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Baubranche

Arbeitskampf und Kartoffelstock

Der Streit zwischen der Gewerkschaft Unia und dem Schweizerischen Baumeisterverband erreicht die Region. Am Freitagmittag hat die Unia eine Mittagsaktion in Brügg veranstaltet. Die Baumeister haben für ihre Position kein Verständnis.

Unis-Generalsekretär Ivano Maraffino spricht zu den Bauarbeitern in Brügg. copyright: matthias käser/bieler tagblatt

von Tobias Garden

«T-Shirts! T-Shirts!» Ivano Maraffino klingt wie ein Strandverkäufer am Touristenort. «T-Shirts für das Foto!» Doch was er verteilt, ist gratis. Und rot. Auf der Brustseite stehen drei Parolen: «Mehr Schutz! Stopp Lohndumping! Rente mit 60!», auf der Rückseite ist gross die Zahl 60 aufgedruckt, als handle es sich um das Trikot einer Sportmannschaft. Es sind T-Shirts der Gewerkschaft Unia, das Gruppenbild in rot soll später die Einigkeit der Bauarbeiter in der Sache demonstrieren.

Maraffino ist Gewerkschaftssekretär der Unia, er hat zu dieser Mittagsaktion bei der A5-Baustelle in Brügg geladen, es ist die erste solche Aktion in der Region.

Streit um Rentenalter 60

Die Sache, das ist der Streit um die Verlängerung des Landesmantelvertrags (LMV) und um das Rentenalter 60. Materiell haben die beiden Dinge eigentlich nichts miteinander zu tun, politisch aber werden sie von der Unia verknüpft. Während der Baumeisterverband die Verlängerung des LMV angeboten hat, will ihn die Unia verhandeln - und gleichzeitig gegen die Verschlechterung der Bedingungen für das Rentenalter 60 kämpfen.

«Es geht um sehr viel», ruft Maraffino den Bauarbeitern zu und lädt sie ein, Essen zu schöpfen. Diese applaudieren und fassen hungrig Kartoffelstock, Gemüse und Ragout.

Es gehe nicht um die hier tätigen, korrekten Firmen, betont Maraffino, aber um den Baumeisterverband. Ohne eine Verbesserung werde man den LMV nicht verlängern können, denn die Baumeister wollten Leistungskürzungen bezüglich Rentenalter 60 durchdrücken. Die Unia dagegen schlage vor: «Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanzieren beide höhere Beiträge.»

«Eine verdiente Luxuslösung»

Christoph Loosli, Inhaber der Baufirma Stettler AG in Biel und Studen, hat für solche Worte kein Verständnis. Er erinnert daran, dass die Finanzierung der Renten von 60 bis 65 bereits heute zu 80 Prozent von den Arbeitgebern finanziert werde: «Es ist eine Luxuslösung, doch die haben sich die Leute auf dem Bau verdient», sagt er. Weil aber in den nächsten Jahren mehr Bauleute in Pension gehen, müssten die Beiträge erhöht werden, um die gleichen Bedingungen gewähren zu können - oder es müssten diese Bedingungen geändert werden. Was für die Unia ein rotes Tuch ist, ist für Unternehmer Loosli unumgänglich: «Die Leute werden älter, weniger Aktive zahlen ein - man muss neue Lösungen suchen.»

In Brügg streifen sich die Bauarbeiter das T-Shirt über und formieren sich zum Gruppenbild, als seien sie ein Männerchor. Sie lächeln, recken auf Kommando die Fäuste - wütend fühlt sich dieser Arbeitskampf hier noch nicht an. Eine Handvoll Arbeiter hat gar mehr Hunger als Klassenbewusstsein und bleibt beim Essen.

«Unschweizerisch»

Es ist nicht allein das Rentenalter 60, das die Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern schwierig macht. Zankapfel ist auch die letztes Jahr von der Unia mit dem Generalunternehmer Allreal geschaffene «Fachstelle Risikoanalyse». Diese hat die Befugnis, die Lohnbuchhaltung von Unternehmen zu kontrollieren. Sie überprüft, ob deren Subunternehmen die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einhalten. Die Stelle ist einseitig ins Leben gerufen worden und den Baumeistern ein Dorn im Auge. «Eine Unterwanderung der Sozialpartnerschaft», nennt sie Unternehmer Loosli, denn sie untergrabe das Prinzip der paritätischen Kommissionen, mit denen die Sozialpartner gemeinsam die Standards kontrollieren. Gewerkschafter Maraffino dagegen spricht von «fadenscheinigen Gründen», mit denen die Baumeister die Einigung verhinderten: «Das ist unschweizerisch.»

Vor der Halle, in der die Aktion stattfindet, prangt ein Plakat des Baumeisterverbands. «Rente ab 60!», «Wir stehen dazu!» steht darauf. Im Grunde dreht sich der Konflikt übers Rentenalter um die Worte «ab» und «mit»: Ab 60, das lasse vieles offen, moniert Maraffino, «wir wollen die Rente mit 60».

«Streiks realistisch»

Kommt es nicht mehr zu einer Einigung, droht ab dem 1. Januar 2016 der vertragslose Zustand. Die Zeit wird knapp, eigentlich zu knapp, sagt Maraffino. Dabei ist der vertragslose Zustand in niemandes Interesse. «Ich verstehe das nicht», sagt Unternehmer Loosli, «die Unia kämpft für sich selber, nicht für die Arbeiter, die einen sehr guten LMV haben.» Er könne gut mit seiner Belegschaft einen eigenen Vertrag aushandeln - seine Leute seien zufrieden, die Fluktuation gering, dieser Tage wird das Unternehmen vom Verein Baukader Schweiz für seine Qualitäten als Arbeitgeber ausgezeichnet.

Ivano Maraffino sagt, die drei Protesttage vom 9. bis 11. November seien als «erste Warnung» zu verstehen und wiederholt: «Es steht sehr viel auf dem Spiel.» Im vertragslosen Zustand herrsche keine Friedenspflicht mehr, «ab Januar sind Streiks realistisch».

Zum Dessert gibts für die Bauarbeiter in Brügg Crèmeschnitte.

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