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Hongkong

Militäreinsatz und neue Gewalt

Nachdem am Samstag Soldaten Chinas die Strassen von Hongkong von den Resten der Demonstrationen gesäubert hatten, ist es gestern zu ungewöhnlich heftigen Protesten gekommen.

Gestern in Hongkong: Man kann hier Randalierer erkennen. Oder auch demokratische Defizite. Bild: Keystone

Der erste Einsatz chinesischer Soldaten bei den seit mehr als fünf Monaten anhaltenden Protesten in Hongkong hat bei Regierungsgegnern scharfe Kritik ausgelöst. Gestern ist es dann zu ungewöhnlich heftigen Protesten gekommen.

Am Samstag zeigte das Video des Lokalsenders RTHK, wie Männer der Volksbefreiungsarmee unbewaffnet in kurzen Hosen und T-Shirts Steine und andere Objekte von der Strasse in der Nähe der zuvor von Demonstranten besetzten Hong Kong Baptist University räumten. Auch zeigten Videos, wie die Soldaten mit roten Eimern in der Hand in Reih und Glied durch die Strassen joggten.

Über zehntausend Soldaten

Der ungewöhnliche Einsatz fand grosse Beachtung, weil es unter einigen Hongkongern seit Monaten Befürchtungen gibt, dass China sein Militär nutzen könnte, um die Proteste in der Stadt niederzuschlagen. Nach monatelangen Demonstrationen hatte Chinas kommunistische Führung zuletzt zwar angedeutet, den Griff zu verstärken. Eine militärische Niederschlagung der Proteste halten die meisten Beobachter dennoch für unwahrscheinlich, weil China dafür international geächtet würde. Stattdessen sollen Hongkongs Regierung und die Polizei aus Sicht Pekings für Ordnung sorgen.

Mehr als 10 000 Soldaten der Volksbefreiungsarmee sind seit der Rückgabe der britischen Kronkolonie 1997 an China in Hongkong stationiert. Nach unbestätigten Berichten soll die Truppenstärke heimlich aufgestockt worden sein. Nach geltendem Recht könnte Hongkongs Regierung die Zentralregierung in Peking um militärische Hilfe bitten, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen oder nach Katastrophen zu helfen. Eine solche Anfrage habe es am Samstag jedoch nicht gegeben, teilte die Hongkonger Regierung mit.

Wie die Zeitung «South China Morning» berichtete, verurteilten Abgeordnete der Opposition den Einsatz und forderten von der Regierung Aufklärung. Die Garnison der Volksbefreiungsarmee in Hongkong teilte mit, dass es sich um eine «gemeinnützige Tat» gehandelt habe. Die Soldaten wollten lediglich Anwohnern dabei helfen, die Strassen in der Nähe der Kaserne aufzuräumen. Auf Videos ist zu sehen, wie Menschen den Soldaten applaudieren.

Die Volksbefreiungsarmee war schon früher ohne ausdrücklichen Hilfegesuch in Hongkong ausgerückt. So halfen 400 Soldaten im vergangenen Jahr bei der Beseitigung von Schäden durch einen Taifun. Auch an anderen Orten begannen Hongkonger am Samstag damit, die Spuren der Proteste der vergangenen Tage zu beseitigen. Hunderte von Anwohnern räumten in der Nähe der University of Hongkong Trümmer weg. sda

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Jetzt auch mit Pfeil und Bogen

In Hongkong ist es gestern erneut zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen – laut Beobachtern so heftig wie selten zuvor. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Gummigeschosse und einen Wasserwerfer ein. Radikale Demonstranten schossen mit Pfeil und Bogen. Ein für Medienarbeit zuständiger Polizist wurde von einem Pfeil getroffen. Auf Fotos war zu sehen, wie das Geschoss im Bein des Beamten steckte. Auch bauten einige Demonstranten Katapulte, mit denen sie Brandsätze abfeuerten.

Die Ausschreitungen konzentrierten sich gestern vor allem auf die Gegend um die Polytechnische Universität Hongkongs, die von Demonstranten besetzt wurde. Die Hochschulen der Stadt hatten sich in der vergangenen Woche zu einem neuen Brennpunkt der seit mehr als fünf Monaten andauernden Proteste entwickelt. Mehrere Universitäten hatten daraufhin angekündigt, dass sie das Semester vorzeitig beenden.

Nach einem relativ ruhigen Tag war es am Samstagabend erneut zu Zusammenstössen in der Stadt gekommen. In Erwartung weiterer Proteste kündigten die Behörden an, dass die Schulen und Kindergärten der Stadt heute weiter geschlossen bleiben. In der vergangenen Woche hatte Hongkong die gewaltsamsten Zusammenstösse seit Beginn der Proteste am 9. Juni erlebt. Anders als zuvor konzentrierten sich die Aktionen nicht mehr nur auf das Wochenende, sondern auf Werktage.

Die Proteste in der chinesischen Sonderverwaltungsregion richten sich gegen die Regierung. Die Demonstranten verlangen freie Wahlen, eine unabhängige Untersuchung von Polizeibrutalität sowie Straffreiheit für die bereits weit mehr als 4000 Festgenommenen. Auch der Rücktritt von Regierungschefin Carrie Lam gehört zu ihren Forderungen. sda

 

Stichwörter: Hongkong, China

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