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Sexuelle Belästigung

Angestellte sind zuwenig gut geschützt

Das Gleichstellungsgesetz verlangt den Schutz des Personals vor sexueller Belästigung, sonst können Betroffene die Firma einklagen. Die Umsetzung klappt nur teilweise, wie eine Umfrage bei Bieler Firmen zeigt.

Der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist gesetzlich geregelt. copyright: Keystone

Sarah Zurbuchen


Die Vorkommnisse rund um den Bieler Bäcker und Lehrmeister, der im März wegen Ausnützung einer Notlage verurteilt worden war (Urteil ist noch nicht rechtskräftig), führte nun zu einer weiteren Massnahme. Die Unternehmensleitung des «Chez Rüfi» hat gut einen Monat nach der Urteilsverkündung auf ihrer Website veröffentlicht, dass sie ein «Präventionskonzept gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz» etabliert habe. Und weiter: «Wir dulden in unserem Betrieb keine sexuelle Belästigung und wir sorgen dafür, dass Betroffene Unterstützung erhalten und dass gegen belästigende Personen Sanktionen ergriffen werden.»
Was hier gut tönt, kommt eigentlich zu spät. Denn jeder Arbeitgeber ist laut Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau verpflichtet, das Personal vor sexueller Belästigung zu schützen (siehe auch Zweittext). Und zwar präventiv, also bevor etwas passiert. Dies hat die Führungscrew von «Chez Rüfi» jahrelang versäumt, mit einschneidenden Folgen.


«Sofort intervenieren»
Barbara Ruf, Leiterin kantonale Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern, präzisiert: «Ganz wichtig ist, dass Vorgesetzte sofort intervenieren, wenn sie sexistisches oder belästigendes Verhalten im Betrieb feststellen.» Indem sie sich selbst vorbildlich verhalten und deutlich zum Ausdruck geben würden, dass sie persönliche Grenzüberschreitungen nicht tolerieren, würden sie wesentlich zu einem belästigungsfreien Arbeitsklima beitragen.
Denn, was sich wohl viele Betriebe nicht bewusst sind: Kommt es wegen ungenügender Präventionsmassnahmen zu Belästigungen im Betrieb, kann die belästigte Person eine finanzielle Entschädigung durch den Arbeitgeber einklagen.
Eine kleine Umfrage bei Bieler Arbeitgebern zeigt, dass das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Die Rückmeldungen zeigen tendenziell, dass grosse Arbeitgeber ausreichend informieren, kleine hingegen wenig bis gar nichts unternehmen.
So ist sich etwa David Imhof, Leiter der Dienststelle Personal- und Organisationsentwicklung bei der Stadt Biel, der Aktualität des Themas bewusst. Die Stadt Biel hat eine interne Anlaufstelle für Personen, die sich belästigt fühlen. «Die Bieler Stadtverwaltung hat aber noch dieses Jahr vor, über eine externe, spezialisierte Anlaufstelle zu beraten», so Imhof. So könne die Anonymität besser gewährleistet und betroffene Personen besser geschützt werden. Auch plane die Stadt, lernende Praktikanten und ihre Berufsbildner noch besser zu sensibilisieren und auszubilden.
Auch das Spitalzentrum Biel setzt auf Sensibilisierung und Information, «wobei wir unsere Mitarbeitenden auch auf interne Anlaufstellen und externe Beratungsstellen hinweisen», wie die Leiterin Kommunikation Marie-Pierre Fauchère sagt. Das Spitalzentrum arbeite unter anderem mit einer Seco-Broschüre sowie mit einem Merkblatt, das mit dem Vertrag zugestellt wird.
Seitens Swatch Group heisst es, es herrsche das Nulltoleranz-Prinzip. Das Thema sexuelle Belästigung werde sehr ernst genommen, es gebe dazu eine Mitarbeiterkommission und es würden regelmässig Führungstrainings durchgeführt. Im Personalhandbuch wird das Thema ebenfalls ausdrücklich behandelt.


«Kein Konzept»
Andere Betriebe tun sich mit einer Antwort schwerer. Auf die Frage, was die Geschäftsführung in Bezug auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz unternehme, blieben Rückmeldungen von folgenden Arbeitgebern aus: Hotel Elite in Biel, Stadthaus AG Nidau und Laubscher Präzision AG in Täuffelen.
Die Ausführungen einer Seeländer Bäckerei, die nicht genannt werden will, zeigt einen typischen Reflex: «Bei uns hat ein solcher Vorfall noch nicht stattgefunden und wir können in dem Sinne auch kein Konzept vorweisen», heisst es lapidar. Dass eine solche Haltung keinen Seltenheitswert hat, bestätigt Linda Borner von Lantana Bern, der Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt. «Es geht um eine Präventionspflicht», betont sie. «Wenn bereits etwas passiert ist, ist es zu spät.» 
Eine Schwierigkeit bei Kleinstbetrieben sieht sie in den Strukturen. Oft seien es Familienunternehmen, in denender Personalverantwortliche manchmal auch der Geschäftsführer sei, und dieser vielleicht auch der Lehrmeister und im schlimmsten Fall auch noch der Belästiger. «Bei sexuellen Belästigungen geht es immer um eine Machtausübung.» Dann sei es für Opfer ausserordentlich schwierig, zu reagieren, so die Fachberaterin. Ein Übergriff am Arbeitsplatz bedeute eine Krisensituation, eine grosse Überforderung. Da sei die Angst, den Job zu verlieren, illoyal zu sein, dazu kämen oft auch noch Selbstzweifel.


