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Vingelz

Bahntunnel schafft Platz für Autos

Im März vor 50 Jahren ist der Vingelz-Bahntunnel in Betrieb genommen worden. Dank der Verlegung der Zugstrecke in den Berg konnte im selben Jahr der Bau der Nationalstrasse N5 beginnen: Erst damit gab es am Seeufer genügend freie Fläche.

Vingelz im Jahr 1966: Zug und Autos mussten sich damals noch die begrenzte Fläche entlang des Seeufers teilen. Drei Jahre später verschwand das Bahngleis an der Stelle unten rechts im Bild ins Berginnere. memreg
  • Dossier

von Carmen Stalder

Bis in die 60er-Jahre verlief die ganze Bahnstrecke entlang des linken Bielerseeufers einspurig durch die Winzerdörfer. Das wurde immer mehr zu einem Problem – insbesondere durch das starke Wachstum des Bahnverkehrs, das dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg folgte. Für den Ausbau auf Doppelspur des Teilstücks zwischen Biel und Tüscherz gab es bereits 1918 erste Pläne.

Ein zweites Projekt wurde 1943 ausgearbeitet. Doch erst in den 50er-Jahren nahm das Projekt konkrete Formen an. Und bis die neue Doppelspur in Betrieb genommen werden konnte, sollte es sogar bis Ende der 60er-Jahre dauern.

Auf mehreren Spezialseiten wurde das Vorhaben im März 1969 im «Bieler Tagblatt» in all seinen Facetten vorgestellt. Zuweilen mutet die Berichterstattung sehr technisch an – was wohl auch den Textautoren zu verschulden ist, die mehrheitlich als Ingenieure tätig waren. Dennoch finden sich interessante Aspekte, die aufzeigen, wie ein Tunnelbau vor 50 Jahren vonstatten ging.


Prekäre Platzverhältnisse

Bei der Erweiterung der Bahnstrecke stand stets auch der Bau der Nationalstrasse N5 im Fokus. Weil Strasse und Bahn so nahe beieinander lagen, galt es, die einzelnen Ausbauetappen miteinander abzustimmen und zu koordinieren. Streckenweise musste zuerst die Bahn ausgebaut werden, um für die Strasse Platz zu schaffen. In anderen Abschnitten war das Gegenteil der Fall und der Bau der Nationalstrasse musste dem Ausbau der SBB vorausgehen. Die prekären Platzverhältnisse im dicht überbauten Abschnitt Tüscherz/Alfermée bis Biel/Seefels hätten keinen Ausbau der Bahnlinie und daneben der N5 erlaubt, ohne unverhältnismässige Eingriffe in die Landschaft zu verursachen.

Den Planern erschien es deshalb lange unmöglich, eine befriedigende Lösung für die Strasse zu finden. Bis beim Kanton Bern die Idee aufkam, das Bahngleis in einen Tunnel zu verlegen: Damit würde das Bahntrassee für die Erweiterung der Strasse frei. Verschiedene Studien haben schliesslich aufgezeigt, dass dies die vorteilhafteste Lösung wäre – und zwar ohne dass dadurch Nachteile für die Eisenbahn entstünden.


Ein Nadelöhr bleibt bis heute

1955 genehmigten die SBB die Kredite für den Doppelspurausbau der Eisenbahn auf dem gesamten Abschnitt zwischen La Neuveville und Twann. Die Arbeiten starteten noch im selben Jahr in La Neuveville. Allerdings musste das Vorhaben 1957 beim Eingang nach Ligerz unterbrochen werden, da ab dieser Stelle das Projekt für den Ausbau der Kantonsstrasse noch nicht vorlag. Damit zeigte sich auch hier, wie stark der Ausbau der Strasse vom Verlauf des Bahntrassees abhängig war. Die Bahnstrecke zwischen Schafis und Twann ist übrigens bis heute der letzte Einspurabschnitt auf der Jurasüdfusslinie. Dieses Nadelöhr wollen Bund und SBB bis 2025 mit dem Ligerztunnel beheben (das BT berichtete).

