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Psychiatrie

Biel: Notfall-Lücke wird geschlossen

Trotz anders lautenden Versprechungen des Kantons gibt es auch heute noch keinen psychiatrischen Notfalldienst in der Region Biel. Jetzt will das Psychiatriezentrum Münsingen einspringen.

Keine durchgehende Hilfe bei psychischen Problemen: In der Region Biel-Seeland schliessen die über 30 niedergelassenen Psychiater seit Jahren um 17.30 Uhr ihre Türen. Bild: Pixabay

Marius Aschwanden


Plötzliche Suizidgedanken nach Feierabend? Oder eine akute Psychose am Wochenende? In solchen Fällen hilft der örtliche psychiatrische Notfalldienst. Nicht so in der Region Biel-Seeland. Dort schliessen die über 30 niedergelassenen Psychiater seit Jahren um 17.30 Uhr ihre Türen. Und auch am Wochenende ist aufgeschmissen, wer in eine Krise gerät und professionelle Hilfe benötigt. Keiner der Spezialisten ist bereit, samstags oder sonntags zu arbeiten.

Es wurde nichts daraus
Eigentlich sollte diese unhaltbare Situation längst behoben sein. Ende 2017 kündigte der damalige Kantonsarzt Jan von Overbeck an, dass in Kürze ein entsprechendes Angebot zusammen mit einem Teil der niedergelassenen Psychiater auf die Beine gestellt werde. Jetzt aber zeigt sich, dass daraus nichts wurde. «Heute existiert in der Region Biel noch immer kein Notfalldienst», sagt Kristian Schneider, CEO der Spitalzentrum Biel AG. Statt bei einem Psychiater landen die meisten Patienten bei ihm im Haus und werden von normalen Ärzten betreut.

Die Gründe dafür, weshalb sich das Projekt von Ende 2017 in Luft aufgelöst hat, kennt Schneider nicht. Klar ist aber: «Kein einziger Psychiater arbeitet momentan mit uns zusammen.» Davon hatte Schneider im letzten Jahr genug – und suchte zusammen mit einer Arbeitsgruppe nach Lösungen.

Seit gestern liegt das Resultat vor: Das Spitalzentrum will noch im Verlauf dieses Jahres gemeinsam mit der Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) AG einen Notfalldienst auf die Beine stellen. Die Verwaltungsräte der Unternehmen haben bereits entsprechende Absichtserklärungen unterzeichnet, wie sie gestern mitteilten. Zudem sollen am Bieler Spital künftig auch den normalen Patienten psychiatrische Dienste zur Verfügung stehen. Beide Angebote erfolgen durch Spezialisten, die vom PZM angestellt, aber in Biel vor Ort sein werden.
Für die französischssprachigen Klienten ist eine Zusammenarbeit mit der Hôpital du Jura bernois SA geplant.


Leidige Geschichte
Doch weshalb hat es derart lange gedauert, bis eine realisierbare Lösung auf dem Tisch liegt? Darauf wissen alle Beteiligten keine klare Antwort. Das Problem ist indes längst bekannt. Schon im Januar 2015 hat Grossrat Hasim Sancar (Grüne, Bern) in einem Vorstoss darauf hingewiesen. Die zuständige Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) schob die Verantwortung auf den ärztlichen Bezirksverein. Dieser sei dafür zuständig, den Notfalldienst zu organisieren.

Der dortige Vereinspräsident, Filippo Donati, sagt seinerseits, er könne auch nicht viel tun. Denn die niedergelassenen Psychiater bezahlen jeweils 5500 Franken pro Jahr, um sich von der Pflicht entbinden zu lassen. Das ist laut kantonalem Gesundheitsgesetz zwar legal, ethisch aber mehr als fragwürdig. Der Kanton wiederum könnte die Psychiater zwingen, Notfalldienste zu leisten. Bei der GEF betont man jedoch seit Jahren, man wolle eher auf Zusammenarbeit als auf Zwang setzen. Wie erfolgreich diese Strategie war, sieht man heute.

Alles soll besser werden
Und das Projekt von 2017, als es endlich nach einer Lösung ausgesehen hat – was ist daraus geworden? Die Antwort der kantonalen Gesundheitsdirektion ist verklausuliert: «Das angestrebte Modell liess sich leider nicht realisieren, da im Rahmen der Verselbstständigung der Psychiatrien im Kanton verschiedene Interessen nicht berücksichtigt werden konnten.» Was genau das heisst, wird nicht ausgeführt. Deutlicher wird dafür Donati vom ärztlichen Bezirksverein: «Es war schlicht schwierig, die Psychiater für den Notfalldienst zu motivieren.»

Künftig werde sich das aber ändern. Das jedenfalls hofft er. «Eine Zusammenarbeit mit dem Psychiatriezentrum Münsingen und dem Hôpital du Jura bernois ist für viele niedergelassene Psychiater attraktiv», sagt Donati. Deshalb sei er guter Dinge, dass sich der grösste Teil künftig auch am Notfalldienst beteiligen werde.

