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3989 Biel/VS

Biels «kleine Schwester»

Das Gommer Bergdorf Biel zählt 60 Einwohner. Den Kaffee gibt es noch für 3.20 Franken. Zudem schaut man auf eine reiche Geschichte zurück. Und recht zuversichtlich in die Zukunft.

  • 1/13 Der ehemalige Sternekoch, der vor Jahrzehnten im Hotel Elite in Biel die Kelle schwang, in seinem Fischbeizli «La Cantina».
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Hanspeter Flückiger

Nachdem es längere Zeit mehr oder weniger ebenen Weges flott vorbei an Brig und Naters in Richtung Mörel ging, ändern sich die Verhältnisse auf einmal unvermittelt. Das Tal wird immer enger. Rechterhand schiesst der Rotten, wie die junge Rohne hier heisst, milchig weiss und schäumend, abwärts. Links ziehen sich Flühe in die Höhe. Innert wenigen Kilometern gilt es, gut 500 Höhenmeter zu überwinden. Das «End der Welt» liegt doch oberhalb Magglingen, sinniere ich. Aber wenn es schon mehr als ein Biel gibt, gibt es vielleicht auch mehrere Enden der Welt… Weit gefehlt. Eine schöne Hochebene tut sich auf. Was ich noch nicht weiss: Das End der Welt ist definitiv eine Fehlanzeige. Im Gegenteil, das «Herz der Welt» lässt sich hier finden.

Mein «Empfangskomitee» erwartet mich auf dem Parkplatz in Biel. Lokalhistoriker Cäsar Biderbost und Manuela Steiner von Obergoms Tourismus. Gemeindepräsident Beat Mutter hat noch auf der Gemeindeverwaltung zu tun.

Hier bin ich nun also auch in Biel. Aus Oberwalliser-Optik im «richtigen» Biel. Das 60 Seelendorf bildet seit dem Jahr 2000 mit den Nachbardörfern Selkingen im Westen und Ritzingen im Osten wieder die Gemeinde Grafschaft mit nicht ganz 200 Einwohnern. «Wieder», frage ich? «Ja», erklärte Biederbost. Bis ins 12. Jahrhundert gehörten die Dörfer wohl zu den Besitzungen der Grafen von Savoyen. Laut einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1237, von der ein Duplikat in der Gemeindeverwaltung ausgestellt ist, gelangten sie unter die Obhut des Bischofs von Sitten. Dieser erklärte sie zu «Freien», welche ihr Oberhaupt – den Ammann – alle zwei Jahre selbst wählten. Dieser sprach in Zivil- und Rechtshändeln autonom Recht und konnte auch die Todesstrafe verhängen. Dieser privilegierte Status endete 1799 mit dem Einmarsch der Franzosen. Die drei Dörfer wurden für 200 Jahre zu eigenständigen Gemeinden. Der enge Zusammenhalt blieb bestehen. Biederbost: «Ob Pfarrei, Schule, Feuerwehr, Singen, Turnen..., weiterhin wurde alles gemeinsam gemacht.»

Wir kommen bei der Kirche an. Diese steht auf dem Hauptplatz des Dorfes, dem Schloss. Himmel (oben) und Hell (Hölle/unten) heissen grob aufgeteilt die beiden anderen Dorfteile. Eine erste Kapelle wurde hier 1322 gebaut, die Kirche stammt aus dem Jahr 1639. Sie ist dem Apostel Johannes geweiht. Der im Hochaltar stammt vom «Michelangelo der Alpen», dem Bildhauer Johann Ritz aus Selkingen. Mancherorts ragen in der Gemeinde Kapellentürmchen in die Höhe. Als grösste und schönste gilt die Marienkapelle auf dem Ritzingerfeld, einem der wichtigsten Wallfahrtsorte im Kanton. Der Schriftsteller Edzard Schaper (geb. 1908 in Preussen, gest. 1984 in Bern), nannte diesen Ort das «Herz der Welt».

Ein Erinnerungsmahl dient dem Gedenken der 52 Toten, welche im Januar 1872 einem Lawinenunglück zum Opfer fielen. Ein ähnliches Unglück nahm 1999 einen glimpflichen Ausgang. Es gab keine Toten, nur das Gemeindehaus wurde in Mitleidenschaft gezogen. So bestimmte quasi die Natur mit, dass die Gemeindeverwaltung von Grafschaft heute in Ritzingen steht. Dafür steuerte Biel das Gemeindewappen bei. Ein goldener Bischofstab auf blauem Grund. Ergänzt mit drei ebenfalls goldenen Sternen, welche die drei Gemeinden symbolisieren. Solche Sachen managt man im Goms auf pragmatische Weise, konzentriert sich auf das Wesentliche.

