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Barbara Schwickert

«Biel hat grossen Nachholbedarf beim Abbau von Parkplätzen»

Zu den Wahlen im September tritt sie nicht mehr an: Barbara Schwickert nimmt ihr letztes Jahr als Bieler Gemeinderätin in Angriff. Die Grüne-Politikerin sagt, warum Biel eine Anschlusspflicht an Wärmeverbünde braucht und verteidigt die Umverteilung im Strassenraum zugunsten von Fussgängern und Velofahrern.

Gemeinderätin Barbara Schwickert über ihr letztes Jahr in der Bieler Politik: «Es gibt kein Extraprogramm.» Peter Samuel Jaggi

Interview: Lino Schaeren

Barbara Schwickert, Sie treten Ende 2020 aus dem Bieler Gemeinderat aus. Sind Sie politikmüde?

Barbara Schwickert: Überhaupt nicht. Ich bin ein politischer Mensch und werde das auch bleiben. Aber mit Mitte 50 habe ich mir überlegen müssen, was ich in meinem beruflichen Leben noch machen will. In Biel haben wir eine Amtszeitbeschränkung, ich könnte noch einmal kandidieren, dann wäre Schluss. Die Vorstellung, mich mit 61 noch für ein paar Jährchen beruflich neu zu orientieren, behagt mir nicht. Ich will den Wechsel lieber jetzt wagen, sodass ich noch einmal etwas Neues prägen kann.

Ihr Entscheid, sich zurückzuziehen, hat alle überrascht. Bekämpfung des Klimawandels, Energiewende, Abkehr vom Auto zugunsten der Fussgänger und Velofahrer: Der Fokus der Bieler Politik wird in den kommenden Jahren auf Themen liegen, die auf Sie als Grüne zugeschnitten sind. Das müsste Sie doch reizen?

Stimmt. Deshalb bin ich froh, konnte ich diese Themen nun über Jahre mitgestalten. Natürlich werden etwa die erneuerbaren Energien jetzt noch stärker in den Fokus rücken. Wir haben aber auch schon viel gemacht, Biel hat zum Beispiel den Atomausstieg bereits vor Jahren vollzogen. Die Entwicklung wird auch ohne mich weitergehen, man muss das lösen von der eigenen Person. Man ist nie unersetzlich.

Sie haben in den vergangenen Jahren mehrere Jobangebote erhalten. Hat Sie das letztlich ins Grübeln gebracht?

Durchaus. Lange war für mich klar, dass ich eine letzte Amtszeit im Gemeinderat anhängen werde. Diese Angebote haben mich herausgefordert und mir aufgezeigt, dass auch mit Mitte 50 noch Chancen bestehen. Das ist nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der es in meinem Alter grundsätzlich schwierig ist, noch eine neue Anstellung zu finden.

Sie werden doch sicher ein paar Verwaltungsratsmandate sammeln können.

Da bin ich mir nicht so sicher, wir befinden uns nicht auf Bundesratsebene. Es ist aber auch nicht mein Ziel, künftig von Verwaltungsratsmandaten zu leben. Ich will lieber auf einer Geschäftsstelle zusammen mit einem Team Projekte vorantreiben. Es ist gut möglich, dass ich etwas mit Nähe zur Politik machen werde, um meine politische Erfahrung zu nutzen. Vor allem aber will ich auch künftig etwas tun, was ich als sinnstiftend erachte.

Hätten Sie vor rund zwei Jahren zugesagt für eine Regierungsratskandidatur, wäre Ihre politische Karriere womöglich verlängert worden. Bereuen Sie manchmal, diese Chance nicht ergriffen zu haben?

Nein, das war richtig. Damals ging ich zwar tatsächlich davon aus, im Gemeinderat bis Ende 2024 weiterzumachen. Aber der Posten der Regierungsrätin ist schlicht nicht das, was ich mir für mein berufliches Leben vorstelle.

In Biel läuft alles etwas familiärer ab. Sagt Ihnen das zu?

Ich bin gerne nahe bei den Leuten, das stimmt. Das Lokale liegt mir, man kennt sich und sieht auch sehr konkret, was politische Entscheide für Auswirkungen haben. Auch deshalb kam die kantonale Ebene für mich weniger in Frage. Die nationale und internationale Ebene hingegen finde ich sehr interessant, das könnte ich mir gut vorstellen.

Ein politisches Comeback auf nationaler Ebene ist also denkbar?

In Form eines politischen_Mandats wohl nicht. Aber mit einer Aufgabe in Politiknähe schon.

Bleiben wir beim familiären Biel. Für viele Bürgerlichen wurden Sie in der laufenden Legislatur zum roten Tuch. Wegen der Ampel an der Madretsch- und Mettstrasse, Einbahnverkehr und der Sperrung des Bahnhofplatzes ist massive Kritik auf Sie niedergeprasselt. War es schwierig, damit umzugehen?

