Sie sind hier

Abo

Biel

Biel ist nicht bilingue

Gestern war der Europäische Tag der Sprachen. In diesem Zusammenhang haben sich im Neuen Museum Biel vier Persönlichkeiten zur Zweisprachigkeit im Kanton unterhalten. Ihr Fazit: Da geht noch mehr.

Die Diskussionsteilnehmer: David Gaffino, Hans Stöckli, Moderatorin Virginie Borel, Erich Fehr und Roland Zaugg (von links). Aimé Ehi

von Carmen Stalder

Die Verhältnisse im Kanton Bern sind deutlich: Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind deutschsprachig, nur gerade 10 Prozent französischsprachig. Die Welschen, sie leben vorwiegend im Berner Jura, im Amtsbezirk Biel, in der Agglomeration Bern sowie in Thun und Umgebung, stellen eine sehr kleine Bevölkerungsminderheit dar. Ist der Kanton Bern also wirklich zweisprachig?

Noch bis im März zeigt das Neue Museum Biel (NMB) die Ausstellung «Le bilinguisme n’existe pas. Biu/Bienne, città of njëquind Sprachen». Als Partner dieser Installation organisiert das Forum für die Zweisprachigkeit verschiedene Veranstaltungen. Am Vorabend des gestrigen Europäischen Tags der Sprachen haben sich der Ständerat Hans Stöckli (SP), der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr (SP), der Vizestaatsschreiber des Kantons Bern David Gaffino und Roland Zaugg, Direktor der Firma Zesar.ch in Tavannes, zu einem Gespräch getroffen.


Was heisst Bilinguismus?

Biel nimmt als bilingue Stadt innerhalb des Kantons eine besondere Rolle ein. Doch eigentlich sei Biel gar nicht bilingue, also nicht zweisprachig, sondern mehrsprachig, sagt Florian Eitel, Kurator der Ausstellung, zur Begrüssung. Schliesslich höre man in der Stadt Dutzende verschiedene Sprachen und niemand wisse so genau, wie viele es denn nun exakt sind.

Stellt sich weiter die Frage, was mit zweisprachig überhaupt gemeint ist: Das Gegenüber zu verstehen, wenn es in der anderen Sprache spricht? Eine Stadt, die ihre Mitteilungen in beide Sprachen übersetzen lässt? «Übersetzen ist nicht Bilinguismus. Man muss einander verstehen», sagt Gaffino. Dieser Meinung ist auch Fehr: In der anderen Sprache einen Text schreiben zu können müsse nicht sein, sich verständigen zu können jedoch schon. «Als erste Fremdsprache sollte man deshalb zwingend eine der Amtssprachen lernen – und zwar in der ganzen Schweiz. Für alles andere habe ich kein Verständnis», so Fehr.

Der Kanton Bern hat 2017 eine von Hans Stöckli präsidierte Expertenkommission damit beauftragt, einen Bericht über den Stand und die Entwicklungsmöglichkeiten der Zweisprachigkeit im Kanton zu erarbeiten. Die Kommission hat den Bericht mit 46 Empfehlungen vor knapp einem Jahr dem Regierungsrat vorgelegt (das BT berichtete). Doch wie steht es nun um die Umsetzung und den erwünschten Paradigmenwechsel? Was wird konkret unternommen?

Noch gibt es einiges zu tun, darin sind sich die vier Gesprächsteilnehmer einig. Denn obwohl beide Sprachen im Kanton präsent sind, hätten viele Menschen Mühe damit, die andere Sprache zu sprechen. Und auch Politiker, beispielsweise bernische Regierungsräte, würden oft nur dann Französisch sprechen, wenn sie wirklich müssen – etwa, wenn sie in Biel sind.


Obligatorischer Austausch

Die Expertenkommission hat mit einer Online-Umfrage bei 500 Personen den Stand der Zweisprachigkeit im Kanton eruiert. Die Antworten haben aufgezeigt, dass die Zweisprachigkeit für die Bevölkerung einen Vorteil darstellt, dass sie zur Attraktivität des Kantons beiträgt und dass eine Mehrheit der Befragten der Meinung ist, der Kanton solle im Bereich der Zweisprachigkeit auf nationaler Ebene eine Rolle spielen.

