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Aufstand der Auswärtigen gegen zweisprachige Bieler Werbung

Biel will nur noch zweisprachige Werbung zulassen. In der Werbebranche sorgt das für grosse Kritik. 
Die Bieler Wirtschaft scheinen die Pläne hingegen weniger zu interessieren.

Für Bieler Unternehmen gehört das Werben in beiden Sprachen dazu. Die Grossverteiler tun sich schwer damit. Symbolbild: Peter Samuel Jaggi

Lino Schaeren

Biel ist die einzige zweisprachige Stadt der Schweiz. Und sie ist stolz darauf. Doch auch wenn die Behördenvertretenden gebetsmühlenartig wiederholen, dass der Bilinguismus Teil der Bieler DNA ist, scheint das noch nicht überall angekommen. Die Stadtbehörden beklagen seit Jahren, dass die Reklame im öffentlichen Raum überwiegend in Deutsch daherkommt. Werbung für Lebensmittel hier, Anpreisung von Wohnungseinrichtung da: Die Stadt hat lange versucht, die nationalen Grossverteiler für die Bieler Zweisprachigkeit zu sensibilisieren. Genützt hat es aus Sicht des Gemeinderats nichts. Deshalb schwingt er jetzt stattdessen die Vorschriftskeule: Werbung im Aussenraum muss in Biel künftig zwingend zweisprachig sein. Punkt. So steht es im neuen städtischen Reklamereglement, das in den letzten Jahren erarbeitet wurde. Die Gleichbehandlung der beiden Amtssprachen soll auch im Reklamebereich durchgesetzt werden. Will ein Telekomunternehmen künftig für sein neustes Handy-Abo werben, muss es dies also in Deutsch und Französisch tun – oder gar nicht.

Das Vorhaben bringt Roland Ehrler auf die Palme. Der gebürtige Bieler ist Direktor des Schweizer Werbeauftraggeberverbands (SWA) und vertritt damit genau jene Firmen, welche die geplante Bieler Zweisprachigkeitspflicht in erster Linie adressiert: Die Detailhändler, Banken, Möbelhändler oder Reiseagenturen, die ihre nationalen Werbekampagnen in den grossen Wirtschaftszentren Zürich oder Basel orchestrieren und dabei übersehen, dass Biel nicht in der Deutschschweiz, sondern mitten auf der Sprachgrenze liegt. Ehrler weiss zwar um dieses Problem, hält die Bieler Reaktion aber für völlig verfehlt, ja sogar absurd und «gegen den gesunden Menschenverstand».

Die grossen Spieler im Werbemarkt, davon ist er überzeugt, würden Biel künftig eher links liegen lassen, als extra für die zehntgrösste Stadt des Landes ein zusätzliches, zweisprachiges Plakat zu gestalten. «Der Mehraufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.» Die geplante Zweisprachigkeitspflicht hält Ehrler deshalb für ein eigentliches Bieler Werbeverbot durch die Hintertür. «Das ist, als würde man der Armee zwar das Fliegen noch erlauben, ihr aber die Flieger wegnehmen», sagt er.

 

«Wollen keine Zensur»

Den drastischen Worten des Direktors lässt der Werbeauftraggeberverband Taten folgen: Während der öffentlichen Auflage im April hat der SWA Einsprache gegen das neue städtische Reklamereglement eingelegt. Die geplante Zweisprachigkeitspflicht bei Aussenwerbung stelle einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit und damit in ein Grundrecht dar und sei deshalb nicht zulässig, so die Argumentation. In dieselbe Kerbe schlägt auch die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG), auch wenn sie, die in einem Geschäftsverhältnis mit der Stadt Biel steht, in der Wortwahl zurückhaltender ist – die APG bewirtschaftet in Biel die allermeisten Plakatwände im öffentlichen Raum.

APG-PR-Leiterin Nadja Mühlemann schreibt auf Anfrage, das Unternehmen empfehle seinen Kundinnen und Kunden bereits heute, 30 Prozent des Inhalts ihrer Werbekampagnen für Biel französischsprachig zu liefern. Man respektiere letztlich aber die Gestaltungsfreiheit der Werbetreibenden und wolle keine Zensur. Mühlemann argumentiert unter anderem damit, dass Werbekunden häufig eine spezielle Zielgruppe ansprechen möchten – dabei könne es sich um ein deutschsprachiges, französischsprachiges oder fremdsprachiges Publikum handeln. Auch bei der APG glaubt man offenbar, dass die grossen Werbekunden bei einer scharfen Zweisprachigkeitsregelung künftig einen Bogen um Biel machen würden. Sie versucht deshalb ebenfalls, mit einer Einsprache gegen das neue Reklamereglement vorzugehen.

 

Einsprache verschlafen

Es sind also die grossen Auswärtigen aus dem Schweizer Werbemarkt, die sich gegen die Pläne des Bieler Gemeinderats auflehnen (der SWA hat seinen Sitz in Zürich, jener der APG liegt in Genf). Vor Ort hingegen wird die Suppe scheinbar deutlich weniger heiss gekocht. Zwar gibt es durchaus Kritik: Mirjam Stebler, Präsidentin der Bieler KMU, verweist in erster Linie auf die Kostenfrage. Gerade kleinere Betriebe müssten im Werbebudget einen deutlichen Mehraufwand stemmen bei einer Bieler Sonderregelung, moniert sie. Die Bieler KMU hätten deshalb laut Stebler eigentlich auch Einsprache gegen das neue Reglement machen wollen. Die Dachorganisation, die nach eigenen Angaben die politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Interessen von rund 300 Gewerbetreibenden aus Biel und der Agglomeration vertritt, hat die öffentliche Auflage aber verschlafen.

