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Terror

Angst, die Furcht nicht zu besiegen

Der Alltag ist zurück – und trotzdem ist alles anders. Zwei in Paris wohnende Bielerinnen erzählen, wie sie die Zeit nach den Anschlägen erleben.

  • 1/5 Schweigeminute: Der Französische Präsident François Hollande, Premierminister Manuel Valls und Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem gedenken gemeinsam mit Studenten an der Universität Sorbonne in Paris. Bilder: Keystone
  • 2/5 Der Verkehr in Paris steht während der Schweigeminute still, hier am Place de la Republique. Bilder: Keystone
  • 3/5 Eine belgische Antiterror-Einheit gestern bei einer Hausdurchsuchung im Brüsseler Viertel Molenbeek. Bilder: Keystone
  • 4/5 Ein französischer Jet startet in der Nacht auf gestern von Jordanien aus zu einem Einsatz gegen den IS. Bilder: Keystone
  • 5/5 Die strengeren Grenzkontrollen der französischen Zöllner sorgen für lange Wartezeiten: Hier in Bardonnex bei Genf. Bilder: Keystone
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von Lino Schaeren

Sie hätte auch auf der Terrasse eines der betroffenen Restaurants im 10. oder 11. Pariser Arrondissement sitzen können, als die islamistischen Attentäter um sich schossen, sagt Yla von Dach. Sie kenne die Gegend, da habe sie sich immer wohlgefühlt. Doch von Dach war am Freitagabend nicht auf einer dieser Terrassen. Sie war zuhause, ihre Wohnung liegt im 18. Arrondissement, von der tödlichsten Anschlagsserie in der französischen Geschichte erfuhr sie erst, als die Tochter ihres Mannes anrief.

Von Dach ist eine Übersetzerin aus Biel, mit Wohnsitz in der Heimatstadt und in Paris. Am kommenden Wochenende kehrt sie ins Seeland zurück. Nicht, weil sie vor der Situation in Frankreichs Hauptstadt flüchten wolle, betont von Dach, der dreiwöchige Aufenthalt in Biel sei bereits seit Längerem geplant. «Man will sich schliesslich nicht einschüchtern lassen.»

«Alle wollen stark sein»

Und doch sind in Paris die Spuren sichtbar, die die Anschlagsserie in der Bevölkerung hinterlassen hat. Auch, wenn man sich nicht den Anschlagsorten unmittelbar nähert. In der Metro beäugten die Menschen alles, was sich bewegt mit Argwohn, sagt von Dach. Zusammenzucken. Ängstliche Blicke. «Alle wollen stark sein. Aber die Anspannung ist nicht wegzudiskutieren.» Alles werde plötzlich undurchsichtig. «Man weiss plötzlich nicht mehr, wer einem gegenübersteht», sagt die Wahl-Pariserin. Wer ist der Terrorist? Und wurden tatsächlich alle Attentäter ausgeschaltet?
Diese Fragen stellte sich auch Esther Elionore Haldimann. Die Bielerin lebt als freischaffende Journalistin in Paris. Der Musikklub Bataclan, in dem drei Attentäter ein Massaker mit mehr als 80 Toten anrichteten, ist für sie von der Wohnung aus zu Fuss erreichbar. Auf denTerrassen der Restaurants, auf denen Menschen starben, verkehrte sie mehrfach. «Paris, das ist eine Stadt, in der man sich in den Lokalen trifft, in der man sich auf einen Kaffee oder ein Glas Wein auf die Terrassen setzt.»
Haldimann erfuhr erst am Samstagmorgen, was sich abends zuvor Schreckliches ereignete, da sie freitags früh zu Bett ging. «Es fällt nun unheimlich schwer, die Gedanken und die Gefühle zu ordnen», sagt sie. Am Tag nach den Anschlägen blieb sie mit ihrer Tochter zuhause. Vor die Tür wollte sie nicht, zu unklar die Situation, zu belastend die Bilder. Am Sonntag ging Haldimann dann doch auf die Strasse, «ich wollte, – ja, ich musste unter Menschen», sagt sie. Die Leute, sie hätten sich gegenseitig erzählt, wie sie die schrecklichen Vorkommnisse erlebt haben, sie hätten gemeinsam getrauert, sich getröstet.

Massenpanik brach aus

Gestern ist Paris mit dem ersten Werktag seit den Attentaten zum Alltag zurückgekehrt. Zumindest teilweise. Die Menschen würden nur nach draussen gehen, wenn es nicht anders gehe, sagt Haldimann, «und vor der Tür bewegt man sich, als wären die Angreifer noch in der Stadt». Die Menschen in Paris sind wachsam – und man spüre nun Angst. Das zeigte sich gestern auch, als mehrfach Massenpanik ausbrach, als die Polizei wegen des von Präsident François Hollande ausgerufenen Notstandes Plätze räumen wollte. «Es wird Monate dauern, bis sich das Leben hier wieder einigermassen normalisiert hat», glaubt Haldimann. Denn: Alle fühlten sich betroffen. «Anders als beim Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt galt das Attentat diesmal uns allen. Es hätte jeden treffen können.»

Das weiss auch Yla von Dach. Doch gerade weil der nächste Anschlag überall und jederzeit verübt werden könne, habe es doch überhaupt keinen Sinn, nun übermässig Angst zu haben. Angst davor, sich in der Gesellschaft zu bewegen. «Dann bliebe ja nur noch, zuhause zu bleiben und die Türe abzuschliessen.» Obwohl sie nun in einigen Tagen nach Biel reist, will von Dach Paris nicht den Rücken kehren. Zu sehr liebe sie diese Stadt und das Leben in deren Strassen. «Man steckt weg, was passiert ist, mit der Zeit. Und doch ist die Welt nicht mehr dieselbe.»
 

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