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Nidau

Als Exot will er die Gemeinde umkrempeln

Beat Cattaruzza ist der dritte Herausforderer, der im Herbst das Nidauer Stadtpräsidium anstrebt. Der Grünliberale schert sich nicht um Konventionen. Als Stadtpräsident würde er die Verwaltung auf den Kopf stellen.

Beat Cattaruzza zu finden ist nicht schwer: Meist ist er in der Dispo-Halle anzutreffen. Matthias Käser
  • Dossier

von Carmen Stalder

Nach einem Vierteljahrhundert zieht es ihn zurück in die Politik: Ende September will Beat Cattaruzza (GLP) zum Nidauer Stadtpräsidenten gewählt werden. Bereits als die Grünliberalen im Frühjahr verkündeten, dass sie als neue Partei die Politik im Stedtli aufmischen wollen, sprachen sie von grossen Ambitionen. Mindestens drei Sitze im Stadtrat wolle man erobern, sagte Parteipräsident Stefan Dörig, bezüglich Gemeinderat oder Stadtpräsidium schliesse man nichts aus (das BT berichtete).

Entsprechend sorgte die Bekanntgabe der Kandidatur von Cattaruzza letzte Woche kaum für Überraschung. «Wir wünschen uns fürs Stadtpräsidium eine Person, die weiss, wie man mit Menschen umgeht und sie führt. Beat verkörpert diese Qualitäten nahezu perfekt», sagt Stefan Dörig, Parteipräsident der Nidauer GLP. Dank seinem Netzwerk könne er die Interessen von Nidau in der ganzen Region vertreten.

Unter den bisherigen Anwärtern ist der 55-Jährige aber definitiv der exotischste. Tobias Egger (SP) und Roland Lutz (SVP) sind beides langjährige Lokalpolitiker, ersterer sitzt gerade einmal 26-jährig bereits seit sieben Jahren im Stadtrat, letzterer ist seit 2013 Mitglied im Gemeinderat. Und auch die aktuelle Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP) kann bald auf zwei Legislaturen in ihrem Amt zurückblicken. Soeben hat ihre Partei bekannt gegeben, dass sie für eine dritte Runde antritt.

Beat Cattaruzzas Rucksack an politischer Erfahrung dagegen ist eher klein, das räumt er beim Treffen in der Dispo-Halle unumwunden ein. Obwohl, da gibt es so eine Geschichte: Er war noch jung, als er erstmals mit einem Glanzresultat gewählt wurde. Sein Klassenlehrer habe die Schülerinnen und Schüler beauftragt, eigene Parteien zu gründen. Das Programm seiner LFJ, das stand für «Lehm für Jede», sah unter anderem vor, das Militär abzuschaffen. «Ich habe das beste Resultat erzielt», sagt er mit einem Grinsen. Sein politisches Interesse sei ab diesem Zeitpunkt geweckt gewesen. In den kommenden Jahren standen aber andere Themen im Fokus: die Karriere als Eishockeyspieler, die Ausbildung, die Gründung einer eigenen Agentur.


Viel Schelte eingesteckt

In den 90ern folgte der erste Ausflug in die echte Politik, und zwar in Biel: Während vier Jahren sass er für den parteilosen Zusammenschluss «Für Biel» im Parlament. «Wegen meiner teils links-grünen, teils liberalen Entscheide habe ich viel ‹Zusammenschiss› kassiert.» Weil die persönliche Belastung mit der Zeit zu gross wurde, brach er seine Zelte als Stadtrat wieder ab. Zwar habe er spannende Einblicke in das System erhalten. Dennoch sagte er sich nach dieser Erfahrung: «Nie wieder Politik!»

Dass er seine Meinung jetzt, 25 Jahre später, geändert hat, liegt an mehreren Gründen. Da wäre einmal die neue Partei, die seine Ansichten widerspiegelt. Es sei an der Zeit für einen Wandel im Stedtli, glaubt Cattaruzza, «weg vom Konservativen hin zum Progressiven». Mit der als Mittepartei positionierten GLP, die eine Abkehr vom Links-Rechts-Denken verspricht, sei dieser Wechsel am besten zu erreichen. Und dann gibt es da auch einige Dinge, die nach seiner Meinung in den vergangenen Jahren nicht allzu gut gelaufen sind.

