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Biel/Grossaffoltern

Breaker tauchen ein in eine sanfte Welt

Eine Stunde lang suchen vier Breakdancer aus Biel auf der Bühne den Flow. Am Wochenende treten sie im Bieler Farelsaal auf, eine Woche später in einer Gärtnerei in Grossaffoltern.

Sie mischen schnelle und harte Breakdance-Bewegungen mit sanftem und leisem Ausdruckstanz. Yann Staffelbach
  • Dossier
Hannah Frei
 
Sanft kreist seine Schulter nach hinten, sein Arm folgt leise, die Knie leicht gebeugt, seine Füsse berühren den Boden und doch scheint er zu schweben. Bei seinem Nachbarn ist es die Hüfte, die sich langsam hin und her bewegt, ein sanftes Schaukeln, verspielt, verträumt, und doch ganz da. Sie sind zu viert. Keiner sieht den andern, jeder ganz für sich. Begleitet von Rhythmus und leisen fremden Tönen. Und ab und an bricht einer aus.
 
Die vier tun nicht, was sie ihr ganzes bisheriges Tänzerleben lang taten. Das Feine, das Leichte, das Choreografierte, das sind nicht sie. Oder zumindest waren sie es nicht. Sie sind Breakdancer, leben für den einen Moment, die wenigen Sekunden, in denen sie auf der Plattform ihre wildesten Drehungen und Sprünge zeigen. Doch «Flow» ist anders. Es ist ein Projekt von Meret Wasser und Marc Ugolini. Sie kennt das Traditionelle, die Bühne, die Dramaturgie. Er kennt alles andere, die Moves, die Styles, die vier jungen Männer – drei von ihnen waren früher seine Breakdance-Schüler. Am Wochenende werden sie wieder gemeinsam auf der Bühne im Bieler Farelsaal stehen.
 
180 Stunden geübt
Die Vier, das sind David Bächi, Fabio Aebischer, Noah Spahr und Simeon Röthlisberger. Sie tanzen seit Jahren zusammen in der Gruppe Flowdue. Doch das, was sie mit Ugolini und Wasser machen, ist neu für sie. Die schnellen Bewegungen und Drehungen haben sie weich verpackt. Fast so, als würde eine eiserne Faust in einen Sack voller Watte schlagen. 180 Stunden haben sie bereits geübt, jeden Bewegungsablauf perfektioniert. Denn anders als im Breakdance ist bei «Flow» praktisch alles choreografiert.
 
Auch am vergangenen Samstag, eine Woche vor dem ersten Auftritt, wurde noch daran gefeilt. Im X-Project am Rennweg kamen alle zusammen. Auch die beiden Musiker, Alex Ramseier und Christoph Morgenthaler, hinter Schlagzeug und Rhodes Piano waren dabei. Ramseier und Morgenthaler begleiten nicht, sie interagieren mit den Tänzern. Die Musik haben sie eigens für das Stück geschrieben, mit der Choreografie hat sich aber auch das Musikalische weiterentwickelt, sagt Wasser. «Es entstand alles im Dialog.» Denn das oberste Ziel des Stücks ist der Flow. Das, was im Hier und Jetzt entsteht, in dem Gefühle über Gedanken stehen. «Denkt nicht mehr in Stücken und Übergängen. Sie müssen verschmelzen, zu einem werden», sagt Meret Wasser zu den beiden Musikern.
 
Es war Ugolini, der sich nach dem Flow sehnte, nach dem Gefühl, ganz bei sich zu sein und alles rundherum zu vergessen. Und er wusste: Daraus könnte etwas Grosses entstehen. So fragte er die jungen Breakdancer an. Mit dem Anstoss begannen die Ideen zu sprudeln, die Musiker kamen dazu, Ugolini holte Wasser ins Boot. «Sie bringt das Wissen über die Kunstbühne mit, das wir nicht haben», sagt Ugolini. Die beiden realisierten bereits gemeinsam Projekte, etwa «Flussgeflüster» in der Schüss oder das Open House im Theater La Grenouille. «Wir wussten, dass wir gut zusammenarbeiten», sagt Wasser.
 
Sich nicht verstellen
So begann Anfang Jahr das Proben. Von der ersten Minute an seien die jungen Tänzer in die neuen Welten eingetaucht, hätten neue Bewegungen ausprobiert, neue Gefühle zugelassen, sagt Wasser. Gleichzeitig sei das Bedürfnis gross gewesen, sich beim Entstehungsprozess einzubringen, sagt Ugolini. «Sie wollten sich selbst nicht verlieren.»
 
Und das haben sie nicht, sagt Noah Spahr. «Wir arbeiten mit unserem Material, mit dem, was wir können und kennen. Die Choreografie formt es zu einem Ganzen und hält es zusammen.» Denn so sanft ihre Bewegungen in manchen Momenten sein mögen, Breakdance steckt immer drin.
 
Ein Bühnenstück brauche einen fixen Ablauf, sagt Spahr. Genau definiert zu haben, wann welche Bewegung folgt, gebe ihm Sicherheit. «Diese Sicherheit brauche ich auch.» Nur so gelinge es ihm, über einen langen Zeitraum immer wieder in einen Flow zu kommen – und ihn ab und an wieder zu verlassen. Denn anders könne Flow nicht entstehen, sind sich Ugolini und Wasser einig. «Der Flow trägt die Vergänglichkeit in sich. Sobald man ihn reflektiert, ist er vorbei», sagt Wasser. Das Stück lebe von Gegensätzen, vom Harten und Feinen, vom Lauten und Leisen.
 
«Flow» wird am Samstag und Sonntag im Rahmen des Farel Cypher 2021 aufgeführt. Dies ist eine von der Capsule Academy organisierte Breakdance-Veranstaltung, die heuer zum ersten Mal stattfindet. Nebst den Vorführungen von «Flow» wird es eine Streetshow sowie ein Breakdance-Battle geben.
 
Mit dem Anlass soll der Tanzstil einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden, sagt Ugolini. «Wir möchten zeigen, dass Menschen aus dem Hip-Hop-Bereich sehr wohl in der Lage sind, ein breiteres Publikum anzusprechen.» Zudem will er darauf aufmerksam machen, dass Breakdance nicht Sport, sondern vielmehr Kultur ist. Ab 2024 wird Breakdance zu einer olympischen Disziplin. «Wir wollen den künstlerischen Aspekt und den kulturellen Zweck erhalten», sagt Ugolini. Denn das sei, was Breakdance ausmacht – auch wenn man ihn in Watte packt.
 
Info: Farel Cypher 2021, Streetshows am Samstag um 12 Uhr auf dem Zentralplatz mit Teki Tekua Biel & Capsule Academy, Breakdance-Battle 7 to smoke ab 14 Uhr im Farelsaal, um 20 Uhr Cie Capsule mit «Flow» im Farelsaal; am Sonntag um 17 Uhr Cie Capsule mit «Flow» im Farelsaal. «Flow» wird zudem am 11. und 12. September in der Gärtnerei Leonotis in Grossaffoltern aufgeführt. Die Streetshow und die Battles sind gratis, Infos und Tickets für «Flow» unter www.capsuleacademy.ch/farelcypher

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