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Biel

Anarchie gibt es hier nur noch 
im hauseigenen Kiosk

Unauffällig, aber umtriebig: Die Bieler Wohngenossenschaft Pflasterstein besteht seit 20 Jahren. 
Einst hatten die Gründer utopischen Ideen, inzwischen geht es realistischer zu und her.

Günstig, alternativ, «Pflasterstein»: Die Wohngenossenschaft in der Altstadt feiert Jubiläum. Bild: mas

Marjorie Spart/pl

Bescheiden und beschaulich fügt sich der schmale Altstadtbau in die Häuserreihen an der Bieler Burggasse. Seit zwei Jahrzehnten ist hier die Bieler Wohngenossenschaft Pflasterstein zuhause. Das Kollektiv beruft sich auf libertäre Grundsätze. Vorstandsmitglied Johnny Rumpf erklärt: «Wer mit uns unter einem Dach leben möchte, sollte schon einige unserer Überzeugungen teilen. Allerdings verlangen wir nicht, dass sich Mitbewohner militant für diese Anliegen engagieren.» Was zähle, sei eine gewisse Affinität zur anarchistischen Utopie und zu alternativen Lebensformen, «aber in der Öffentlichkeit sind wir nicht sehr aktiv», so Rumpf. Überhaupt stehe der politische Anarchismus nicht mehr im Brennpunkt, auch wenn sich im Erdgeschoss des Gebäudes ein Infokiosk befindet, wo man Schriften über den Anarchismus und alternative Bewegungen kaufen oder einsehen kann.

 

Konkurrenzlos günstig
Immerhin hat die Genossenschaft Pflasterstein in den vergangen 20 Jahren bewiesen, dass man in Biel zu äusserst günstigen Bedingungen wohnen kann – wenn man denn will. Warum dem Projekt Erfolg beschieden ist, erklärt Rumpf so: «Mit dem Kauf des Gebäudes benötigen wir zwischen unserer Genossenschaft und der Hypothekarbank keinen Vermittler mehr, der am Objekt mitverdient. Indem wir das Haus der Spekulation entzogen haben, können wir ansprechenden Wohnraum zu günstigen Mieten anbieten.»

Die Liegenschaft mit der schmalen Fassade birgt drei Einzimmerwohnungen und eine Gemeinschaftswohnung für sieben Personen. Eine Gebäudeseite grenzt an die Schmiedengasse. Dort liegt im Erdgeschoss die Galerie Meyer und Kangangi. Auf der Hauptseite an der Burggasse erfolgt der Zugang über den Info-kiosk.

Die Mieten bewegen sich zwischen 250 und 600 Franken, wobei die Nebenkosten inbegriffen sind. Trotz der moderaten Einnahmen konnte die Genossenschaft ihre Bankverpflichtungen im Laufe der Jahre tilgen. «Seit fünf Jahren investieren wir nun in den Gebäudeunterhalt», freut sich Marianne Haldimann, Gründungs- und Vorstandsmitglied von «Pflasterstein».

Die Idee zum Wohnprojekt war am Ende der 80er-Jahre entstanden. Damals wohnten drei der Gründungsmitglieder im historischen Bau des ehemaligen Hotels Bielerhof beim Guisanplatz. Das prächtige Gebäude aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollte zusammen mit weiteren Häusern einem modernen Einkaufszentrum und Büroräumlichkeiten weichen. «Wir haben uns mit Einsprachen und Protestkundgebungen erfolglos gegen die Zerstörung der Bausubstanz gewehrt. Sogar unsere Gegenvorschläge fanden kein Gehör», erinnert sich Marianne Haldimann.

 

Zwei Jahre harte Arbeit
Einige der Protestierenden liessen sich durch den Misserfolg nicht beirren. Als Antwort auf die Erlebnisse am Guisanplatz beschlossen sie, sich den Gesetzmässigkeiten der Immobilienspekulation zu verweigern und strebten eine alternative Form des Wohnens an. Im Jahr 1996 wurde die heutige Liegenschaft an der Bieler Burggasse erworben. «Aber es brauchte noch zwei Jahre Arbeit, bis wir endlich einziehen durften», so Haldimann. Das Gebäude war von Coop für Reparaturwerkstätten und als Warenlager genutzt worden. «Der Zustand war geradezu baufällig – sogar Decken fehlten. Nicht einmal eine Zentralheizung war vorhanden.»

 

Schlaflos vor dem Fest
Letzten Freitag blickte «Pflasterstein» auf die vergangenen 
20 Jahre zurück und veranstaltete auf dem Burgplatz ein Fest. Es gab Essen und Musik, getreu nach dem Motto der Genossenschaft: «Günstig und alternativ». Dass der Anlass genau auf den First Friday fiel, hatte die Stadtverwaltung entschieden. «Die Zusammenlegung der beiden Veranstaltungen sollte die Belastung für die Anwohner der Altstadt verringern», weiss Johnny Rumpf. Was heute als vernünftig einleuchtet, bereitet den Organisatoren schlaflose Nächte. «Pflasterstein» hatte die auftretenden Musikgruppen nämlich auf Ende September verpflichtet. Aber am Ende waren sogar Bands aus Frankreich und Belgien bereit, den Auftritt zu verschieben. Etwas Anarchie ist also geblieben.

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