Beat Cattaruzza sieht sich als Dienstleister. Es ist eine Rolle, die er sich schon immer zugeschrieben habe: Als Eishockeyspieler habe er dem Publikum Unterhaltung geboten, als Agenturinhaber den Kunden und Kundinnen erfüllte Aufträge. Und als Politiker gehe es darum, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Eben damit sei es im Stedtli nicht immer zum Besten bestellt. So habe er auf ein Baugesuch auch schon einfach keine Rückmeldung erhalten.


Ein Faible für Brachen

Als Stadtpräsident würde Cattaruzza die Verwaltung auf den Kopf stellen und den Service-Public-Gedanken verstärken. Das Personal möchte er gestalten statt verwalten lassen. Seine Stärken sieht er in seiner Durchsetzungskraft und in seinem Pragmatismus. Er habe nicht nur Visionen, sondern könne sie auch umsetzen, wie etwa bei der erfolgreichen Zwischennutzung Dispo. «Bei vielen tollen Ideen werden die rechtlichen Rahmenbedingungen vergessen. Dabei verpufft dann unnötig viel Energie.»

Zwischennutzungen und urbane Entwicklung gehören zu Cattaruzzas Lieblingsthemen. Auf einer zweijährigen Reise schaute er sich Brachen und kaputte Städte an, wie er sie nennt, Detroit und die South Bronx etwa. Seine Erfahrungen bezüglich innovativen Formen der Zusammenarbeit und des Wohnens möchte er in die Gestaltung der Expo-Brache einfliessen lassen. Ein anderes Anliegen ist die Kreislaufwirtschaft: Geht es nach ihm, soll Nidau zur ressourcenschonendsten und nachhaltigsten Gemeinde im Kanton werden. Er selbst gehe als gutes Beispiel voran, indem er ein möglichst minimalistisches Leben anstrebe. Seit fünf Jahren hat er sich keine neuen Kleider gekauft, sagt er – und man glaubt es ihm, wie er da in seinen mit Klebeband zusammengeflickten Flip Flops vor einem steht.

10'000 Stunden lang müsse man sich mit etwas beschäftigen, bis man es beherrsche, so die Devise des Nidauers. Etwa so viel Zeit habe er damals in den Bieler Stadtrat investiert. Entsprechend fühle er sich bereit für das angestrebte Amt. Dennoch, so recht kann man es sich nicht vorstellen: Beat Cattaruzza an der Spitze des Stedtli? Er, dessen Büro im Dispo aus Latten zusammengezimmert und mit nicht wegzubringendem Staub überzogen ist, der mit seiner kumpelhaften Art sofort mit allen per Du ist und der während des Gesprächs einen dicken Stumpen raucht? «Klar, durch meine Herangehensweise und mein Auftreten bin ich ein Exot», sagt er. Doch seine Chancen, am 26. September gewählt zu werden, bezeichnet er als intakt. Nidau verfüge über ein Riesenpotenzial, das bisher nicht ausgeschöpft worden sei. Das wolle er ändern.

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Zur Person

  • Beat Cattaruzza ist 55 Jahre alt und Vater von zwei erwachsenen Söhnen.
  • Er ist in Lyss aufgewachsen. Nach der Lehre zum Augenoptiker hat er in Biel die damalige Kunstgewerbeschule absolviert und später die eigene Agentur C2 gegründet.
  • Beim EHC Biel stand er während 13 Jahren als Profispieler auf dem Eis.
  • Seit Ende 2018 ist er Präsident der Zwischennutzung Dispo in Nidau – eine Mischung aus Co-Working-Space, Veranstaltungslokal, Plattform für verschiedenste Projekte und offenem Treffpunkt.

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