Früher habe es allerdings einen stärkeren Austausch zwischen den Sprachregionen gegeben, sagt Fehr: Durch mehr Männer, die den Militärdienst absolviert haben und Frauen, die ein Welschlandjahr gemacht haben. Stöckli bringt ein, dass ein obligatorischer Schüleraustausch eine Lösung wäre. Ganze 60 Prozent haben in der Umfrage angegeben, dass sie einen solchen befürworten würden. «Die Mehrsprachigkeit fällt nicht vom Himmel. Sie kostet Geld», so Stöckli.

Dass es sich durchaus lohnt, dieses Geld in die Hand zu nehmen, davon ist Zaugg überzeugt. Denn von sprachlich gewandten Mitarbeitern würden auch hiesige Unternehmen profitieren (siehe Nachgefragt). Für die Stärkung der Zweisprachigkeit sieht der Kanton in den nächsten drei Jahren Beiträge von insgesamt 600000 Franken vor. Das sei zwar gut, sagt Fehr, aber: «Im Vergleich zu anderen Budgets, etwa für Viehmärkte, ist das nur symbolisch.» Gaffino plädiert schliesslich dafür, dass alle Stellen mitziehen sollten. Er selbst könne sich jedenfalls nicht mehr vorstellen, in einem nur einsprachigen Kanton zu arbeiten.

Info: Die nächste Veranstaltung im Rahmen der Sonderausstellung «Le bilinguisme n’existe pas» findet am 6. Dezember in der Römerquelle statt, zum Thema «Die mehrsprachige Schweiz – Mythos oder mediale Realität?».

* * * * *

Nachgefragt bei Roland Zaugg, Direktor Zesar.ch, Tavannes

«Jeder entwickelt sich weiter»

Von der Förderung der Zweisprachigkeit profitiert auch die Wirtschaft: Davon ist Roland Zaugg, Inhaber eines Möbelunternehmens, überzeugt.

Roland Zaugg, welche Herausforderungen bringt die in Ihrem Unternehmen gelebte Zweisprachigkeit mit sich?
Roland Zaugg: Damit die Mitarbeiter alles verstehen, müssen wir alles in zwei Sprachen übersetzen: Vorgaben, Strategie, Leitbild und Instruktionen. Das ist für ein KMU ein ziemlicher Aufwand, auch finanziell.

Und welche sind dagegen die positiven Aspekte?
Für die Mitarbeiter ist es eine Bereicherung, weil sie automatisch die andere Sprache lernen. Bei uns wird gemischt gesprochen: Die, die besser Französisch können, sprechen Französisch, und umgekehrt. Jeder entwickelt sich weiter, das macht es spannend.

Wie könnte der Kanton KMU diesbezüglich unterstützen?
Man sollte Firmen, die Anstrengungen für die Zweisprachigkeit unternehmen, mit gewissen Massnahmen begleiten, etwa einem Übersetzungsdienst. Den grössten Beitrag kann der Kanton allerdings durch die Schul- und Berufsbildung leisten. Wenn ich als Unternehmer aus einem Pool mit Leuten mit einer guten Sprachkompetenz schöpfen kann, habe ich eine ganz andere Ausgangslage auf dem europäischen Markt. Es verschafft uns einen Wettbewerbsvorteil, wenn wir uns mit den Kunden oder Lieferanten besser austauschen können.

Sie profitieren also als Unternehmen von der Mehrsprachigkeit Ihrer Mitarbeiter?
Genau. Ich glaube jedoch, dass wir diese Vorteile heute noch zu wenig ausspielen. Der Kanton sollte deshalb Botschafter haben, die der Bevölkerung den Mehrwert der Zweisprachigkeit näherbringen.

Roland Zaugg, Bild: zVg

Nachrichten zu Biel »