Sie sind hier

Abo

Erster Weltkrieg

Als Biel gespalten war

Der Ausbruch des Kriegs lässt die Schweiz nicht unberührt. Die unterschiedlichen Sympathien für die Kriegsgegner beeinträchtigen das politische Klima – so auch in Biel.

Im Wehrdienst: Landsturm-Soldaten aus Biel 1914 in der Taubenlochschlucht. In Biel wird der Krieg spürbar – auch in innenpolitischer Hinsicht. Bild: zvg/mémreg

von Nicolas Bollinger und Fabian Maienfisch

Heute vor 100 Jahren begann in der Schweiz die Mobilmachung. Der Krieg spaltete das Land entlang der Sprachgrenze.

Als am 28. Juli 1914 der Erste Weltkrieg mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien begann, war die Schweiz militärisch vorbereitet. Seit 1907 wurde die Armee umorganisiert und modernisiert. Heute vor 100 Jahren stellte der Bundesrat die gesamte Armee auf Pikett und löste am 1. August die Mobilmachung aus, so das Historische Lexikon der Schweiz. Zwischen dem 3. und dem 7. August rückten an die 220 000 Mann in den Aktivdienst ein. Ein Grossteil davon in der Region Biel-Seeland Berner Jura: Aufgrund der aufflammenden Kämpfe im Elsass ordnete Ulrich Wille, der General der Schweizer Armee, am 11. August eine Konzentration der Truppen im Jura an. Die Region vom Mont-Vully bis zum Jolimont galt als Schlüssel in der Verteidigung des Landes und wurde zusätzlich befestigt.


Die militärische Bedrohung war real: Sowohl das Deutsche Reich als auch die Franzosen hatten Pläne, durch die neutrale Schweiz zu marschieren, um dem Feind in den Rücken zu fallen. Zudem kam es während der Kriegsjahre zu rund 1000 Grenzverletzungen.


Ein gespaltenes Volk
Obschon die Schweiz von kriegerischen Handlungen verschont blieb, litten Soldaten und Bevölkerung gleichermassen. Die Schweizer Behörden waren auf den Krieg weder wirtschafts- noch sozialpolitisch zureichend vorbereitet. Der Aktivdienst stellte an die Soldaten und die Bevölkerung grosse Anforderungen. Die prekäre Versorgungslage, die Verknappung und Verteuerung der Lebensmittel und Verbrauchsgüter, die sehr spät angesetzte Rationierung und die steigende Arbeitslosigkeit stürzten viele Wehrmänner und ihre Familien in die Armut.


In der Arbeiterstadt Biel beispielsweise wurden die Löhne bei Kriegsausbruch stark gekürzt – sie erreichten bis Kriegsende nicht mehr die reale Kaufkraft der Vorkriegszeit. Die Teuerung und die schlechte Lebensmittelversorgung verstärkten die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft. Im Gefolge einer Hungerdemonstration kam es im Juli 1918 zu Strassenkrawallen, die erst ein militärisches Aufgebot beendete. Dem Aufruf zum Landesstreik im November 1918 folgte die Bieler Arbeiterschaft fast geschlossen. 1919 wurde sogar eine kommunistische Partei gegründet, die aber unbedeutend blieb.


Das war nicht der einzige innenpolitische Konflikt, den der Krieg zur Folge hatte: Die Kriegsbegeisterung in Deutschland und Frankreich schwappte teilweise auch auf die Schweiz über. Da die französische Schweiz mit Frankreich und die deutsche Schweiz mit dem Deutschen Reich sympathisierte, entstand eine Kluft, die auch in Biel spürbar wurde.   
 

*******************************************

Der Grosse Krieg  erschüttert die Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Grundfesten. Die Schweiz bleibt davon nicht ausgenommen. Obwohl die Schweiz von direkten Kriegshandlungen verschont bleibt, tangiert der Erste Weltkrieg das Land auf vielfältige Art und Weise. Der auch als Wirtschaftskrieg geführte Krieg stellt die Schweizer Wirtschaft täglich vor neue Herausforderungen. Die lange Kriegsdauer, die Monotonie des Wehrdienstes und die fehlende soziale Absicherung der Wehrmänner und ihrer Familien bewirken grosse Unzufriedenheit. Die unterschiedlichen Sympathien für die Kriegsgegner Deutschland und Frankreich schlagen sich im politischen Klima nieder – so auch in Biel.


Der Krieg in den Medien
Unter dem Eindruck der äusseren Bedrohung erwacht in der Bieler Bevölkerung Anfang des Ersten Weltkriegs zunächst eine grosse‚ die Sprachgrenzen überschreitende Solidarität; danach aber treten soziale und politische Differenzen auf. Während die Deutschsprachigen eher Deutschland zuneigen und das panslawistische‚ später bolschewistische Russland fürchten, unterstützen die französischsprachigen Bieler die Alliierten und misstrauen dem deutschen Kaiserreich. Ein regelrechter Graben tut sich zwischen den beiden Sprachgruppen auf.


