langwaffe, mit der der Täter schoss, war offenbar ein Eigenbau, der im Laufe der Tat immer mehr auseinanderfiel. «Tja. Ich habe bewiesen, wie absurd improvisierte Waffen sind», kommentierte Stephan B.

Überhaupt macht der junge Mann in seinem Tatvideo einen gleichermassen brutalen wie jämmerlichen Eindruck. Immer wieder klagt er, dass er es «verkackt» habe: Unter anderem als er nicht in die Synagoge gelangt, als er seinem eigenen Fluchtfahrzeug aus Versehen den Reifen platt schiesst, als er von Polizisten, die sich ihm entgegenstellen, am Hals getroffen wird und stark blutet.

«I killed some, I tried to kill some», kommentiert er im Video. «Ach. Then I die. Like the loser I am.» Ich sterbe – als der Versager, der ich bin. Doch Stephan B. überlebte und wird vor Gericht kommen. Auch das dürfte sich für ihn wie eine Niederlage anfühlen.

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Schweiz unterstützt Minderheiten stärker

Der Bund beteiligt sich künftig mit bis zu 500 000 Franken pro Jahr an den Sicherheitskosten von Einrichtungen von Minderheiten, die besonders gefährdet sind, Ziel von Anschlägen zu werden. Der Bundesrat hat vorgestern die entsprechende Verordnung verabschiedet. Möglich sind Beiträge an bauliche, technische und organisatorische Sicherheitsmassnahmen. Nicht möglich ist eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für Sicherheitspersonal. Hilfe erhalten können nebst jüdischen und muslimischen Gemeinden etwa Institutionen der Schwulen und Lesben. sda/mic

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