Das hofft auch Kristian Schneider vom Spitalzentrum Biel. Die künftige Organisation ermögliche einen Neuanfang und lege eine neue Basis für eine Zusammenarbeit. «Durch die Professionalisierung wird der Notfalldienst auch für die niedergelassenen Ärzte attraktiver.»

Angebote aufbauen
Bleibt die Frage, weshalb das Psychiatriezentrum Münsingen überhaupt Interesse an einer Expansion nach Biel hat. Verwaltungsratspräsident Beat Straubhaar begründet dies so: «Biel hat ein Problem mit dem Notfalldienst, und wir haben zu wenig ambulante Angebote.»

Tatsächlich bietet das PZM heute kaum ambulante Leistungen an. «Aber auch in der Psychiatrie geht der Trend von stationären hin zu ambulanten Behandlungen», sagt Straubhaar. Mit dem Notfalldienst in Biel und der Übernahme der psychiatrischen Angebote in Thun (siehe Kasten) wolle sich das Unternehmen dieser Entwicklung anpassen. Und: «Wir haben seit je viele Überweisungen aus dem Seeland und sind aufgrund unserer Erfahrung in der Grundversorgung gut geeignet, das Angebot in Biel aufzubauen.»

Ende gut, alles gut also? Nein, nicht ganz. Der dritte und zugleich grösste Player im Berner Psychiatriewesen, die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD), bleibt aussen vor. Denn auch sie hatten Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Spitalzentrum Biel. Schliesslich unterhält die UPD in Biel bereits ein Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Dass sich das Spital letztlich für eine Zusammenarbeit mit Münsingen entschieden habe, sei aufgrund «kleiner Unterschiede im offerierten Angebot» zu begründen, sagt Schneider. Und fügt an: «Es war auch ein Stück weit ein Bauchentscheid.»

Bern verärgert
Entsprechend verärgert habe Stefan Aebi, CEO der UPD, auf die gestrige Ankündigung reagiert, wie zu vernehmen ist. Das drückt auch in der schriftlichen Antwort der UPD auf die Fragen dieser Zeitung durch.
In zwei langen Absätzen erfolgt zu Beginn eine Abhandlung darüber, was die UPD genau ist, welche Aufgaben sie erfüllt, welche Leistungen sie anbietet und mit wem sie alles zusammenarbeitet. Dann in aller Kürze: Ja, im Herbst habe ein «einmaliger, unverbindlicher Austausch» zwischen UPD und Biel stattgefunden. Und nein, zur Absichtserklärung der anderen Unternehmen nehme man nicht weiter Stellung.

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Überregionales Psychiatrienetzwerk von Thun bis Biel
Die Psychiatriezenturm Münsingen (PZM) AG, die Spital STS AG mit ihren Standorten in Thun und Zweisimmen und die Spitalzentrum Biel (SZB) AG wollen künftig enger zusammenarbeiten. Das Ziel: Die Patientenpfade optimieren und der ökonomisch angespannten Lage begegnen. Die Verwaltungsräte der drei Unternehmen haben Ende letzten Jahres eine entsprechende Absichtserklärung unterschrieben, wie sie nun mitteilten. Konkret sieht die Kooperation einerseits vor, dass das PZM gemeinsam mit dem SZB in Biel einen psychiatrischen Notfalldienst aufbaut (siehe Haupttext).

Andererseits soll das PZM sämtliche psychiatrischen Leistungsangebote der Spital STS AG übernehmen. Die Spitalgruppe bietet aktuell ambulante Abklärungen, Behandlungen und Beratungen in Thun, Steffisburg, Zweisimmen und Münsingen an. Am Angebot soll sich durch die Übernahme nichts Grundlegendes ändern. Dieses wird laut Beat Straubhaar, Verwaltungsratspräsident PZM, auch künftig vor Ort erbracht. Auch das psychiatrische Personal der Spital STS AG werde übernommen. Straubhaar begründet die Expansion mit dem Strukturwandel in der Psychiatrie (stationär zu ambulant). Zudem ist er der Meinung, dass die Behandlung der Patienten kostengünstiger erfolgen kann, wenn alle Angebote aus einer Hand kämen.

Für Bruno Guggisberg, CEO Spital STS AG, steht bei der neuen Zusammenarbeit im Zentrum, dass den Patienten eine integrierte, wohnortsnahe Versorgung geboten wird. «Das gelingt nur, wenn stationäre und ambulante Leistungen eng miteinander verknüpft sind», sagt er. Die von der Spital STS AG künftig benötigten psychiatrischen Leistungen in ihren Kliniken würden dann bei der PZM AG eingekauft.
Definitiv beschlossen ist die Zusammenarbeit aller Unternehmen derweil noch nicht. Zuerst wird nun ein Projekt ausgearbeitet, das anschliessend die Verwaltungsräte noch genehmigen müssen. Die Umsetzung soll Anfang 2020 erfolgen. mab

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