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Nahost

Netanjahu wirbt um den rechten Rand

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu will im Falle eines erneuten Wahlsiegs einen erheblichen Teil des Westjordanlands annektieren. Aussenpolitische Kollateralschäden nimmt er in Kauf.

Detaillierte Planung: Benjamin Netanjahu bei der Präsentation seines Vorhabens. Bild: Keystone

Eine Woche vor der Parlamentswahl in Israel hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit der angekündigten Annexion des Jordantals international harsche Kritik ausgelöst. Die EU und arabische Staaten warnten vor einer Eskalation im Nahen Osten.

Netanjahu hatte vorgestern Abend erklärt, im Falle eines Siegs bei den Wahlen in der nächsten Woche werde seine Regierung Israels Souveränität umgehend auf das Gebiet im besetzten Westjordanland ausdehnen.

Die Palästinenser beanspruchen das Westjordanland als Teil eines künftigen eigenen Staates. Mit einer Annexion von Gebieten dort würde eine Zwei-Staaten-Lösung noch unwahrscheinlicher.

Das Jordantal verläuft entlang der Grenze zu Jordanien. Dort leben nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem rund 60 000 Palästinenser und etwa 5000 israelische Siedler.

Kritik der EU an Siedlungsbau

Die EU verurteilte die Ankündigung Netanjahus. Wie bei zahlreichen Gipfeltreffen bekräftigt worden sei, werde die Europäische Union keine Änderungen der vor 1967 bestehenden Grenzen anerkennen, die nicht zwischen beiden Seiten vereinbart worden seien, sagte ein Sprecher der EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel.

Die israelische Siedlungspolitik sei nach dem Völkerrecht illegal und untergrabe die Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung und die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden.

Das Königshaus von Saudi-Arabien teilte mit, eine solche Massnahme sei rundherum null und nichtig und eine gefährliche Eskalation gegenüber dem palästinensischen Volk.

Der jordanische Aussenminister Aiman Safadi erklärte über Twitter, es handle sich bei Netanjahus Ankündigung um einen gefährlichen Schritt, der alle Friedensbemühungen untergrabe. «Er wird zu mehr Gewalt und Konflikten führen», schrieb er.

Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu schrieb auf Twitter, Netanjahu verbreite vor der Wahl weiter «illegale, rechtswidrige und aggressive» Botschaften. Die Rechte ihrer «palästinensischen Geschwister» werde die Türkei «bis zum Ende verteidigen».

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert appellierte an die israelische Regierung, auf Massnahmen zu verzichten, die eine Einigung mit den Palästinensern auf der Basis einer Zwei-Staaten-Lösung behindern könnten. Die Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, eine solche Annexion wäre «ein klarer Verstoss gegen das Völkerrecht». Sie verurteilte gleichzeitig die jüngsten Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Ziele in Israel.

Schon vor der Parlamentswahl im April hatte Netanjahu die Einverleibung israelischer Siedlungen im Westjordanland angekündigt. Vor gut einer Woche wiederholte er diese Ankündigung. Ähnliche Ansagen in der Vergangenheit hatte er allerdings nie umgesetzt. Der Ministerpräsident hatte sich in der Vergangenheit noch für die Einrichtung eines entmilitarisierten Palästinenserstaates ausgesprochen, seinen Kurs aber zuletzt verschärft – nicht zuletzt, weil ihm die ultranationale Partei von Ex-Aussenminister Avigdor Lieberman bei rechtsgerichteten Wählern Konkurrenz macht.

USA offenbar einverstanden

Netanjahu hatte vorgestern betont, der Friedensplan, den die US-Regierung unter Donald Trump in Kürze vorlegen will, sei eine historische Gelegenheit, die israelische Souveränität auf Siedlungen im Westjordanland auszudehnen. Nach Medienberichten fand seine Ankündigung in Absprache mit den USA statt. Netanjahu selbst sprach lediglich von monatelangen diplomatischen Bemühungen und dem Wunsch, einen solchen Schritt in «grösster Abstimmung» mit den USA zu machen.

Das Jordantal macht nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem rund 30 Prozent des Westjordanlandes aus. 90 Prozent des Jordantales stehen den Angaben zufolge zum heutigen Zeitpunkt entsprechend den Osloer Friedensverträgen unter israelischer Verwaltung.

Friedensprozess wäre am Ende

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas erklärte laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Wafa, im Falle einer Annexion von Teilen der besetzten Palästinensergebiete würden alle Vereinbarungen mit Israel enden. Die radikal-islamische Hamas, die in dem von Israel abgeriegelten Gazastreifen herrscht und sich mit Abbas’Fatah heillos zerstritten hat, verurteilte die Ankündigung ebenfalls.

Bei der israelischen Parlamentswahl am kommenden Dienstag zeichnet sich laut Umfragen ein knappes Rennen zwischen Netanjahus rechtskonservativem Likud und dem oppositionellen Bündnis der Mitte namens Blau-Weiss von Ex-Militärchef Benny Gantz, ab.

In den Siedlungen im besetzten Westjordanland und in dem von Israel annektierten Ost-Jerusalem leben mehr als 600 000 Israelis – neben drei Millionen Palästinensern. Die Vereinten Nationen betrachten die israelischen Siedlungen auf besetztem Gebiet als völkerrechtswidrig. sda

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