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Städtevergleich

Bieler Sozialhilfequote 
setzt Sinkflug fort

In Biel ist die Sozialhilfequote 2018 erneut deutlicher gesunken als in den Vergleichsstädten. Mit 11 Prozent bleibt die zweitgrösste Stadt im Kanton Bern dennoch klar an der Spitze.

Symbolbild: Keystone

Lino Schaeren

Die Sozialhilfequote ist in Biel zum zweiten Mal in Folge gesunken: von 11,5 auf 11 Prozent. Das zeigen die gestern publizierten Kennzahlen der Städteinitiative Sozialpolitik für das Jahr 2018. Biel schneidet erneut besser ab als die allermeisten der 13 übrigen Vergleichsstädte, dies zur Freude von Biels Sozialdirektor Beat Feurer (SVP): «Das zeigt, dass die gute Entwicklung im Jahr 2017 kein einmaliger Effekt war, ein Trend bestätigt sich», sagt er.

Die positive Entwicklung kann zumindest teilweise mit dem Arbeitsmarkt erklärt werden, denn im Jahr 2018 ging die Zahl der ausgesteuerten Personen erstmals seit fünf Jahren markant zurück. Allerdings verbleibt die Stadt Biel im interkantonalen Städtevergleich weiter an der Spitze. Der Vorsprung auf die Stadt mit der zweithöchsten Sozialhilfequote, Lausanne, ist sogar weiter angewachsen, weil die Quote hier noch stärker als in Biel gesunken ist (-0,9 Prozent, siehe auch Grafik unten).

In Weiterbildung investieren

Lausanne weist heute eine Sozialhilfequote von 7,8 Prozent aus. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Stadt noch im Jahr 2009 praktisch gleichauf mit Biel lag (10,1 Prozent gegenüber 10,5 Prozent). Zehn Jahre später liegt die Quote in Biel 0,5 Prozent höher, in Lausanne hingegen 2,1 Prozent tiefer. Die Voraussetzungen sind allerdings auch unterschiedlich – der Kanton Waadt hat seine Sozialpolitik ab dem Jahr 2011 stark angepasst. So erhalten ausgesteuerte Personen – Frauen ab 60, Männer ab 61 – bis zur Pensionierung eine sogenannte Brückenrente ausbezahlt, welche die Sozialhilfe ersetzt. Dadurch soll ihnen der Gang zum Sozialamt erspart und die Privatvermögen erhalten bleiben.

Die Bezüger einer Brückenrente verschwinden in Lausanne entsprechend aus der Statistik der Sozialhilfe, obschon sie nicht wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Das führt dazu, dass die Sozialhilfequote bei den 56-64-Jährigen in Lausanne rückläufig ist, während sie im Schnitt aller Kennzahlen-Vergleichsstädte teils massiv steigt: Waren die 18-25-Jährigen vor zehn Jahren noch die Altersgruppe mit der höchsten Sozialhilfequote und jene der 56-64-Jährigen jene mit der tiefsten, sind sie heute gleichauf. In Biel ist die Entwicklung sogar noch extremer: Lag die Quote bei den 56-64-Jährigen 2010 noch unter 7 Prozent, betrug sie 2018 bereits 10,3 Prozent, während die Quote bei den jungen Erwachsenen auf acht Prozent gesunken ist (siehe auch Grafik oben).

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren auch bereits bei den 46-55-Jährigen eine deutliche Zunahme bei der Abhängigkeit von der Sozialhilfe feststellbar ist. Dass das Sozialhilferisiko also bei den 46-64-Jährigen deutlich höher geworden ist, führt Michelle Beyeler, Autorin des Kennzahlenberichts, auf mehrere Gründe zurück: Sie ortet Auswirkungen des Strukturwandels in der Wirtschaft, einen erschwerten Arbeitsmarktzugang sowie mangelnde oder nicht mehr gefragte Berufsbildung. Die Wirtschaft verlange immer mehr hoch qualifizierte Personen, für niedrigqualifizierte Menschen würden Arbeitsplätze wegfallen. Fazit: Kommen steigendes Alter und fehlende Ausbildung zusammen, ist das Risiko besonders gross.