Immerhin auf dem Abschnitt zwischen Biel und Tüscherz fand das Projekt seine Fortsetzung: Im Februar 1966 genehmigte der Verwaltungsrat der SBB die nötigen Kredite für den Ausbau auf Doppelspur. Der Kanton Bern hatte als Bauherr die Arbeiten für den Vingelz-Tunnel bereits im August 1965 in Angriff genommen. Total kostete das Projekt 18,5 Millionen Franken. Der Kanton übernahm einen Teil der Kosten, weil der Tunnel mit Rücksicht auf den Bau der Nationalstrasse N5 erstellt werden musste. Die SBB übernahmen den Betrag, der für einen normalen Doppelspurausbau nötig gewesen wäre.


Bohren mit «Boom-Jumbo»

Pro Tag gruben sich die Arbeiter im Durchschnitt 10,6 Meter durch den Berg. Je nach dem, wie das Gelände beschaffen war, ging der Tunnelbau mal schneller, mal langsamer vorwärts. Zum Vergleich: Beim Bau des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2009 kamen die Mineure innerhalb von 24 Stunden 56 Meter vorwärts – und stellten damit einen neuen Weltrekord auf. Zum Bohren des Vingelz-Tunnels verwendeten die Arbeiter eine 36 Tonnen schwere Maschine mit dem Namen «Boom-Jumbo». Die moderne selbstfahrende Maschine wurde in der Schweiz und sogar in ganz Europa erstmals überhaupt eingesetzt.

Die Baustelle wurde im ehemaligen Steinbruch Rusel bei Alfermée und auf am See gelegenen Grundstücken eingerichtet. Diese Wahl hatte den Vorteil, dass auf dem Stadtgebiet von Biel keine Installationen aufgestellt werden mussten. Zur Baustelle gehörten unter anderem eine Schlafbaracke für die Arbeiter, eine Kantine für 100 Personen, Büros, eine Kläranlage, drei Transformatorenstationen und ein Schiffshafen.

Das Tunnelausbruchmaterial wurde nämlich mit Schiffen längs des Seeufers verteilt. Dank der dabei entstandenen Uferverbreiterung konnte ein Strandweg gebaut werden und mehrere Private konnten ihre Landparzellen erweitern. Auch die Verbreiterung des Bahntrassees und die Korrektionen der Linienführung machten Aufschüttungen am Ufer und im See nötig. Dies stellte sich allerdings als grosse Herausforderung dar: Das Seeufer besteht zu grossen Teilen aus Seekreide, welche die Konsistenz eines weichen Breis aufweist. Die Arbeiter mussten deshalb mit äusserster Vorsicht vorgehen, damit nicht plötzlich das Ufer abrutschte.


Kein bedienter Schalter mehr

Am 14. März 1969 konnten die SBB schliesslich den Tunnel von Vingelz einspurig in Betrieb nehmen. Ab dem Fahrplanwechsel vom 1. Juni war der Tunnel dann doppelspurig befahrbar. Von da an gab es im Bahnhof Tüscherz keinen bedienten Schalter mehr. An Stelle einer Billettausgabestelle traten Automaten. Der alte Güterbahnhof wurde abgerissen und durch ein neues Gebäude ersetzt. Im sleben Jahr starteten die Arbeiten für die N5. Die Nationalstrasse verläuft seither als Viadukt über dem neuen Personenbahnhof und dient dem Stationsgebäude als Dach.

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Zahlen zum Bau des Vingelz-Tunnels

Länge des Tunnels: 2411 Meter
Verlängerung der Bahnstrecke durch Verlegung der Gleise in den Tunnel: 164 Meter
Total Arbeitsstunden: 550'000 Stunden
Total Arbeitstage: 920 Tage
Verbrauch an elektrischer Energie: 4,7 Millionen Kilowattstunden
Sprengstoffverbrauch: 217 Tonnen
Zementverbrauch: 9650 Tonnen
Kiessandverbrauch: 42'710 Kubikmeter
Frischbeton: 7232 Kubikmeter

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