Wie zeigen sich die Verhältnisse in Biel? Das «Bieler Tagblatt» fährt damals einen weniger deutschfreundlichen Kurs als die übrige Deutschschweizer Presse. So publiziert es als eine der wenigen Deutschschweizer Zeitungen die offizielle Protestnote der belgischen Regierung nach der Invasion des neutralen Belgiens durch Deutschland. Doch kritisiert es auch das Schweigen der Romands, als die Alliierten in Griechenland eindringen. Das BT (deutsch) und L`Express (zweisprachig), verfechten die strikte Neutralität des Bundesrates: «Wir wollen und müssen moralisch neutral sein [...]‚ absolut unvoreingenommen, keine Sympathie für ein besonderes Volk oder einen unseren Nachbarstaaten äussern.» Das «Journal du Jura» hingegen ist von dieser absoluten Neutralität nicht überzeugt: «Man darf doch mit dem einfachen Verweis auf die Neutralität von den Schweizern nicht verlangen, dass sie dem weltweiten Konflikt ungerührt zuschauen.» Insgesamt drücken sich die frankofonen Journalisten in Biel gemässigter aus als ihre Westschweizer Kollegen, aber auch sie sind vor gewissen nationalistischen Gefühlsregungen nicht gefeit. So kommentiert das «Journal du Jura» einmal den Krieg als Kampf zwischen «dem demokratischen, athenischen und humanitären Frankreich und dem militaristischen‚ pangermanistischen Deutschland» und meint: «Ein Sieg Frankreichs würde das vorherrschende deutsche Element der Schweiz zwar nicht aufheben, aber ein Sieg Deutschlands wurde dieses Element in bedrohlicher Weise stärken.»


Affäre mit Zündstoff
Wegen einer Reihe von Affären zwischen 1915 und 1917 nimmt das Aufbrechen des Sprachgrabens Züge einer landesweiten Krise an. Bei der sogenannten Obersten-Affäre wird das besonders augenfällig.


Ende 1915 kursieren Gerüchte, die Obersten Karl Egli und Friedrich Moritz von Wattenwyl hätten dem deutschen Militärattaché in Bern vertrauliche Dokumente übergeben und somit die Neutralität verletzt. In der Westschweiz, wo der Vertrauensverlust enorm ist, fordert man umgehend die Abschaffung der bundesrätlichen Vollmachten, weil sie die Schweiz zu einer Art Miltärdiktatur im Dienste Deutschlands machen würden. Den Obersten wird 1916 der Prozess gemacht, welcher mit Freisprüchen endet.


Die Affäre schwelt indessen noch einige Tage weiter, auch in Biel. Die Sozialdemokraten von Biel und Madretsch rufen am 5. März zu einer Volksversammlung auf, was dem Stadtpräsidenten nicht geheuer ist. Louis Leuenberger (FDP) hält am 5. März in diesem Zusammenhang eine ausserordentliche Gemeinderatssitzung ab, an der die Freisinnigen Cäsar Türler und Alfred Friedrich ein Versammlungsverbot zur Diskussion stellen. Schliesslich begnügt sich der Gemeinderat damit, zur Wahrung der Ordnung Feuerwehr und Polizei unter direkter Order des Stadtpräsidenten aufzubieten. Man will verhindern, dass anlässlich der Versammlung ähnliche Unruhen ausbrechen wie in Freiburg und Pruntrut am Tag nach der Urteilsverkündung.


Die Versammlung schliesst mit einer Resolution, die ein Ende der bundesrätlichen Vollmachten und der Militärgerichte fordert. Da die Westschweizer Freisinnigen nicht hinter den Sozialdemokraten zurückstehen wollen, organisieren sie am 14. März ihre eigene Demonstration, wobei sie sich auf Forderungen stützen, die in der Romandie bereits erhoben worden sind: gegen ein Regime einzuschreiten, das nach und nach mit den demokratischen Institutionen unvereinbar geworden sei.

Gerade in Biel hat die Obersten-Affäre Auswirkungen auf den Zusammenhalt von Deutschschweizern und welschen Freisinnigen: Die Westschweizer und die Tessiner Sektion drohen, sich von der deutschschweizerisch dominierten Partei, die bis anhin allmächtig schien, jetzt aber Zeichen der Schwäche zeigt, abzuspalten. Die Bieler Freisinnigen überlegen sich sogar einen Anschluss an die jurassische Parteisektion und verlangen wie die Jurassier‚ dass die militärische wieder der zivilen Gewalt unterstellt wird.   

«Le fossé» – Der Graben
• Zu Beginn des Ersten Weltkriegs ist die Schweiz tief gespalten. Die Deutschschweizer halten mehrheitlich zum Deutschen Reich und zu Österreich-Ungarn, die Welschen unterstützen die Gegenpartei, Frankreich, Grossbritannien und Russland.
• Am 14. Dezember 1914 hält der Dichter Carl Spitteler in Zürich die historische Rede «Unser Schweizer Standpunkt». Spitteler ermahnt die Schweizer eindringlich, sich nicht auf die Seite einer Kriegspartei zu schlagen. Sie sollen zu den «Brüdern» in den anderen Landesteilen der Schweiz halten. Denn die Landesgrenzen bedeuteten «auch für die politischen Gefühle Marklinien». Ausdrücklich fordert er von der Schweiz strikte Neutralität.
• Die Rede vermag die Wogen nicht zu glätten. 1915 sieht sich der Bundesrat genötigt, die öffentliche Diffamierung fremder Völker und Regierungen in der Schweiz unter Strafandrohung zu verbieten.    


Info: Dieser Text basiert auf dem Buch «Bieler Geschichte. 1815 bis heute».

Nachrichten zu Biel »