Biel, so Beyeler, sei als traditionelle Industriestadt von den Veränderungen im Arbeitsmarkt besonders betroffen: Hier ist der Anteil von Personen, die keine Berufsausbildung haben, besonders hoch (28 Prozent). Nicolas Galladé, Stadtrat in Winterthur und Präsident der Städteinitiative Sozialpolitik, fordert von der Politik, mehr in Aus- und Weiterbildung zu investieren, damit das Sozialhilferisiko mit zunehmendem Alter nicht noch weiter steigt.

Priorität bei den Jungen

Bei der gestrigen Präsentation wurde deshalb das Modell aus dem Kanton Waadt vom Lausanner Stadtrat Oscar Tosato (SP) als gutes Beispiel aktiver Sozialpolitik präsentiert. Dieses sieht nicht nur eine Brückenrente vor, sondern auch Stipendien statt Sozialhilfe für junge Erwachsene und Ergänzungsleistungen für Familien. Instrumente, die man etwa beim Kanton Bern nicht kennt. Nicolas Galladé sagt deshalb: «Man müsste sich mehr am Waadtländer Modell orientieren.»

Die Städteinitiative, so Galladé, befürworte deshalb die Bestrebungen des Bundesrates, zumindest eines der Instrumente aus dem Kanton Waadt auch auf Bundesebene einzuführen: die sogenannten Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose. Die Voraussetzungen, die der Bundesrat vorsieht, damit Arbeitslose ab dem 60. Altersjahr Überbrückungsleistungen beziehen können, sind jedoch deutlich restriktiver als in der Waadt. Auch der Bieler Gemeinderat hat sich in der Vernehmlassung laut Sozialdirektor Feurer für diese Massnahme ausgesprochen.

Biel will seine Prioritäten aber auch künftig bei den Jungen setzen, wie Feurer sagt. Denn: Bei ihnen sei die Chance grösser, sie schnell wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen hier einen im Vergleich mit den übrigen Kennzahlen-Städten einen überdurchschnittlichen Erfolg: Waren 2010 noch rund 14 Prozent der 18-25-Jährigen in Biel von der Sozialhilfe abhängig, waren es im vergangenen Jahr noch 8 Prozent. Und auch die spezifischen Anstrengungen bei den Alleinerziehenden zeigen offenbar Wirkung: Die Quote ist hier mit 41 Prozent zwar nach wie vor extrem hoch. Gegenüber 2016 (50 Prozent) konnte sie aber schon stark gesenkt werden.

An Berner Gemeinden messen

Die Stadt führt diese Entwicklung auch auf die Reorganisation der Abteilung Soziales zurück, im Zuge dieser konnten knapp 20 neue Stellen geschaffen werden. Diese wurden vorab dafür eingesetzt, die Sozialarbeiter administrativ zu entlasten, damit sich diese auf ihre Beratertätigkeit konzentrieren können. Feurer sieht sich durch die Resultate auf diesem Weg bestätigt. Er betont jedoch auch, dass es sich bei der Städteinitiative Sozialhilfe um einen interkantonalen Kennzahlenvergleich handle, «und die Rahmenbedingungen sind von Kanton zu Kanton unterschiedlich». Aussagekräftiger, so Feurer, werde deshalb ein Vergleich mit den anderen Berner Gemeinden sein.

Tatsächlich hat der Bieler Gemeinderat die Reorganisation der Abteilung Soziales an ambitionierte Ziele geknüpft: Man will jeweils fünf Prozent besser abschneiden als der Kantonsschnitt – und das ab dem Jahr 2018. Feurer muss sich nun also erstmals an diesem Ziel messen lassen, die Zahlenauswertung für das vergangene Jahr laufe aber noch, sagt er. Die Ergebnisse würden dem Gemeinderat Anfang 2020 vorgelegt.

Stichwörter: Sozialhilfe, Kanton Bern

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