Thematik ausblenden
Dass insbesondere in kleinen Betrieben das Wissen zur Präventionspflicht fehlt, bestätigt die Gleichstellungsbeauftragte Barbara Ruf. «Unternehmen ohne ausgebildete Personalfachleute blenden die Thematik der sexuellen Belästigung oft aus.» Je nach Betriebskultur sei es Vorgesetzten unangenehm, die Thematik offen anzusprechen, da es auch um Loyalitäten gehe. Doch es gebe mittlerweile viele Informationsquellen und Instrumente, die Arbeitgeber darin unterstützen, das Thema professionell anzugehen (siehe Zweittext). «Betriebe, die keinen Personaldienst haben, müssen nicht alles selbst erfinden», sagt sie. Für Kleinbetriebe empfehle es sich, eine externe Vertrauensstelle zu bezeichnen.
Doch auch in grossen Unternehmen mit Reglementen, Ansprechpersonen und internen Papieren sind Angestellte nicht vor Übergriffen gefeit. Das zeigt die Erfahrung bei Lantana Bern. Belästigungen kämen überall vor, egal ob bei privatwirtschaftlichen oder öffentlich-rechtlichen, grossen oder kleinen Arbeitgebern. Die Opferhilfe-Beraterin: «Ausschlaggebend ist die Betriebskultur. Die beste Prävention ist ein offenes und wertschätzendes Arbeitsklima, in welchem Grenzverletzungen jeglicher Art sowohl von Angestellten wie auch insbesondere von Vorgesetzten nicht toleriert werden.»


Auch für den Betrieb schlecht
Schliesslich hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht nur einschneidende Konsequenzen für das Opfer, sondern auch auf das Unternehmen selbst, wie Barbara Ruf ausführt: «Wir stellen in unseren Beratungen und Weiterbildungen fest, dass Betriebe oft erst bei einem konkreten Fall realisieren, welche schwerwiegenden Auswirkungen sexuelle Belästigung für einen Betrieb haben kann.» Es diene deshalb auch dem Unternehmen, wenn die Geschäftsleitung die Thematik präventiv angehe und bei konkreten Anzeichen sofort reagiere. «Die Strategie, das Thema unter dem Deckel zu behalten, bewährt sich nicht.»

 

Wie geht Prävention?

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist in der Schweiz verboten. Arbeitgeber sind verpflichtet, aktiv Belästigungen zu verhindern, das heisst Präventionsmassnahmen zu ergreifen. Unternehmen, die dieser Pflicht nicht nachkommen, können zu Entschädigungszahlungen verurteilt werden.
Die drei wichtigsten Pfeiler der Prävention sind: Information der Mitarbeitenden, was unter sexueller Belästigung zu verstehen ist; Grundsatzerklärung, dass sexuelle Belästigung im Unternehmen nicht geduldet wird; Eine Ansprechperson bestimmen, an die sich betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenden können; Intern per Merkblatt informieren. Im Reglement werden die Haltung des Unternehmens, die Präventionsmassnahmen und das Vorgehen bei Fällen von sexueller Belästigung festgehalten; Betroffene Frauen und Männer müssen sich an eine Ansprech- oder Vertrauensperson wenden können, die ihre Anliegen ernst nehmen, verschwiegen sind und kompetent weiter helfen. In grösseren Betrieben übernehmen oft Personalfachleute diese Funktion. Für KMU empfiehlt es sich, externe Fachleute beizuziehen. Wichtig sind dabei Beratungskompetenz und Fachkenntnisse über sexuelle Belästigung.
Auswirkungen von sexueller Belästigung können sein: Angststörungen, Schlafstörungen, Albträume, Essstörungen, Schmerzreaktionen, Beziehungskonflikte, eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Krankschreibungen, Versetzungsanträge, Kündigungen. sz
Link: www.sexuellebelästigung.ch

 

Verhaltenstipps für Betroffene

Als sexuelle Belästigung gilt: Vorzeigen, Aufhängen, Auflegen und Verschicken von pornografischem Material (auch elektronisch), anzügliche Bemerkungen und sexistische «Witze», unerwünschte Körperkontakte und Berührungen, Annäherungsversuche und Druckausübung, um ein Entgegenkommen sexueller Art zu erlangen – oft verbunden mit dem Versprechen von Vorteilen und dem Androhen von Nachteilen. Ausschlaggebend ist nicht die Absicht der belästigenden Person, sondern ob die Handlungen als erwünscht oder unerwünscht empfunden werden.
Das eidgenössische Gleichstellungsbüro rät: Nehmen Sie die Belästigung auf keinen Fall hin. Reagieren Sie rasch und bestimmt. Machen Sie der belästigenden Person mündlich klar, dass Sie deren Verhalten nicht tolerieren – egal, ob es sich dabei um Vorgesetzte oder Arbeitskolleginnen oder -kollegen handelt. Wenn sich trotzdem nichts ändert: Fordern Sie die Person schriftlich auf, das unerwünschte Verhalten zu unterlassen. Sprechen Sie mit einer vertrauten Person und führen Sie Tagebuch über die Belästigungen. Informieren Sie diejenige Person in Ihrem Unternehmen, die für Fälle von sexueller Belästigung zuständig ist, den Personaldienst oder Ihren Vorgesetzten. Schreiben Sie einen eingeschriebenen Brief an die zuständige Stelle. Wenn die zuständige Stelle in Ihrem Betrieb nichts unternimmt, können Sie die kantonale Schlichtungsstelle anrufen. Fassen Sie rechtliche Schritte ins Auge. Klären Sie diese sorgfältig ab und lassen Sie sich beraten. sz
Link: www.belaestigt.ch

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