SWA-Direktor Roland Ehrler wies die Bieler KMU zwar auf die öffentliche Auflage und die Einsrachefrist hin, wie Stebler bestätigt. Aufgrund von Ferienabwesenheiten blieb das Thema aber liegen, da während der laufenden Auflagefrist keine Vorstandssitzungen stattgefunden haben. Stattdessen wollen sich die Bieler KMU im politischen Prozess äussern – und hoffen dabei auf die Unterstützung aus bürgerlichen Kreisen. Das Reklamereglement muss noch vom Stadtparlament und letztlich vom Bieler Stimmvolk abgesegnet werden. Stimmt der Stadtrat zu, kommt es wohl im Februar 2022 zum Urnengang.

 

Juristische Hürden

Ehrler ist ob der bisherigen Passivität der Bieler Werbetreibenden irritiert. «Ich bin erstaunt, hat es lokal nicht mehr Widerstand gegeben», sagt er. Dabei dürfte gerade für die Bieler Unternehmungen die Hemmschwelle gross sein, sich an vorderster Front gegen einen Zweisprachigkeitsartikel im neuen Reklamereglement zu wehren. Welches hiesige Geschäft will es sich schon mit der französischsprachigen Bieler Bevölkerung verscherzen? Schliesslich machen die Frankophonen in Biel mittlerweile rund 43 Prozent der Einwohnenden aus. Sich in Biel gegen die Förderung der Zweisprachigkeit zu stellen, dürfte deshalb risikoreich bis allenfalls geschäftsschädigend sein.

Andererseits dürften genau deshalb gerade die in Biel ansässigen Werbetreibenden bereits heute viel stärker für das Thema Zweisprachigkeit sensibilisiert sein als die nationalen Unternehmen. Das jedenfalls glaubt Fabian Engel, Präsident der Sektion Biel-Seeland-Berner Jura des kantonalen Handels- und Industrievereins (HIV). «Wegen den Auswärtigen haben wir überhaupt ein Problem mit mehrheitlich deutschsprachiger Werbung», sagt er. Er selber und andere Bieler Unternehmende würden regelmässig zweisprachig werben, das verstehe sich von selbst. Engel kennt die Sensibilitäten und Probleme der Bieler Zweisprachigkeit gut, er hat sich jahrelang im Forum für Zweisprachigkeit engagiert. Das Vorhaben der Stadt, zweisprachige Werbung vorzuschreiben, betrachtet er einigermassen gelassen: «Hier wird nichts geplant, was aus meiner Sicht wirtschaftspolitisch von besonderer Relevanz wäre», sagt er. Zwar hinterfrage der HIV immer, wenn etwas zusätzlich reglementiert werden soll. In diesem Fall habe es der Vorstand jedoch nicht für nötig erachtet, zu intervenieren.

Doch wie sieht es juristisch aus? Denn mit dem neuen Zweisprachigkeitsartikel würde die Stadt Biel tatsächlich wie von SWA und APG ins Feld geführt die Wirtschaftsfreiheit und damit ein Grundrecht einschränken. Der Gemeinderat erachtet dies jedoch als verhältnismässig, er gewichtet die Bieler Sonderstellung der Zweisprachigkeit höher als die Wirtschaftsfreiheit.

Gestützt wird diese Sicht vom kantonalen Amt für Gemeinden und Raumordnung. Es hat die Pflicht zur Zweisprachigkeit bei der Vorprüfung des neuen Bieler Reklamereglements als bewilligungsfähig eingestuft. Es bezieht sich dabei auf die Kantonsverfassung. Diese hält in Artikel 6 fest, dass die Gemeinden besonderen Verhältnissen Rechnung tragen können, die sich aus der Zweisprachigkeit des Kantons ergeben. Die Erfolgsaussichten für die Einsprachen von SWA und APG dürften mit Blick auf die juristische Vorprüfung daher nicht gerade rosig sein. Das weiss auch Roland Ehrler. Trotzdem sei es wichtig, gegen solche Vorhaben anzukämpfen, «so etwas darf nicht ohne Widerstand durchgewinkt werden». Weil die Empörung in erster Linie von auswärts kommt, dürfte der Bieler Gemeinderat dieser Auseinandersetzung aber einigermassen entspannt entgegenblicken.

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Werbeverbot gescheitert

Der politische Prozess über die Frage, ob in Biel Aussenwerbung nur noch zweisprachig erlaubt sein soll, steht noch bevor. Im Stadtrat dürfte der Vorschlag des Gemeinderats aufgrund der aktuellen Mehrheitsverhältnisse keinen schlechten Stand haben. Das Thema Werbung wurde zuletzt im Parlament bereits kontrovers diskutiert, wenn auch in anderem Zusammenhang. Im Februar 2020 hatte das Parlament eine Motion der Grünen in ein Postulat umgewandelt und als erfüllt abgeschrieben, die ein Verbot von klimaschädlicher Werbung forderte. Demnach hätte Werbung etwa für Flugreisen oder Autos im öffentlichen Raum eingeschränkt werden sollen. Der Gemeinderat hatte sich gegen die Motion ausgesprochen – unter anderem mit Verweis auf einen Eingriff in die garantierte Wirtschaftsfreiheit.

Vor fünf Monaten ist dann auch eine Motion der Juso gescheitert, die Aussenwerbung auf Stadtgebiet komplett verbieten wollte. Die Jungsozialisten hatten mit dem Konsum- und Kaufwahn argumentiert, der durch kommerzielle Werbung vorangetrieben werde. Hinter dem Anliegen konnte jedoch auch die linke Ratshälfte nicht geschlossen stehen – weshalb das Anliegen letztlich chancenlos war. lsg

Stichwörter: Biel, Werbung, Politik, Region, Plakate

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