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Biel

Aus fehlender Liebe zum Dieb geworden

50 Jahre ist es her, als das «Bieler Tagblatt» über den notorischen Dieb Fritz M. berichtete, der sich in der Migros, im ABM und anderen Warenhäusern bediente, bis er in Biel geschnappt wurde. Eigentlich, schrieb der Reporter, sei er aber gar kein verbrecherischer Typ.

Bild: Matthias Käser
  • Dossier

Deborah Balmer

Am 21. September 1967 titelte das «Bieler Tagblatt» über einem unscheinbaren Artikel: «Notorischer Dieb». Dahinter versteckt sich ein Kriminalfall, der die Leser in die Welt eines Schurkens mitnimmt, dessen Taten in den 30er-Jahren begonnen und erst in den 60er-Jahren geendet haben. Genauer gesagt, schnappte ihn die Polizei am 27. Februar 1967 in der Stadt Biel, als er «im Migrosmarkt zwei Pyjamas gemaust und in seinen Sportsack gesteckt hatte». Man habe ihn zwar noch aus dem Geschäft rausgelassen, doch dann sei er in einer Ecke eingeholt und höflich ins Büro gebeten worden.

Die «Nachtgewänder» habe er für den Eigengebrauch gestohlen, erfährt der Leser. Doch das meiste, das da in der Migros, in der EPA, im ABM und in anderen Warenhäusern verschwand, waren Dinge, die der Mann für eine Frau stahl: Jupes, Kleider, Pantoffeln, Fleisch, Parfums und anderes. Er legte es ihr sozusagen wie ein armer Minnesänger zu Füssen. «Er wollte dafür lediglich gern und lieb gehabt sein», schreibt der Gerichtsreporter des «Bieler Tagblatt» damals.

 

Die Schultern hochgezogen, einen alten Nacken

Detailliert beschreibt er den 57-jährigen Mann, der im Amtsgericht Biel vor ihm auf der Anklagebank sitzt. Die Schultern habe er hochgezogen und einen alten Nacken, über den die «schitteren» weissen Haare ein bisschen herunterhängen. Und der Schreiber sagt auch, was der Anblick in ihm auslöst: «Wenn man das Männchen so betrachtete, da tat Fritz einem Leid.»

«Natürlich wird die menschliche Gesellschaft schreien, dass er ein Schelm ist und dass es nicht lustig ist, bestohlen zu werden und dass der Schaden, den so ein Knülch anrichtet, grösser ist, als seine Daseinsberechtigung in einem geordneten Zusammenleben der Menschen und dass es einfach nicht angeht, dass....», steht da. «Und doch», fragt der Reporter: «Müsste man sich nicht einmal die Mühe nehmen, nachzuforschen, weshalb Fritz M. immer wieder stiehlt?» Er vermutet, dass man feststellen würde, dass Fritz ein Langfinger ist, weil er zu kurz gekommen ist, oder weil er ein Leben lang nicht verwunden hat, dass sein Vater seinerzeit die Mutter mit neun Kindern alleingelassen hat.

 

Arbeitsstelle in einem 
Restaurant in Gerzensee

Wie ist denn das Leben des Mannes mit Jahrgang 1910 später verlaufen? Im Mai 1966 ist Fritz aus einer sechsjährigen Verwahrung entlassen worden. Danach hat er in einem Restaurant in Gerzensee eine Stelle gefunden. Er habe sich dort, ist dem Artikel zu entnehmen, mit grossem Arbeitseinsatz bald unentbehrlich gemacht und habe auch anständig verdient. Er genoss sogar, obschon seine Vergangenheit bekannt war, ein gewisses Vertrauen bei seinem Patron. Leider habe er aber auch dort nicht unterscheiden können, was sein war und was nicht: Er begann nämlich schon recht bald, sich aus den Vorräten des Wirtes zu bedienen. Nicht um Unsummen ging es da, aber um das missbrauchte Vertrauen.

Er habe schnell eine neue Stelle gefunden, dank einem Vormund. Aber Fritz hat dann eben auch etwas fürs Herz gefunden, ohne zu wissen, dass die Frau verheiratet war. Und damit begann wieder eine grosse Serie von Diebstählen in Biel, in Bern, in Thun und wieder in Biel, wo er am erwähnten Februartag 1967 gefasst wurde.

In der Gerichtsverhandlung, über die das «Bieler Tagblatt» im Artikel «Notorischer Dieb» berichtete, verurteilte das Amtsgericht Biel Fritz M. wegen gewerbsmässig begangenen Diebstahls zu 15 Monaten Zuchthaus und liess anstelle der Strafe erneut die Verwahrung auf unbestimmte Zeit folgen. Ausserdem musste er 300 Franken zahlen und wurde abermals für fünf Jahre in der «bürgerlichen Ehrenfähigkeit» eingestellt. Was war das genau? Dabei handelte es sich um eine Nebenstrafe, die in den 70er-Jahren abgeschafft wurde. Konkret war das eine Art Entmündigung: Der Täter durfte gewisse Rechte, wie beispielsweise an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen, nicht mehr ausüben.

 

«Es müsste eine Massnahme angeordnet werden»

Welche Strafe würde Fritz M. in der heutigen Zeit blühen? Der Bieler Rechtsanwalt Mario Stegmann sagt, Ziel des heutigen Strafrechts sei es, den Täter durch die Anordnung von Strafen oder Therapien von der Begehung weiterer Delikte abzuhalten. Einer wie Fritz M. sei sicher nicht der klassische Kriminelle, müsse aber dennoch bestraft, beziehungsweise behandelt werden, damit er nicht mehr stehle. «Ein Gutachten müsste wohl abklären, was der Grund für das notorische Stehlen ist und es müsste dann eine Massnahme, sprich Therapie angeordnet werden», sagt Stegmann. Eine Verwahrung komme aber heute bei einem wie Fritz M. kaum mehr in Frage. Heute werde sie nur bei ganz schweren Delikten wie etwa Mord, Raub und Geiselnahme angeordnet. «Bei einer Verwahrung geht es heute darum, die Gesellschaft vor dem Täter zu schützen, da davon ausgegangen wird, dass er nicht mehr behandelbar ist.» Früher sei aber die Voraussetzung für eine Verwahrung eine andere gewesen: «Es reichte zum Beispiel schon, ein Gewohnheitsverbrecher wie Fritz M. zu sein.» Sie ist aber auch damals erst zum Zug gekommen, wenn früher schon etliche Strafen ausgesprochen und vollzogen worden sind, diese aber nichts genützt haben. Etwas war aber vergleichbar mit der heutigen Verwahrung: Auch damals sollte der Geisteszustand abgeklärt werden.

Der Journalist schrieb 1967 am Ende in seinem Artikel als eine Art Fazit: «Obschon es juristisch sicher richtig ist, befriedigt einen das Urteil irgendwie nicht, weil Fritz halt einfach kein verbrecherischer Typ ist.»

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