Eigentlich nicht. Ich nehme die Kritik nicht persönlich. Meinungsverschiedenheiten gehören zur Politik. Und der Verkehr ist ein emotionales Thema, bei dem man natürlich unterschiedliche Prioritäten setzen kann. Der Gemeinderat hat aber, unterstützt durch den Stadtrat, eine Richtung gewählt und ich bin froh, diese mittragen zu können.

Viele Autofahrer scheinen den Eindruck zu haben, dass der Gemeinderat das Auto zum Feindbild erklärt hat. Ist das so?

Überhaupt nicht. Aber der Gemeinderat hat vom Parlament den Auftrag erhalten, die Menge des motorisierten Individualverkehrs in Biel zu plafonieren.

Sie sprechen von der Städteinitiative ...

... die eine breite Zustimmung gefunden hat. Strategien festlegen ist das eine, erst bei der konkreten Umsetzung werden die Auswirkungen aber sichtbar. Man muss sich an neue Begebenheiten gewöhnen. Wir schieben jedoch nicht einfach dem Autoverkehr einen Riegel, sondern machen gleichzeitig den öffentlichen Verkehr attraktiver und stärken den Langsamverkehr. Politik machen bedeutet auch, zu lenken. Wer das nicht gerne macht und allen gefallen will, ist im falschen Job.

Ist Biel denn heute zu autofreundlich?

Das würde ich nicht sagen. Aber Biel hat einen grossen Nachholbedarf bei der Förderung des Langsamverkehrs und beim Ausbau des öffentlichen_Verkehrs – aber auch beim Abbau von Parkplätzen. Im Vergleich zu anderen Städten haben wir ein enormes Parkplatzangebot, das richtiggehend dazu auffordert, mit dem Auto in die Stadt zu kommen. Und: Wir haben nach wie vor zu wenige verkehrsberuhigte Quartiere.

Das wollen Sie zum Beispiel dadurch ändern, dass der Bahnhofplatz für den Durchgangsverkehr gesperrt wird. Kritiker sagen: Wird für den_Autoverkehr an einem_Ort dichtgemacht, kollabiert das Verkehrssystem andernorts. Was unternehmen Sie dagegen?

Wir schliessen ja nicht einfach so irgendeine Strasse. Unseren Verkehrsmassnahmen gehen Studienaufträge voraus, damit wir wissen, was die potenziellen Auswirkungen auf andere Strassen oder Knotenpunkte sind.

Die Stadt hat also Berechnungen angestellt, welche Auswirkungen die Sperrung des Bahnhofplatzes etwa auf die Salzhausstrasse haben wird?

Bis auf eine einzelne Autofahrt durchrechnen lässt sich das nicht. Aber wir wissen, wie viel Verkehr wir heute auf dem Bahnhofplatz haben und wie viel davon Durchgangsverkehr ist. Ein Teil davon wird sich auf die Salzhausstrasse und ein anderer Teil auf die Neumarkstrasse verlagern.

Und diese Strassen können die zusätzliche Belastung aufnehmen?

Davon gehen wir aus, ja.

Letztlich müssen Sie doch den Autofahrer zu einer anderen Verkehrsnutzung umerziehen, wenn Sie Ihr politisches Ziel, den Autoverkehr einzudämmen, erreichen wollen.

Das ist richtig. Intermodalität lautet das Gebot der Stunde. Man sollte überall das adäquate Verkehrsmittel wählen. Zum Teil wird das auch künftig noch das Auto sein, aber gerade für jene, die ins Zentrum wollen, bieten sich meistens Zug, Bus, Velo oder auch das Enuu als die bessere Lösung an. Ich denke, dass sich hier mit der jüngeren Generation, die geübter ist in der Kombination verschiedener Verkehrsmittel, etwas ändern wird.

Wieso dann nicht gleich offensiver vorgehen, wie es etwa die Stadt Bern vormacht? Dort werden derzeit von der Stadtregierung Begegnungszonen mit Tempo 20 stark forciert.

Zugegeben, wir sind noch nicht ganz so weit wie Bern. Erst einmal musste eine Gesamtmobilitätsstrategie erarbeitet werden. Der Gemeinderat will systematisch vorgehen und keine beliebigen Massnahmen ergreifen. Doch wir machen bereits viel – zum Beispiel mit den flankierenden Massnahmen zum A5-Ostast. Vielleicht kommunizieren wir das noch zu wenig gut. Den Fall Bern haben wir uns natürlich auch angeschaut. Dort hat man der Bevölkerung eine Velooffensive verkauft. Das haben wir nicht gemacht, obschon wir die Velo-Achse der Schüss entlang massiv gestärkt haben und dies öffentlich auch prominenter darstellen könnten.

