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Arbeitsmarkt

Auch angelerntes Personal wird zunehmend knapp

Den Unternehmen in der Region fehlt es an Arbeitskräften – egal in welcher Branche oder Funktion. Bei den regionalen Stellenvermittlern klingelt das Telefon deshalb nonstop.

Überall fehlt es an Fachleuten: Bei Bigler Fleischwaren beispielsweise ist nicht mehr nur die Suche nach Fleischverarbeiter und Fleischverarbeiterinnen schwierig, auch Hilfskräfte werden immer knapper. Bild: Olivier Gresset/A

Manuela Habegger

Ob in der Industrie, in der Nahrungsmittelbranche, in der Logistik oder auf dem Bau: Sucht man in der Region nach offenen Stellen, wird man praktisch auf allen Firmenseiten fündig. Die Metalyss sucht beispielsweise einen Polymechaniker und eine Werkzeugmacherin, beim Industrieunternehmen Georg Fischer in Biel sind gleich 15 Stellen zu besetzen, unter anderem in der Automatik, auf den CNC-Maschinen, in der Montage-Elektrik, im Einkauf oder in der Qualitätssicherung. Die Jag Jakob Prozesstechnik sucht in Brügg drei Ingenieure. Die Centravo-Gruppe mit Sitz in Lyss, die Lebens- und Futtermittel herstellt, sucht in der Region unter anderem Fahrer, Mechanikerinnen oder Lagermitarbeiter. Auf dem Bau fehlt es vor allem an Kaderleuten, aber auch Maurerinnen und Strassenbauer werden gesucht. Bei der Landi in der Region sind knapp 30 Stellen ausgeschrieben, querbeet von Staplerfahrer, über Verkäuferinnen bis zu Stellen in der Projektleitung. Die Liste lässt sich beliebig fortführen: «Wenn das so weitergeht, schreiben künftig die Unternehmen ein Motivationsschreiben und nicht mehr umgekehrt», sagt dazu Frank Aeschlimann, Geschäftsleiter des Bieler Stellenvermittlungsbüros a+G Personal AG.

Es ist nicht mehr nur bei der Suche nach gut ausgebildeten Fachleuten schwierig, neue Mitarbeitende zu finden, es fehlt immer mehr auch an Hilfsarbeiter und Hilfsarbeiterinnen: «Mittlerweile zählen ungelernte, aber erfahrene Arbeitskräfte zum qualifizierten Personal, beispielsweise bei den Uhrenherstellern», sagt Aeschlimann weiter. So sind auch in der Uhrenindustrie aktuell viele Jobs ausgeschrieben. Die Swatch Group beispielsweise hat in ihren Betrieben in Biel gemäss Firmenwebsite rund 60 Arbeitsplätze, die das Unternehmen besetzen möchte. «Da die Nachfrage nach unseren Produkten wie Uhren, Schmuck und die Herstellung von Komponenten wie Mikrochips so stark ist, suchen wir nach Personal, um diese befriedigen zu können», sagt dazu Mediensprecher Bastien Buss. Es stimme, in gewissen, sehr spezialisierten Bereichen sei es manchmal ein wenig schwieriger, die Fähigkeiten und Kompetenzen sofort zu finden, sagt er.

 

Firmentreue schwindet

Nach einer krisenbedingten kleineren Entspannung spitzt sich der Fachkräftemangel in der Region also wieder deutlich zu. Das Telefon klingelt deshalb auch bei Seeland Job nonstop: «Wir hatten noch nie so viele Feststellen zu vergeben wie aktuell. Momentan können wir vielleicht die Hälfte der Anfragen bedienen», bestätigt Filialleiter Steve Hirschi die grosse Nachfrage nach Personal. Das Stellenvermittlungsbüro vermittelt Feststellen sowie Temporäre, bei Letzteren zählt der Pool zu Spitzenzeiten rund 320 Arbeitskräfte. «Ich mache mir ziemlich Sorgen, wie wir den Fachkräftemangel in Zukunft abdecken wollen. Längerfristig kann man dem Engpass vielleicht entgegenwirken, mittelfristig wird das ein grosses Problem», sagt Hirschi.

Mit dem Fachkräftemangel kämpft beispielsweise auch die Fleischverarbeitung. Bigler Fleischwaren mit Sitz in Büren und einer Niederlassung in Lyss hat aktuell 12 offene Stellen anzubieten. Gesucht werden nicht nur Fachkräfte in der Fleischverarbeitung, auch in technischen Berufen und in der Logistik fehlt es dem Unternehmen an Spezialisten. «Fachkräfte für handwerkliche Berufe zu finden, ist konstant schwierig», sagt Geschäftsführer Markus Bigler. Etwas einfacher sei es im Bereich der ungelernten Mitarbeitenden, wobei auch hier der Markt schwieriger werde, vor allem, weil solide Deutschkenntnisse gefordert seien, sagt er. Während der Spitzenzeiten im letzten Jahr zählte das Unternehmen über 800 Mitarbeiter mit rund 60 Temporärmitarbeitern im Einsatz. Die personalintensivsten Abteilungen sind die Fleischverarbeitung, die Produktionsabteilungen für Charcuterie, Frischfleisch in Kleinpackungen sowie die Convenience-Produktion für Sandwiches. Hinzu kommt aber auch die Kommissionier- und Transportlogistik. Der Personalbedarf ist beim Unternehmen hoch.

«Wir könnten bis zu acht Kaderleute, sprich Bauführerinnen oder Poliere gebrauchen», sagt etwa auch Thomas Imperiali, Geschäftsführer der gleichnamigen Baufirma aus dem Seeland. Es würden konstant zu wenig Bauleute ausgebildet.

