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Standpunkt

Besser kein Öko-Bundesrat – der Umwelt zuliebe

Der Einzug der Grünen in die Landesregierung scheint nur noch eine Frage der Zeit, zumal sich die nächste Wahlsensation abzeichnet – massive Sitzgewinne bei den anstehenden Stichwahlen in den Ständerat.

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von Matthias Knecht, Blattmacher

Die Partei könnte im besten Fall auf 37 Sitze in der Bundesversammlung kommen. Auf diese Zahl käme auch die FDP, wenn es für sie schlecht laufen sollte. Doch die Liberalen stellen zwei Bundesräte, die Ökopartei keinen.

Die Grünen-Präsidentin und Berner Ständeratskandidatin Regula Rytz hat diese Woche Anspruch auf den Einzug ihrer Partei in die Landesregierung erhoben. Doch was rechnerisch naheliegend klingt, ist realpolitisch wohl fatal. Wahrscheinlich erweist sich die Partei mit einem Bundesratssitz einen Bärendienst. Und der Umwelt erst recht.

Das Eine ist, grüne Politik zu fordern. Das Andere ist, sie umzusetzen. Da zeigt sich: Mit ein paar Windkraftturbinen ist es nicht getan. Beispiel Deutschland: Dort hat die Regierung Milliarden in die Energiewende gebuttert. 38 Prozent des Stroms kommen jetzt aus erneuerbaren Energien. Die deutschen Konsumenten begleichen dies mit saftigen Stromrechnungen. Dennoch läuft das Land Gefahr, die Klimaziele zu verfehlen. Denn es müsste viel mehr getan werden. Grüne Politik ist teuer und kostet Wählerstimmen. Das zeigt der Blick auf ein weiteres Land. Beispiel Kanada: Dort hat die Regierung von Justin Trudeau am Montag gerade noch ihre Abwahl vermieden. Dabei war Trudeau vor Kurzem noch als ökoliberaler Hoffnungsträger gefeiert worden. Doch die grünen Wähler verärgerte er mit realpolitischen Entscheiden. Er baute Pipelines. Zugleich gelang es ihm, im Ölland Kanada eine CO2-Steuer einzuführen. Damit aber vergrätzte er viele bürgerliche Wähler.

Auch Spanien hat gerade bewiesen, dass sich effiziente grüne Politik an der Urne nicht lohnt. Beispiel Madrid: Dort hatte die letzte Stadtpräsidentin Manuela Carmena eine zentrale Strasse für den Autoverkehr gesperrt. Verkehrsexperten in Europa lobten. Madrid war plötzlich Hotspot für Ökostadttourismus. Doch das Gewerbe klagte und die Bürger wählten Carmena kürzlich ab. Ihr Nachfolger lässt jetzt die Autos wieder in die Innenstadt – und schafft Carmenas Velowege ab.

Damit zurück in die Schweiz. Biels Stadtrat hat vor gut einem Monat und unter dem Beifall der Klimajugend den Klimanotstand ausgerufen. Doch wie er die Klimaziele erreichen will, ist schleierhaft und wird es wohl noch eine Weile bleiben. Was nicht genügt, ist der Ausbau der Fernwärmeversorgung, Lieblingsprojekt der abtretenden Gemeinderätin Barbara Schwickert. Würden Stadtrat und Gemeinderat Biel wirklich klimaneutral machen, es erginge ihnen wohl nicht anders als Madrids letzter Bürgermeisterin. Denn Klimaschutz mag toll sein. Aber mit dem Auto nicht mehr einkaufen fahren zu können, da wird’s heikel.

Ein ähnliches Dilemma bahnt sich im Bundeshaus an. Der Bundesrat hat kürzlich seine Klimaziele verschärft. Der Ständerat hat vor einem Monat eine Flugticketabgabe und höhere Treibstoffpreise beschlossen. Sicher ist noch nichts, denn das im anlaufenden Öko-Wahlkampf beschlossene Geschäft geht noch in den Nationalrat. Doch bemerkenswert ist, dass der grüne Schwenk praktisch ohne grüne Politiker stattgefunden hat – im Ständerat gibt es bisher genau einen Vertreter der Ökopartei.

Auch in der Schweiz ist die Regierungspolitik bereits grüner geworden. Das ist auch gut so. Denn das wichtigste Ziel sollte unbestritten sein: unseren Kindern einen gesunden Planeten hinterlassen. Das Beste, was die Grüne Partei jetzt dafür tun kann, ist, die Rolle einer starken Oppositionspartei ernstzunehmen und den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten. Das dürfte sich nicht nur fürs Klima auszahlen, sondern auch bei den nächsten Wahlen.

mknecht@bielertagblatt.ch

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