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«Blosses Überholmanöver»

Das Obergericht hat gestern die Strafe gegen einen Raser drastisch reduziert. Und stösst damit die Angehörigen des Opfers vor den Kopf.

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tul. Hat M. (Name der Red. bekannt) in Kauf genommen, dass ein Unfall passieren könnte, oder hat er einfach fahrlässig gehandelt? Dies war die Frage, die sich dem bernischen Obergericht gestern stellte. Angeschuldigt war ein 43-jähriger Mann, der am frühen Morgen des 26. Oktober 2006 in Bargen einen Unfall verursacht hatte, der für einen korrekt fahrenden Rollerfahrer tödlich endete. M. überholte bei Dunkelheit und dichtem Nebel einen vor ihm fahrenden Rübentransporter. Der Grund: Er hatte keine Lust, hinter dem Gespann durch Aarberg zu tuckern. Bei einer Sichtweite von nur etwa 10 bis 15 Metern konnte er einen entgegenkommenden Rollerfahrer nicht sehen. Mit mindestens 50 Stundenkilometern prallten die beiden Fahrzeuge aufeinander; der Rollerfahrer verstarb noch auf der Unfallstelle.<br><br>Hat M. nun diese Kollision in Kauf genommen und damit eventualvorsätzlich gehandelt? Ja, meinten die Hinterbliebenen des Opfers, die deshalb gegen das Urteil der ersten Instanz appelliert hatten. Nein, sagte hingegen Obergerichtspräsident Marcel Cavin in seiner Urteilsbegründung. M. habe sich mit seiner Fahrweise ja auch selbst massiv gefährdet. Daraus könne geschlossen werden, dass M. nur fahrlässig getötet habe, nicht aber eventualvorsätzlich.<br><br>Der Präsident zog zum Vergleich tödliche Raserunfälle heran, bei denen die Gerichte auf eventualvorsätzliche Tötung entschieden hatten. Dort hätten die Täter längere Zeit die Möglichkeit gehabt, ihre Raserfahrt abzubrechen. Hier jedoch sei es eine Sekundenentscheidung gewesen. M. habe zwar unverantwortlich leichtsinnig gehandelt, letztlich aber gehe es allein um «ein blosses Überholmanöver» und damit um fahrlässige Tötung.<br><br>Das Kreisgericht Aarberg hatte M. im vergangenen November zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wovon er ein Jahr abzusitzen hätte, der Rest wurde bedingt erlassen. Diese Strafe entspreche der Höchststrafe für fahrlässige Tötung und stehe darum «schräg in der Landschaft», fand das Obergericht. Es müsse noch Spielraum nach oben bleiben. Es halbierte darum die Strafe auf anderthalb Jahre, wovon sechs Monate abzusitzen sind.<br><br>Die Eltern des Getöteten reagierten mit Unverständnis auf das Urteil. Für sie stellt es eine Belohnung des Rasers dar. Ihr Anwalt sprach von einem «falschen Signal» an die Raser. Roland Wiederkehr von der Strassenopfervereinigung Road Cross fordert auf Anfrage des BT die Möglichkeit, bei gröbster Fahrlässigkeit härter zu bestrafen, als es heute möglich ist.<br><br style="font-style: italic;"><span style="font-style: italic;">Ausführlicher Bericht im BT vom Mittwoch, 13. August auf Seite 13 - oder im E-Paper</span><br><br><br><br><br>

Stichwörter: Raserunfall

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