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Biel

Asylzentrum-Streit eskaliert endgültig

Jetzt ist es definitiv: Das Rückkehrzentrum in Bözingen wird nur noch bis im Sommer betrieben. Die Stimmung zwischen dem Kanton Bern und der Stadt Biel sinkt auf den Nullpunkt.

Noch ist offen, wohin die Bewohnerinnen und Bewohner des Rückkehrzentrums ab August 2022 hinkommen. Matthias Käser
von Carmen Stalder
 
Die Schliessung des Rückkehrzentrums in Bözingen führt seit Monaten zu hitzigen Diskussionen. Wirklich überraschend war sie also nicht, die gestern vom Kanton verschickte Nachricht, dass das Zentrum für abgewiesene Asylsuchende nur noch bis im Sommer in Betrieb bleibt. Eigentlich wäre die Ausnahmebewilligung für das Containerdorf bereits Ende Oktober ausgelaufen. Doch der Kanton beantragte bei der Stadt eine Verlängerung. Diesem Gesuch hat der Bieler Gemeinderat im August teilweise stattgegeben – mit einem Aufschub bis Ende Juli statt wie gefordert bis Ende 2022.
 
Damit einher ging allerdings ein regelrechter Schlagabtausch zwischen dem kantonalen Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) und dem Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr (SP). Ersterer monierte, dass dem Standort Bözingenfeld wegen der Haltung der Stadtregierung die Schliessung drohe, als Folge müssten etliche Familien in allenfalls unterirdische Zentren umgesiedelt werden und Schulkinder würden aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen. Fehr dagegen bezeichnete den Kanton als «menschlich kalt», weil dieser nicht auf die Forderungen nach einer würdigen Unterbringung im Rückkehrzentrum eingehe (das BT berichtete).
 
Sitzung abgesagt
Nun geht der Streit in die nächste Runde. Gestern ist der Knatsch derart eskaliert, dass Fehr und der Bieler Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) eine geplante Sitzung mit Müller sausen liessen. Was ist passiert? Am Morgen verschickte die bernische Sicherheitsdirektion eine Medienmitteilung. Darin stand, dass die Weiterführung des Zentrums definitiv nicht mehr möglich sei. Dies, weil es die Stadt Biel mit Verfügung vom 22. November endgültig und formell abgelehnt hat, das Rückkehrzentrum weiter betreiben zu lassen. Der Kanton werde nun einen Ersatzstandort bestimmen müssen. Zudem enthielt die Mitteilung mehrere an Biel gerichtete Vorwürfe. So lehne die Stadt den weiteren Betrieb «trotz in Aussicht gestellter neuer Infrastruktur» ab. Weiter würden die Französisch und Deutsch sprechenden Kinder nun «trotz Intervention von kirchennahen Stellen im Sommer 2022 aus der Schule in Biel genommen».
 
Diese Darstellung lässt in die Biel die Emotionen hochkochen. Man nehme mit grossem Befremden von der Medienmitteilung der Sicherheitsdirektion Kenntnis. Die Ausführungen seien missverständlich. Und: «Insbesondere ist es für die Behörden der Stadt Biel nicht nachvollziehbar, dass diese Kommunikation unmittelbar vor einer Sitzung zwischen Sicherheitsdirektor Philippe Müller und einer Vertretung des Gemeinderates der Stadt Biel erfolgt.» Gemäss Mitteilung haben Fehr und Feurer ihre Teilnahme an der Sitzung umgehend abgesagt. «Auf dieser Basis ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den kantonalen und kommunalen Behörden zum grossen Bedauern der Stadt Biel nicht möglich.»
 
Philippe Müller zeigt sich erstaunt über diese Reaktion. Im Fokus sollte nun stehen, die Probleme zu lösen. «Es geht hier um Menschen und nicht um Befindlichkeiten gewisser Politiker.» Laut ihm hätte man an der Sitzung über einen möglichen neuen Standort in der Region Biel diskutieren wollen. Angestrebt werde ein RZB, wo die Kinder reguläre Klassen der öffentlichen Schule besuchen können und wo Familien und Frauen unter sich sind. Die Zusammensetzung in Bözingen sei bereits in diese Richtung entwickelt worden. Im neuen Zentrum solle es demnach keine alleinstehenden Männer haben, diese sollen auf bestehende Unterkünfte verteilt werden.
 
Müller zeigt sich enttäuscht darüber, dass Fehr und Feurer dem Gespräch ferngeblieben sind. Die Stadt solle sich an der Standortsuche beteiligen – manche Kinder des Bözinger Rückkehrzentrums würden in deutschsprachige, andere in französischsprachige Klassen gehen, ein Verbleib in Biel sei entsprechend wünschenswert.
 
Keine Hand mehr bieten
Auf die künftige Zusammenarbeit angesprochen, winkt Feurer ab. Das Vorgehen des Kantons bezeichnet er als «absolute Brüskierung» und als «Rückenschuss». Man habe bereits zweimal die Hand ausgestreckt: als man der Nutzung der Container für eine Asylunterkunft zugestimmt und als man die Verlängerung des Betriebs akzeptiert habe. «Der Kanton bräuchte jetzt schon sehr überzeugende Argumente, damit wir ihm noch einmal Hand bieten», so Feurer. Er verweist darauf, dass die Unterbringung von abgewiesenen Asylsuchenden eine kantonale Aufgabe ist. Der Kanton habe schon lange gewusst, dass es sich beim Rückkehrzentrum in Bözingen um eine befristete Lösung handelt und entsprechend genügend Zeit gehabt, um nach einem Ersatzstandort zu suchen.
 
Die definitive Absage hat die Stadt Biel laut Feurer unter anderem damit begründet, dass die Zone, in der sich die Container befinden, grundsätzlich nicht für eine solche Nutzung vorgesehen ist. Die Stadt habe dem Kanton lediglich eine temporäre Ausnahmebewilligung erteilt – aktuell gebe es aber keine Dringlichkeit, wie etwa ein Notstand im Asylbereich, um die Ausnahme weiter zu verlängern.
 
Zusammenarbeit gefordert
Aus der Politik gibt es für diesen Entscheid durchaus Zustimmung, etwa vom Bieler Grossrat Christoph Grupp (Grüne): Es sei nachvollziehbar, dass der Gemeinderat einer Weiterführung des Zentrums im Bözingenfeld nicht zugestimmt habe, handle es sich doch um ein Industriegebiet. Er würde es allerdings begrüssen, wenn die Familien und ihre schulpflichtigen Kinder hier bleiben könnten. «Die Behörden sollen gemeinsam eine Lösung suchen, anstatt sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben», so Grupp. Sowohl die Bieler Grossrätin Samantha Dunning (PSR) als auch Stadträtin Anna Tanner (SP) pochen auf Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung – zum Wohle der Menschen, die im Zentrum leben.
 
Tanner war im Frühling Mitinitiantin eines überparteilichen Postulates, das kindergerechtere Lebensbedingungen für das RZB verlangte. Auch Stadträtin Ruth Tennenbaum (Passerelle) trug die Forderung damals ins Parlament. Sie bedauert es, dass keine für die Betroffenen humane Lösung gefunden werden konnte. «Da wird dem Anschein nach ein Machtkampf auf dem Rücken der Betroffenen ausgefochten und man fragt sich, ob es noch um die Sache oder um reinen Wahlkampf geht.»

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