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Yukon

Alles neu macht der Mai?

Kaum ist der letzte Schnee geschmolzen, machen die Yukoner ihre Camper, Geländefahrzeuge und Boote startbereit. 
Der Victoria Day, der traditionell am zweitletzten Montag im Mai gefeiert wird, ist der Auftakt zur Outdoor-Saison – normalerweise.

Das Hafenstädtchen Skagway in Alaska lebt vom Kreuzschifftourismus. Dieser fällt nun wegen des Lockdowns komplett weg - ein herber Verlust. Bild: Christine Mäder
  • Dossier

Christine Mäder

Das verlängerte Wochenende im Mai ist für viele Yukoner gleichbedeutend mit dem ersten Campingtrip der Saison, was diesmal ins Wasser fiel, da die Campingplätze infolge des Coronavirus erst im Juni aufgehen. Tradition ist, vor allem für uns in Whitehorse, auch ein Ausflug nach Skagway im benachbarten Alaska. Das im Winter knapp 1000 Seelen zählende historische Goldrausch-Städtchen war anno 1897 der schnellste Zugang zu den Klondike-Goldfeldern im Norden des Yukons. Nachdem in den ersten Jahren alles Hab und Gut mühselig über den Chilkoot Pass geschleppt werden musste, war nach der Fertigstellung der Eisenbahngleise nach Carcross, Yukon, im Jahr 1900 der White Pass die bevorzugte Route.

Heute ist die sich den schroffen Felshängen entlang zur Passhöhe hinaufschlängelnde Schmalspurzugstrecke eine der beliebtesten Attraktionen für die nahezu eine Million Kreuzfahrtpassagiere, die jeweils von Mai bis Oktober in Skagway für Tagesausflüge andocken. Am Victoria-Day-Weekend hingegen ist das putzige Städtchen mit den hölzernen Trottoirs und den historischen verkleideten Fassaden fest in der Hand der Yukoner, denn an diesen Tagen im Mai nehmen unsere amerikanischen Nachbarn den seit Jahren weit schwächeren kanadischen Dollar zum Nennwert. Und der mehrstündige Ausflug mit der Bahn kostet für uns bloss einen Viertel des normalerweise recht stolzen Preises.

Ein Verlust für beide Seiten

Doch das elendigliche Coronavirus hat uns diesmal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die internationale Grenze zu Kanada bleibt bis mindestens 21. Juni geschlossen und das gilt auch für Ausflüge ins 176 Strassenkilometer von Whitehorse entfernte Skagway. Eine herbe Enttäuschung für uns Yukoner, denn nicht wenige meiner Bekannten nehmen öfters mal die zwei Stunden Fahrzeit in Kauf, um im «Starfire»-Restaurant wieder mal authentische Thai-Gerichte zu geniessen oder sich mit dem legendären «Alaskan Amber Ale» einzudecken. Auch mein absolutes Lieblingsbier, auf das ich aber solange Trump da drüben Trumpf bleibt, weiterhin verzichten werde.

Ein weitaus grösseres Handicap ist die geschlossene Grenze jedoch für die Einwohner von Skagway, die für viele Spezialwaren, Zahnbehandlungen oder Tierarztbesuche nach Whitehorse kommen. Ohne Strassenverbindung zu anderen Orten in Alaska ist das am Ende des Lynn-Kanals gelegene Hafenstädtchen nun ganz auf den spärlichen Fährenbetrieb in den Hauptort Juneau angewiesen.

Ohne Kreuzfahrten kein Einkommen

Skagway, dessen Einwohnerzahl sich im Sommer mehr als verdoppelt mit Angestellten in den saisonal betriebenen Souvenirläden und Kunstgalerien, lebt praktisch ausschliesslich vom Kreuzfahrtentourismus. Wenn gleich mehrere dieser riesigen schwimmenden Hotels andocken, bummeln an einem Tag bis zu 15 000 Leute durch die Strassen ehe sie wieder zu ihren Schiffen zurückkehren oder per Bus oder Zug in den Yukon weiterreisen.