Vielleicht wäre das Verkünden einer Velooffensive nicht sonderlich glaubhaft gewesen, schliesslich schneidet Biel in Umfragen zur Velofreundlichkeit nach wie vor nicht gut ab.

Das wird sich ändern. Wir arbeiten Schritt für Schritt daran, die Veloinfrastruktur zu verbessern. Gerade im Dezember hat der Stadtrat einen Kredit gesprochen, um die Schüss-Achse weiter auszubauen: Parkplätze werden zugunsten des Langsamverkehrs aufgehoben. Um mehr Leute zum Velofahren zu motivieren, brauchen wir genügend Abstellplätze und sichere Verbindungen. Dazu braucht es eine Umverteilung im bestehenden Strassenraum. Hier holen wir derzeit mit den vorhandenen Mitteln das Maximum heraus.

Sprechen wir über die Energiewende. Das stadteigene Unternehmen Energie Service Biel (ESB) investiert in den nächsten Jahren rund 100 Millionen Franken in Fernwärmeprojekte. Das Potenzial überschreitet aber nicht einmal fünf Prozent des gesamten Wärmebedarfs der Stadt Biel. Ein Tropfen auf den heissen Stein also?

Nein. Der ESB_ist Wärmeversorger der Stadt, wenn auch nur partiell, da es jedem Hauseigentümer freisteht, eine Wärmelösung zu wählen. Es gibt, anders als beim Strom, keine Versorgungspflicht. Der ESB und die Stadt Biel können die Art der Wärmeversorgung also nicht diktieren. Man weiss aber, dass im dicht besiedelten Raum Verbünde Sinn machen, da sie effizienter und kostengünstiger sind. Die Wärmeverbünde des ESB werden wichtige Pfeiler in der Wärmeversorgung der Stadt sein. Gleichzeitig wird es aber auch künftig viele Einzellösungen geben.

Soll die Energiewende gelingen, braucht es also trotz Millionen-Investitionen von gemeindeeigenen Unternehmen vor allem ein Umdenken bei den privaten Hausbesitzern. Wie wollen Sie dieses erreichen? Nach der Ablehnung des kantonalen Energiegesetzes Anfang 2019 können Sie ja niemandem verbieten, eine neue Ölheizung einzubauen.

Der Kanton hat nach der verlorenen Volksabstimmung immerhin mehr finanzielle Anreize geschaffen, damit Private auf erneuerbare Energieträger umsteigen. Zudem sind nicht nur Verbote, sondern auch_Lenkungen wirksam, etwa eine CO2-Abgabe. Die Stadt hat hier allerdings keine gesetzlichen Möglichkeiten, kann nur sensibilisieren. Ausser bei einem Wärmeverbund. Dort ist eine Anschlusspflicht möglich. Aber wo kein Verbund ist, kann auch niemand zum Anschluss verpflichtet werden.

Der Gemeinderat arbeitet an der Einführung einer solchen Anschlusspflicht für Fernwärmeverbunde. Die Pflicht ist schon nur deshalb nötig, damit die Wirtschaftlichkeit für die Millionen-Vorhaben des ESB_gegeben ist.

Der ESB_baut nicht ohne eine gewisse Rendite, das stimmt. Die Frage bei den Wärmeverbünden ist, ob wir es hinbekommen, preislich konkurrenzfähig zu sein. Während die fossilen Energieträger immer teurer werden, werden erneuerbare Lösungen gleichzeitig immer wirtschaftlicher. Bei einem gut ausgestalteten Wärmeverbund sind die Chancen deshalb gross, dass sich die Liegenschaftsbesitzer zu einem Anschluss entscheiden. Die Anschlusspflicht ist also nicht aus wirtschaftlicher Sicht nötig. Wohl aber aus ökologischer, damit ein Maximum der Gebäude an erneuerbare Wärme angeschlossen wird.

Ihnen bleibt ein Jahr als Vorsteherin der Bau-, Energie- und Umweltdirektion. Was wollen Sie unbedingt noch zu Ende führen?

Es gibt kein Extraprogramm (lacht). Der Gemeinderat wird diesen Frühling die Klimastrategie verabschieden. Diese wird aufzeigen, wo wir heute stehen und Stossrichtungen aufzeigen. Die Strategie dient als Grundlage für die Erarbeitung des Klimareglements. Und auch das Projekt Seewassernutzung wird in diesem_Jahr endlich konkret, da nach langem Hin und Her jetzt die Konzession da ist. Das ist wichtig, denn wir haben etwa mit dem Innovationspark grosse Kunden, die darauf warten.

Was ist Ihnen sonst in diesem Jahr noch besonders wichtig?

