Sie sind hier

Abo

Biel

Ananas, Kaktus und das grosse Ganze

Viele Einbände von Notizbüchern sind aus Kunst- oder Echtleder gefertigt. Das geht auch anders, haben sich die Seeländerinnen Valérie und Sophie Jungo gesagt und JU Moment gegründet.

Sophie (links)undValérie Jungo:Nach dem erfolgreichen Start von JU Moment geht es den beiden Unternehmerinnen nun darum, sichtbarer zu werden. Bilder: zvg

Raphael Amstutz

Sie sind Pionierinnen, die beiden jungen Seeländerinnen Valérie und Sophie Jungo mit ihrem Start-up JU Moment. Ihre Notizbücher mit pflanzlichen Einbänden entweder aus Kaktus- oder Ananasleder gibt es so noch nirgends. Vor weniger als einem halben Jahr sind die Jungunternehmerinnen in Biel mit ihrem Start-up gestartet und konnten bereits mehrere hundert Notizbücher verkaufen. 

Doch der Reihe nach: Zu Beginn der Coronapandemie diskutierten die Schwestern über mögliche Ideen für ein Start-up. «Wir haben seit jeher grosse Lust, etwas von A bis Z gemeinsam durchzuziehen.» Sophie hat einen kaufmännischen Hintergrund und befindet sich im Schlussspurt ihrer Multimedia-Ausbildung. Valérie macht ihren Master in Psychologie und ist im Bereich Coaching tätig. Persönlichkeitsentwicklung ist den beiden wichtig – ebenso das Visuelle und das Haptische, das Ästhetische und das Nachhaltige. Zudem ist da die Liebe zu Notizbüchern und zum Schreiben von Hand, die beide teilen. In einem der vielen Gespräche fällt schliesslich der Entscheid: «Wir müssen das Rad ja nicht neu erfinden. Wir können auch etwas Bestehendes nehmen und es verbessern.» Und der zweite Entscheid: «Wir machen Notizbücher.» Obwohl die beiden bislang keine Berührungspunkte mit der Papeteriebranche hatten.

«Wir zählen die Stunden nicht»

Sie starten also ihre ausführlichen Recherchen. Dabei wird klar: Viele Einbände sind aus Kunst- oder tierischem Leder gefertigt, pflanzliche Leder sind kaum zu finden. In der Modebranche hingegen sind diese Materialien bereits bekannter. Nach viel Tüftelei und noch mehr Tests fällt die Wahl auf Kaktus und Ananas. «Ebenso spannend und abenteuerlich wie das Finden des passenden Materials war es, nach einer Verarbeitung hier vor Ort zu suchen», erklärt Valérie. 

Denn die Absicht war klar: Die Notizbücher sollen zu 100 Prozent in der Schweiz produziert werden. Für die meisten angefragten Buchbindereien seien diese beiden Leder absolutes Neuland. Schliesslich fanden sie in Bern aber jemand, der die Arbeit ausführen kann. «Die Einbände entstehen aus einer Mischung aus maschinellen und manuellen Schritten», sagt Sophie.

Ob Webdesign oder Verhandlungen mit den Händlern, ob Kommunikation mit den Kundinnen oder Auslieferung, ob Planung oder Buchhaltung – erledigt wird alles von den zwei Schwestern. Durch ihre Berufe und Ausbildungen sind beide ausgelastet, so werden die Arbeiten nachts oder an den Wochenenden erledigt. 

Rasch ist das Pensum auf über 20 Prozent gestiegen – «gedanklich sind es 100 Prozent», wie sie lachend ergänzen. Bald wird ihr jüngerer Bruder Loris beim Start-up einsteigen. So oder so: Die Schwestern erzählen von grosser Unterstützung in der Familie und durch Freunde und betonen: «Die Grenze zum Hobby ist fliessend. Wir zählen die Arbeitsstunden nicht.»