Doch fast alle Kreuzfahrtunternehmen haben wegen Covid-19 für diesen Sommer ihre Alaska-Reisen abgeblasen, was primär für Skagway ein enormer Verlust ist, aber auch arge Auswirkungen auf den Tourismus im Yukon hat. Die per Bahn nach Carcross kommenden Tagesausflügler werden dem 525-Seelen-Dorf der Carcross/Tagish First Nation massiv fehlen. Und Carcross Commons, die attraktive Ansammlung kleiner Gebäude, die saisonal eine bunte Ansammlung von lokalen Künstlern, Kunstgewerblerinnen und -verkäufern beherbergen, wird ohne den Touristenrummel diesen Sommer nur spärlich besetzt sein.

Ganz zu oder nur auf Sparflamme

Auch den Hotels und Restaurants in Whitehorse werden die Kreuzfahrtpassagiere, die normalerweise auf ihren Landausflügen in unserer Stadt Zwischenstation auf dem Weg nach Dawson City machen, fehlen. Dort in der ehemaligen Goldgräberstadt im Klondike bleiben deshalb etliche Hotels, Restaurants und Läden ganz geschlossen oder laufen auf Sparflamme.

Der Yukon macht sich auf eine Saison (fast) ohne Touristen gefasst, was auf einen Einkommensverlust von gut 60 Millionen kanadischen Dollars geschätzt wird. Am heftigsten trifft das vor allem Kleinunternehmen wie Kanuvermieter, lokale Tourenanbieter und Bed-and-Breakfasts, die sonst zwischen Juni und September praktisch ihr ganzes Jahreseinkommen erwirtschaften.

Abgeriegelt von der Aussenwelt

Normalerweise nimmt um diese Jahreszeit der Verkehr auf dem Alaska Highway merklich zu und man sieht Autoschilder von allen kanadischen Provinzen und vielen amerikanischen Bundesstaaten. Nicht so 2020: Das Coronavirus hat alles über den Haufen geworfen. Der Yukon ist noch immer im Lockdown, ziemlich hermetisch abgeriegelt von der Aussenwelt, damit unsere seit 20. April unverändert bei elf Personen stehende Zahl von Covid-19-Betroffenen auch weiterhin so tief bleibt. Die Landesgrenzen sollen bis 21. Juni geschlossen bleiben; aber auch innerhalb Kanadas sind Bestrebungen im Gange, die Bewohner in ihrer eigenen Provinz oder in ihrem Heimterritorium zu behalten.

Während ich diesen Bericht schreibe, preist die Website der deutschen Chartergesellschaft Condor ab 28. Juni wöchentliche Direktflüge von Frankfurt nach Whitehorse an. Doch der Chefarzt unseres Gesundheitswesens, Brendan Hanley, hat letzte Woche betont, dieser Flug werde nicht stattfinden. Auch wenn in absehbarer Zukunft die Bestimmungen für international Reisende gelockert werden sollten, wer will schon die ersten 14 Tage seiner Ferien hier in Whitehorse in einem Hotel die vorgeschriebene Quarantänezeit absitzen?

Vorsichtige Lockerung

Sorgfältig und in ganz kleinen Schritten werden die Covid-19-Auflagen bei uns gelockert. Letzte Woche empfingen Physio- und Massagetherapeuten sowie eine Vielfalt von Geschäften erstmals wieder Kundschaft, seit Mittwoch kann man zum Coiffeur und ab heute Freitag dürfen Restaurants Gäste willkommen heissen, jedoch nur mit halber Kapazität und insofern sie einen von den Behörden abgesegneten Plan mit Sicherheitsvorkehrungen haben. Bars hingegen bleiben bis auf Weiteres geschlossen.

Hashtag Explore Yukon Later

Unsere Tourismusbehörde hat sich der «neuen Normalität» angepasst und kürzlich einen TV-Werbespot lanciert mit dem Hashtag Explore Yukon Later, um der Welt zu versichern, dass man zwar momentan nicht zu uns reisen kann, wir aber hier sein werden, wenn die Zeit kommt. Unsere alaskanischen Nachbarn werben mit einer ähnlichen Message: «Träumt jetzt und reist später – Alaska wartet auf euch».

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim Bieler Tagblatt. 1996 wanderte sie in den spärlich besiedelten 
Yukon aus, wo sie heute in Whitehorse als 
Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist

Stichwörter: Fernweh, Yukon, Camping, Alaska

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