Ich würde im Herbst gerne die erweiterte Schulanlage Plänke einweihen. Und im Februar kommt der Ausführungskredit für die Sanierung des Dufour-Schulhauses in den Stadtrat, ehe im Mai das Stimmvolk das letzte Wort haben wird. Und auch beim_Verkehr steht noch einiges an: Obschon das Geld dafür schon länger gesprochen ist, konnten die Tempo-30-Zonen in den Quartieren Zukunft und Bubenberg noch nicht umgesetzt werden. Zudem wird der Stadtrat über einen Kredit für die Tempo-30-Zone im Geyisried-Quartier befinden müssen. Und während die verkehrlichflankierenden Massnahmen zum A5-Ostast umgesetzt sind, stehen die städtebaulichen noch an. Dabei geht es insbesondere um die Aufwertung des Strassenraums auf der Nord- und der Südachse. Dabei wird das Tempo ebenso Thema sein wie die Aufteilung des Strassenraums.

Sprechen wir noch über Ihre Nachfolge im Gemeinderat. Mit der Ankündigung Ihres Abgangs haben Sie auch ihre eigene Partei überrascht. Sie sind seit vielen Jahren die Stimmengarantin der Grünen Biel. Droht jetzt der Sitzverlust?

Es stimmt, es war für meine Partei eine Überraschung, dass ich nicht mehr antreten werde. Ich habe dies aber frühzeitig kommuniziert, damit die Grünen genügend Zeit haben, sich neu zu orientieren. Kommt hinzu, dass es den Grünen derzeit sehr gut geht, wie das Ergebnis bei den Nationalratswahlen gezeigt hat. Auch den Grünen Biel geht es gut, die Anliegen der Partei werden von der Bieler Bevölkerung stark unterstützt. Es ist also – wenn man dem so sagen will – ein günstiger Moment, um einen Wechsel zu vollziehen.

Sie sprechen den Stimmanteil an, den die Grünen in Biel bei den Nationalratswahlen auf 24 Prozent steigern konnten. Das mit dem sicheren Stimmenanteil gilt aber vor allem für die SVP, deren Parteiliste überdurchschnittlich oft unverändert eingeworfen wird. Grundsätzlich sind die Bieler Gemeinderatswahlen aber auch Kopfwahlen, das hat Ihr eigenes Ergebnis 2016 gezeigt: Sie haben mehr als doppelt so viele Stimmen geholt wie Ihre erste Verfolgerin auf der Liste.

Ich bin aber auch als Bisherige angetreten, da ist es fast logisch, mehr Stimmen zu machen.

Wieso so bescheiden? Sie waren 2016 Panaschierkönigin, Ihr gutes Resultat nur auf den Bisherigenbonus zu reduzieren, greift zu kurz.

Ich wurde sehr breit akzeptiert, auch über die Parteigrenzen hinweg. Das freut mich. Natürlich sind Gemeinderatswahlen auch_Kopfwahlen, aber die Themen sind genauso wichtig. Und wir bearbeiten nun einmal Themen, welche die Bieler Bevölkerung stark beschäftigen. Deshalb denke ich, dass die Grünen meinen Sitz erfolgreich verteidigen werden.

Die Bieler Grünen haben sich in den letzten Jahren nicht nur für Umweltthemen starkgemacht, sondern auch bei der Gleichstellung von Mann und Frau Akzente gesetzt. So wurde etwa eine bessere Frauenvertretung in leitender Funktion gefordert. Sollte Ihre Nachfolge bei den Grünen eine Frau sein?

Dazu kann ich nichts sagen, es liegt nicht an mir, das zu entscheiden. Das ist Sache der Partei.

Wäre es aufgrund der genannten politischen Anstrengungen nicht unglaubwürdig, an Ihrer Stelle eine männliche Spitzenkandidatur zu präsentieren?

Gute Frage. Aber noch einmal: Es wird an der Partei sein, das zu entscheiden.

Sie werden doch wohl eine Meinung dazu haben.

Natürlich. Die ausgewogene Vertretung der Geschlechter, aber auch jene der Sprachen, erachte ich als sehr wichtig. Wenn meine Partei für die Gemeinderatswahlen nominiert, wird sie das berücksichtigen müssen, davon bin ich überzeugt.

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Zur Person

  • Barbara Schwickert, 55-jährig, lebt in eingetragener Partnerschaft
  • Seit 2009 vollamtliche Gemeinderätin von Biel (Grüne)
  • Von 2009 bis 2012 Sicherheitsdirektorin, seit 2013 Bau-, Energie und Umweltdirektorin
  • Von 1993 bis 2008 Stadträtin von Biel, 2005/06 Stadtratspräsidentin, von 2006 bis 2008 Mitglied des Grossen Rats des Kantons Bern
  • Ursprünglich ausgebildete Kindergärtnerin und Hortleiterin

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