Die Fluri Präzisions- und Mikromechanik AG in Biel benötigt derweil einen Rundschleifer, der im Umgang mit CNC-Maschinen, also mit computergesteuerten Maschinen, bewandert ist. «Wir haben Mühe, gutes Personal zu finden. Viele Unternehmen haben auch während der Kurzarbeit versucht, die guten Leute in den Unternehmen zu halten.» Wie Fluri erklärt, möchten Fachkräfte zunehmend auch temporär arbeiten. Die jüngeren Fachkräfte möchten meist auch noch in anderen Unternehmen Erfahrungen sammeln oder gehen auf Reisen. «Gegenüber früher bleiben immer weniger der Firma treu», sagt Fluri.

 

Rekrutierung behindert

Gemäss einer Studie des landesweit tätigen Stellenvermittlers Adecco hat der Fachkräftemangel im letzten November bereits Vorkrisenniveau erreicht. Mittlerweile ist die Situation sogar noch zugespitzter: «So viele offene Stellen wie aktuell haben wir in den letzten 12 Jahren nie gemessen», sagt Mediensprecherin Annalisa Job. Dazu beigetragen hat offenbar auch die Pandemie: «Was wir beobachten, ist, dass Unternehmen vor allem in der ersten Covid-Welle in eine Art Schockstarre gefallen sind. Rekrutierungen und Projekte wurden gestoppt, Kurzarbeit war angesagt», erklärt die Arbeitsmarktexpertin. In den folgenden Wellen habe sich dieses Phänomen zwar immer weniger gezeigt. «Wir spüren einen immensen Nachholbedarf.»

Dass der Bedarf an Arbeitskräften so hoch ist, ist nicht zuletzt auch der überraschend starken Erholung der Wirtschaft geschuldet. Bestätigt wird dies auch in der Analyse von Adecco zum Espace Mittelland, die die gesteigerte Nachfrage nach Techniker und Technikerinnen sowie den Fachkräften beim Handwerk und bei den Hilfskräften dem Anstieg bei den Warenexporten im Jahr 2021 gegenüberstellt. Das Espace Mittelland sei durch die stark exportorientierte Uhrenindustrie und die Maschinen- und Elektroproduktion im Jurabogen geprägt. Die vom Seco festgestellte erhöhte Nachfrage nach Gütern wie Präzisionsinstrumenten und Uhren lasse sehr wahrscheinlich auch die Nachfrage nach Fachkräften wie Präzisionshandwerkerinnen, Polymechaniker und ingenieurtechnischen Fachkräften ansteigen, sagt Job.

Das Marktanalyseunternehmen Von Rundstedt erkennt in seinen Beobachtungen des Weiteren auch starke regionale Unterschiede. So sei der Fachkräftemangel in der Deutschschweiz viel stärker ausgeprägt als in der Romandie. Im Tessin sei er kaum spürbar, sagt Geschäftsführer Pascal Scheiwiller. Bei den Löhnen sehe man derweil wenig Bewegung. So wurde wegen der Pandemie immer wieder davor gewarnt, dass die Löhne unter Druck geraten und sinken werden. Dies sei nicht geschehen, sagt Scheiwiller. Das bestätigen denn auch die regionalen Stellenvermittler: «Viele Firmen sind sich noch nicht bewusst, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zunehmend mehr Hebel haben, auch je mehr sie fachlich ausgebildet sind», sagt beispielsweise Steve Hirschi von Seeland Jobs. Es gehe dabei aber nicht nur um die Entlöhnung, auch das teilweise patriarchische Verhalten müsse sich ändern.

 

Quarantänefälle belasten

Neben dem Mangel an Fachkräften und der gleichzeitig guten Auftragslage verursachen auch die vielen Quarantäne- und Isolationsfälle Personalengpässe in den regionalen Firmen. «Die Kurzfristigkeiten sind sehr problematisch. Die Leute fallen von heute auf morgen aus, das lässt sich schwer managen und bringt die Planung durcheinander», sagt Stefan Fluri von der Fluri Präzisions- und Mikromechanik. Auf Temporärangestellte zurückzugreifen sei schwierig. Meist dauere es ein bis zwei Tage, bis die Stellenvermittler ihre Dossiers schicken könnten, dann brauche es mindestens noch einen Tag zum Einarbeiten. Für die kurzfristigen Ausfälle jemanden zu suchen, bringe daher nicht viel, sagt Fluri. Drei seiner 20 Mitarbeitender sind derzeit in Quarantäne oder Isolation.

Auch Frank Aeschlimann von a+G Personal bestätigt dies: «Aus der Industrie haben wir praktisch keine Anfragen, da es sich nicht lohnt, für fünf Tage jemanden einzuschulen.» Bei Bigler fehlen momentan 20 Mitarbeitende wegen Isolation und 10 wegen Quarantäne. «Aktuell befinden wir uns aber im Januarloch. Da die Ausfälle zudem ziemlich gleichmässig über alle Abteilungen verteilt sind, können wir die Situation aus eigener Kraft stemmen», sagt Markus Bigler.

Auf dem Bau gibt es demgegenüber praktisch kein Corona, wie Steve Hirschi von Seeland Job vermutet. Das habe wohl damit zu tun, dass die Arbeitsgruppen meist draussen arbeiten. Man habe vor allem im Detailhandel oder in der Logistik vereinzelt Fälle gehabt, die man mit Temporärangestellte ersetzen konnte. Auch Baumeister Thomas Imperiali beklagt derzeit keine grossen Personalengpässe: Man sei von Delta verschont geblieben, wie es mit Omikron verläuft, würden die kommenden Wochen noch zeigen. Bislang sei man aber nicht betroffen.

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