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Biel

Als würde er seine grosse Liebe verlassen

Nach fast zehn Jahren übergibt Mario Corchia das Restaurant de la Tour in der Bieler Altstadt an Ivan Rorato. Der Abschied fällt ihm schwer: Nicht nur, weil er sich mit dem Lokal besonders verbunden fühlt, sondern auch, weil er einen Verlust zu beklagen hat.

Ivan Rorato (links) übernimmt das «De la Tour» von Mario Corchia. Ab Oktober ist das Restaurant wieder offen. Peter Samuel Jaggi

von Carmen Stalder

Taglioni mit Meeresfrüchten, Tintenfischsalat nach mediterraner Art oder hausgemachte Gnocchi: Im Restaurant de la Tour in der Altstadt in Biel standen in den vergangenen knapp zehn Jahren italienische Spezialitäten auf der Karte. Eine Küche «comme chez maman», wie bei Mutter, mit lokalen und saisonalen Zutaten, so lautete das Credo von Küchenchef Mario Corchia. Es gab Egli aus dem Bielersee und im Herbst Steinpilze, Trüffel und Wild aus der Region.

Die Eltern des 58-Jährigen stammen aus dem süditalienischen Apulien, er selbst ist in St-Imier aufgewachsen und lebt seit den 80er-Jahren in Biel. Vor dem «De la Tour» war er unter anderem im Hotel Continental und im Restaurant Tavola Calda tätig. Nun schliesst er auch das Kapitel «De la Tour» ab. Diese Woche war er mit den letzten Aufräumarbeiten beschäftigt, ab Oktober übernimmt sein Nachfolger Ivan Rorato das Restaurant.


Die Liebe galt dem Restaurant

Für Corchia ist es ein Wechselbad der Gefühle. In den vergangenen Jahren hat er täglich zwischen 14 und 16 Stunden gearbeitet, in den ersten sechs Jahren an sieben Tagen die Woche. Ja, er habe viel dafür geopfert und sei jetzt langsam müde, sagt er. Doch die Müdigkeit ist nicht der Grund für sein Aufhören.

Vor eineinhalb Monaten ist sein enger Mitarbeiter verstorben. Wie aus dem Nichts, an einem Herzinfarkt. «Das hat mich zum Nachdenken gebracht», sagt Corchia. Er sei nicht verheiratet, habe keine Kinder. «L’amour, c’était le restaurant», sagt er, seine ganze Liebe galt dem Restaurant. Nirgends habe er sich so sehr zuhause gefühlt wie in den historischen Gemäuern des Altstadtlokals. Doch eben, der plötzliche Tod seines Mitarbeiters habe das alles relativiert. Und kurzerhand hat er beschlossen, sein Leben neu auszurichten.

Bevor Mario Corchia das Restaurant verlässt, nimmt er sich noch einmal Zeit, um über die letzten Jahre zu sprechen. Ein magischer Ort sei das «De la Tour», ein Ort, der Wärme und Emotionen ausstrahle. «Es ist schwierig, anderswo so etwas zu finden.» Seine Gäste seien aus der ganzen Schweiz angereist, darunter viele Stammgäste, die ihm während Jahren die Treue gehalten haben. Sogar ein Bundesrat habe bei ihm gespeist, «aber Sie müssen nicht schreiben, welcher es war».

Das Lokal ist verwinkelt und auf mehrere Etagen verteilt, vom kleinen Stübli bis zum Raum im Turm mit seinen hohen steinernen Mauern, wo die Nachmittagssonne schräg hineinfällt und ein Brunnen plätschert. Das Restaurant bietet Platz für 130 Gäste. Dazu kommt die Terrasse, im Sommer von Reben überwuchert. «Davon habe ich profitiert», sagt Corchia, «dank der Terrasse kamen die Gäste auch im Sommer – obwohl ich weit weg vom See bin.»


Er verschwindet nicht ganz

Wie es nun für Mario Corchia weitergeht, ist offen. Zuerst gönnt er sich einen Monat Ferien. Dass er danach wieder in der gleichen Branche eine Arbeit suche, sei klar: «Ich kann nichts anderes als Kochen», meint er mit einem Schmunzeln. Er habe schon mehrere Angebote erhalten, jedoch noch nirgends zugesagt. Vielleicht werde er auch wieder etwas Neues eröffnen. Anhänger seiner Küche dürfen jedenfalls gespannt bleiben. «Ich sage Au Revoir, nicht Adieu.»

Künftig wird Ivan Rorato hinter dem Herd des «De la Tour» stehen. Der 48-Jährige stammt ebenfalls aus Italien und ist nahe von Venedig aufgewachsen. Nun lebt er seit einem Jahr in der Schweiz, derzeit in Le Landeron. Zuletzt war er auf die Beratung von Restaurants spezialisiert, hat aber auch schon in Frankreich oder Russland gekocht. Sein letztes Projekt war das «La Dispensa» in Neuenburg, das im Frühling eröffnet worden ist. Mit dem «De la Tour» wagt sich der Koch nun an sein erstes eigenes Lokal. Er wolle nicht alles umkrempeln, sagt er, neu komme aber sicher auch Pizza auf die Karte. «Mein Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, an dem sich die Leute treffen können», sagt Rorato.

Corchia ist derweil überzeugt, jemanden gefunden zu haben, der frischen Wind ins Restaurant bringt. «Er ist viel begabter als ich», sagt Corchia anerkennend. Für ihn war es zwingend, dass sich das Restaurant weiterhin der italienischen Küche widmet. «Ich wollte jemanden, der das alles erhält, was ich geschaffen habe.»

Noch spricht Rorato nur Italienisch, Französisch muss er sich erst aneignen. Corchia glaubt allerdings nicht, dass dies seinem Nachfolger zu einem Problem werden könnte. Schliesslich spreche er selbst auch nur Französisch – und die Kommunikation mit den deutschsprachigen Gästen habe trotzdem geklappt. «Ich möchte mich bei ihnen für ihre Geduld mit mir bedanken», sagt er und lacht.

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