Wir sitzen auf der Terrasse des Hotels Weisshorn. Im Bahnhof tuckert der Glacier Express vorbei. Die Aussicht ist herrlich. Das Café creme gibt es für 3.20, den Dreier Mineral für 2.70 Franken. Jetzt mit dabei ist Gemeindepräsident Mutter. Es ist das erste politische Amt, das der 73-Jährige seit fünf Jahren inne hat. «Um mit anzupacken», erklärt er, «denn einfach sei es nicht, aber lohnend.» Grafschaft betreibt eine bemerkenswerte Standortförderung. Die Verkäuferinnen des Dorfladens in Biel, wo auch eine Postagentur integriert ist, sind bei der Gemeinde angestellt. Diese trägt auch das Betriebsdefizit. Deshalb wirbt Mutter im Infoblatt der Gemeinde auch für Aprikosenaktionen. Um kostendeckend wirtschaften zu können, muss man den Umsatz noch um einen Sechstel steigern.

Kinder täten dem Dorf ebenfalls gut. Auch hier zeigt man sich innovativ. Der Mietzins für die schöne Wohnung im Gemeindehaus beträgt 1400 Franken. Pro Kind gibt es eine Reduktion von 100 Franken. Die Schule ist seit dem 30. Juni 2013 zu. Noch fünf Primarschüler leben in der Gemeinde. Das Schulhaus wird nun umgebaut. Die Stiftung Bergwald will ein Regionalzentrum für Waldprojekte einrichten. Ein weiteres Vorhaben ist schon voll im Gange. Der Bau des Kraftwerkes Walibach, welches nach der Fertigstellung den Energiebedarf von 3000 Haushalten abdecken wird. Die Gemeinde ist zur Hälfte an der Betriebsgesellschaft beteiligt und hat sich auch namhaft finanziell engagiert. Eine sichere Investition, ist Mutter, der ehemalige Kadermann der Walliser Kantonalbank, überzeugt.

Das Mittagessen gibt es bei Hans Herzog. Der ehemalige Sternekoch, der vor Jahrzehnten im Hotel Elite in Biel die Kelle schwang, geniest den aktiven Ruhestand in seinem Fischbeizli «La Cantina». Die Angelruten stehen bereit, um die Forellen aus dem Weiher selbst an Land zu befördern.

Stichwörter: Biel, Wallis, Goms, Bergdorf

Kommentare

faktus

Danke für Ihre Reisebeschreibung Biel-Biel (VS), geehrter Herr Flückiger (Odysseus 1952). Immerhin haben Sie den längeren Wegteil per öV und (nur) der Rest Visp-Brig-Biel mit einem Mietwagen unternommen. Sie haben beim Besuch im Goms jetzt erfahren können, dass auch das 60-Seelendorf Biel (VS) einen Bahnhof hat (ohne umsteigen zu müssen ab Visp bis Biel!).. An dieser Stelle nochmals einen herzlichen Dank für den interessanten Bericht über die "kleine Schwester" der Seelandmetropole!


odysseus1952

Lieber faktus ich bin der Autor dieser Geschichte. Um präzis zu sein: Ich bin mit dem Zug bis nach Visp gefahren, und habe dort ein Mobility-Auto genommen.


BrunoSchwab

Ihr Kommentar gefällt mir und entspricht absolut denn Tatsachen. Obwohl ich Politisch wahrscheinlich nicht ihre Ansichten teile, bin ich doch sehr Stolz auf unsere wunderschöne Stadt und ihre Bewohner.


faktus

Wer ausser Hanspeter Flückiger ebenfalls ab und zu im Goms Wanderungen macht oder die schmucken Dörfer besucht, stellt sofort fest: Die beiden Biel (der "Turm zu Babylon" im Seeland und das 60 Seelendorf im Obergoms) könnten nicht unterschiedlicher sein! Das sind zwei ganz verschiedene Welten, trotzdem die zwei "Biel" im gleichen Land sind! Setzt man sich an den Wirtstisch, geht man zur Post oder fragt man ein Einheimischer nach dem Weg, scheint das Gomser Biel tatsächlich in einer (noch) heilen Welt zu liegen. Ist einer im Bieler Multikulti-Gemisch unterwegs, so fühlt man sich in anderen Erdteilen zu sein oder sogar auf einem fremden Planeten (zB.: während dem Feuerwerk am 31. Juli!)! Der BT-Besuchs-Bericht von Hansruedi Flückiger, hat dem "1.August" mit einer schönen Geschichte bereichert. Schade nur, dass der Journalist mit dem Auto ins Oberwallis gereist ist. Mit einem bloss zweimaligen Umsteigen (in Bern und Visp), hätte seine weite Reise besser in die links/grüne Ideologie der Seelandmetropole gepasst!


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