Geht das denn gut, so viel Zeit zusammen zu verbringen? Ja, sagen beide zeitgleich. Der erste Vorteil: Sie würden sich gut ergänzen. Konflikte gebe es auch deshalb kaum, weil die Aufgabenbereiche klar getrennt seien. Der dritte Schlüssel: eine klare Kommunikation. «Wir telefonieren mehrmals täglich», sagt Valérie.

Was braucht es denn, damit es klappt mit der Selbstständigkeit? Mut, Motivation und Energie, sagen die beiden. Von diesen drei Zutaten scheinen die Geschwister Jungo im Übermass zu verfügen. Noch befinden sich Lager und Fotostudio in den jeweiligen Wohnungen der Schwestern. Nun haben sie aber einen Atelierraum gefunden. «An diesem Ort führen wir alles, was JU Moment betrifft, zusammen. Das ist organisatorisch eine grosse Erleichterung», sagt Sophie.

Im Zentrum stehe momentan die Frage: Wie können wir sichtbarer werden? Dafür wird viel Zeit aufgewendet – mit Werbung in den Sozialen Medien oder persönlichen Besuchen bei Firmen. Am wichtigsten bleibe aber die Mund-zu-Mund-Werbung. Denn: «Wir sind ganz klar kein Massenprodukt», sagt Sophie. Ein Notizbuch kostet rund 40 Franken. Aktuell sind fünf Varianten im Angebot.

Waren es am Anfang vor allem Einzelkundinnen, so bestellen nun auch Unternehmen. Diese lassen die Notizbücher individuell mit ihren Logos prägen und verschenken sie an Mitarbeiterinnen oder Kunden.

Wie fällt sie aus, die erste Bilanz nach knapp einem halben Jahr Jungunternehmerinnentum? Einfacher als befürchtet sei der Zeitfaktor gewesen. «Am Anfang schien alles nicht zu bewältigen», erinnert sich Valérie. 

Vieles könne frau sich aber rasch selber beibringen, so Sophie. «Es dauerte nur wenige Monate und bereits hatten wir ein fertiges Produkt in der Hand.» Deshalb würden sie allen, die sich selbstständig machen wollen, raten: «Einfach mal anfangen.» Schwieriger als erhofft sei hingegen die Planung gewesen. «Es ist nicht ganz einfach, bei so vielen kleinen Schritten den Überblick zu behalten», sagt Valérie. Schliesslich die erwähnte Sichtbarkeit. «Niemand wartet auf einen», sagt Sophie. «Es ist an uns dafür zu sorgen, dass wir wahrgenommen werden», ergänzt Valérie. 

Was alles geplant ist

Wichtig ist den beiden deshalb, dass es um mehr geht als ein hübsch eingebundenes Buch mit leeren Seiten. Es gehe um die Geschichte, die das Produkt umgebe, «das grosse Ganze», wie sie es nennen: In einer technischen und abstrakt gewordenen Welt wollen sie für Inspiration und Achtsamkeit werben, für Nachhaltigkeit und Sorgfalt, für Bewusstheit und Entschleunigung. «Mit der Hand zu schreiben, erdet», sagt Valérie. Kurz: Es gehe ihnen um Persönlichkeitsentwicklung. Deshalb können sie sich vorstellen, das Angebot laufend auszubauen. Die Notizbücher könnten zum Beispiel dereinst mit Inhalten zum Thema Stress und Entschleunigung gefüllt werden, Schreib- oder Coachingkurse sind eine Möglichkeit. Auch Einbände aus Weinleder oder anderen Farben sind in Planung. 

Der erste Schritt nun aber: der Verkauf der Notizbücher in einem Laden. Bislang gab es JU Moment als Onlineshop. Das vegane Leder hat eine ganz eigene Haptik – das Ananasleder ist eher rau, dasjenige aus Kaktus fühlt sich eher wie traditionelles Leder an. Viele potenzielle Kundinnen könnten sich wenig unter den Materialien vorstellen, sagen die beiden. Deshalb sei es wichtig, dass die Bücher angefasst werden können. Und das ist nun bald möglich: Die Notizbücher werden im Sortiment von Bureaurama in Biel verfügbar sein.

Link: www.ju-moment.ch

Nachrichten zu Biel »