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Sozialpolitik

Biel hadert mit kantonalen Vorschlägen

Der Kanton Bern will das Sozialhilfesystem vereinfachen. Kommen die Vorschläge durch, drohen der Stadt Biel spätestens ab 2019 finanzielle Ausfälle. Der Bieler Gemeinderat übt Kritik.

Beat Feurer, Direktor Soziales und Sicherheit Biel, kann nicht alle Vorschläge des Kantons nachvollziehen. Pedro Rodrigues/a

Tobias Tscherrig

Der Kanton Bern gleist mit einem neuen Sozialhilfegesetz die zurzeit wohl schärfste Sozialhilfe-Regelung der Schweiz auf. Neben diversen Leistungskürzungen und Kürzungen beim Grundbedarf sollen auch die Sanktionsmassnahmen in schwerwiegenden Fällen weiter ausgebaut werden.

Einerseits werden die Änderungen nötig, da die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren im Jahr 2015 ihre Richtlinien revidiert und Verschärfungen empfohlen hatte. Diese Revision soll nun ins kantonale Recht übernommen werden. Andererseits schnürte der Kanton Bern bereits in der Vergangenheit mehrere Sparpakete – Sparen ist auch in Zukunft angesagt. Speziell die bürgerlichen Parteien setzten den Berner Gesundheits- und Fürsorgedirektor Philippe Perrenoud (SP) unter Druck. So forderte etwa die SVP bereits im Jahr 2012 eine «Kostenoptimierung bei der Sozialhilfe.» Mit dem Gesetzesvorschlag will der Berner Regierungsrat auch die Umsetzung des in der Motion formulierten Sparziels erreichen. Der Entwurf befindet sich noch in der Vernehmlassung.

Weniger Bürokratie

Neben den Änderungen im Sozialhilfegesetz arbeiten die Politiker zurzeit auch an Änderungen in der kantonalen Sozialhilfeverordnung. Auch diese Änderungen befinden sich noch in der Vernehmlassung, hier ist man allerdings bereits deutlich weiter. Der Regierungsrat soll die Vorlage Ende Oktober verabschieden, sodass die Verordnung Anfang 2017 in Kraft gesetzt werden könnte – und: Sie könnte sich direkt auf den Bieler Finanzhaushalt auswirken.

Die Stossrichtung der geplanten Anpassungen wird von der Stadt Biel begrüsst. Vor allem das neue Abgeltungssystem für Personalkosten, welches nicht mehr anhand der Personalpauschalen, sondern mittels Fallpauschalen berechnet würde, kommt gut an. «Die heute geltende Regelung bringt ein komplexes System der Antrags- und Bewilligungspraxis mit sich», erklärt Beat Feurer, Direktor Soziales und Sicherheit Biel (SVP). «Das neue System der Fallpauschalen ist einfach, somit entfällt ein Stück konfliktbeladene Bürokratie.»

Trotzdem ist die Stadt Biel nicht mit allen Vorschlägen einverstanden. In ihrer Vernehmlassungsantwort macht sie einige Verbesserungsvorschläge. Der Kanton habe bei der Berechnung der Pauschalabgeltungen mehrere Überlegungsfehler gemacht.

Praktikanten als Politikum

Der Kanton geht davon aus, das ein zu 100 Prozent angestellter Sozialarbeiter durchschnittlich 100 Fälle betreuen kann. Dies, obschon schweizweit Bestrebungen im Gang seien, diese Belastung auf 60 – 80 Fälle zu reduzieren. «Die Reduktion der Fallbelastung führt zu qualitativ besseren Ergebnissen in der Integration», erklärt Feurer. Janine Heldner, Leiterin der Abteilung Existenzsicherung beim Kanton Bern, sieht das anders: «Beim neuen System finanzieren wir effektiv erbrachte Leistungen. Die Gemeinde kann ihr Personal also so einsetzen, wie sie es für richtig hält.»

Bei einer Umsetzung der Verordnung würden künftig auch Praktikalöhne direkt in die Fallpauschalen einberechnet. Das heisst, diese würden vom Kanton nicht mehr speziell vergütet werden. Der Bieler Gemeinderat befürchtet, dass so Sozialdienste bevorzugt werden, die keine oder wenig Praktikanten ausbilden. «Aus unserer Sicht sind es Spargründe, die den Kanton zu dieser Massnahme bewegen», so Feurer. Der Kanton will davon aber nichts wissen. «Bei der Definition der Höhe der Pauschale ging man von einem Gesamtvolumen aus, das für Besoldungskosten im Jahr 2014 ausgegeben wurde. In diesem Betrag sind die Löhne der Praktikanten bereits enthalten», erklärt Heldner.

Grosse Abgeltungslücke

Da bei den Praktikalöhnen keine separate Vergütung mehr vorgesehen ist, würde die Stadt Biel Geld verlieren. Gemäss Feurer hängt der Betrag von der Anzahl der Fälle ab und dürfte bei etwa 300 000 Franken liegen. Daneben sind beim Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz (EKS) diverse Änderungen vorgesehen, welche die Stadt Biel bei den Präventivfällen noch einmal rund 150 000 Franken kosten würden. Ausserdem sollen die Fälle bei der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) differenzierter abgegolten werden. Statt der bisher üblichen Pauschale von 2030 Franken pro Auftrag, würde Biel vom Kanton einen Betrag zwischen 324 und 3105 Franken erhalten. «Ab 2019, nach Ablauf des vorgesehenen Abfederungsmechanismus, würde Biel mit etwa 650 000 Franken weniger als aktuell abgegolten», befürchtet Feurer.

Weitere Kosten dürften durch die Streichung eines Artikels anfallen, durch welchen bisher regionale Bedürfnisse berücksichtigt wurden. «Für die zweisprachige Stadt Biel wäre es wichtig, dass ihre deutlich höheren Kosten in diesem Bereich angerechnet würden», erklärt Feurer. Insgesamt stünden der Stadt im Sozialbereich also ab spätestens 2019 rund 1,1 Millionen Franken weniger zur Verfügung. Die befürchteten Folgen: Stellenabbau und Qualitätsverlust.

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Der Lastenausgleich bei den Sozialhilfekosten

Im Kanton Bern bestehen sechs Lastenausgleichssysteme, so auch bei der Verrechnung der Sozialhilfekosten. Dabei werden die anfallenden Kosten je zur Hälfte vom Kanton und der Gesamtheit der Gemeinden getragen. Die Stadt Biel bezahlt pro 100 ausgegebenen Franken noch etwa drei Franken an Sozialhilfekosten. Der Lastenausgleich wurde 1961 eingeführt, aus sozialpolitischer Sicht hat er sich bewährt: Er verhindert unter anderem die Abschiebung von Bedürftigen von einer Gemeinde in die andere. tt

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