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Biel

Coiffeurgewerbe: Konkurrenzdruck ohne Ende?

Seit einigen Jahren schiessen in Biel Barbershops und Salons wie Pilze aus dem Boden. Das Angebot drückt auf die Preise – und schafft neue Probleme.

Um in 
der Masse überleben zu können, ist unter den Bieler Coiffeursalons einPreiskampf ausgebrochen. 
Bild: Unsplash

Maeva Pleines und 
Alexandre Wälti/pl

Wer sich in Biels Innenstadt umsieht, sieht sie beinahe an jeder Strassenecke: die Coiffeursalons und Barbershops. In den letzten Jahren, so scheint es, sind die Geschäfte hier wie Pilze aus dem Boden geschossen. Und nicht nur im Zentrum: « In Biel hat jedes Quartier eine Auswahl an Salons», sagt Luca Francescutto, SVP-Stadtrat. Aus seiner Sicht ist die Dichte an Friseursalons in Biel unverhältnismässig, insbesondere, wenn man ihr die Bevölkerungszahl gegenüberstellt. Mit seinem Ratskollegen Mohamed Hamdaoui (Die Mitte) hat er deshalb im vergangenen Jahr die Interpellation «Biel, die Stadt der Low-Cost-Friseursalons» im Stadtparlament eingereicht.

 

Geht diese Rechnung auf?

Trotz dieses Weckrufes fühlt sich der Gemeinderat nicht zuständig. Tatsächlich werden die Coiffeurgeschäfte seit der Revision des kantonalen Gewerbegesetzes von 1995 nicht mehr registriert. Seither darf jede Person einen Shop eröffnen, ohne ein Zertifikat oder Diplom vorlegen zu müssen. Die Möglichkeit, sich auf unbürokratische Art selbstständig zu machen, hat in den letzten Jahren zu einem beträchtlichen Anstieg von Geschäftsgründungen geführt.

Diese Entwicklung wirft Fragen auf. Luca Francescutto zeigt anhand eines vereinfachten Rechenbeispiels, wie sich die Konkurrenz im Coiffeurgewerbe in Zahlen darstellt: Der Politiker zählt 140 Salons in Biel. Er rechnet mit einem monatlichen Bezug von 4000 Franken für die Geschäftsleitung und 6000 Franken Salär für zwei Angestellte. Die Miete wird mit 4000 und der Betriebsaufwand mit 1500 veranschlagt. Das ergibt pro Monat einen Gesamtaufwand von 15 000 Franken. Bei einem Preis von 20 Franken pro Haarschnitt muss dieser Shop 850 Kunden im Monat oder 34 pro Tag bedienen.

Francescutto weitet seine Rechnung auf die 140 Bieler Salons aus: Damit alle nach dem skizzierten Budget überleben können, müssten jeden Tag 4812 Personen zum Haareschneiden gehen – und das in einer Stadt mit 56 000 Einwohnenden. «Das ist schlicht unmöglich», stellt der Volksvertreter fest.

Er ist überzeugt, dass einige Salons auch für illegale Geschäfte genutzt werden: «Wenn man die luxuriöse Ausstattung gewisser Adressen betrachtet, fällt es schwer, eine mafiöse Organisation im Hintergrund auszuschliessen.» Zur Bekämpfung von Geldwäscherei und anderen Delikten fordert der SVP-Parlamentarier mehr Kontrollen (siehe Zweittext): «Die Erfolgsrechnungen müssen genau geprüft werden, um Unregelmässigkeiten aufzudecken», so Francescutto. Er geht davon aus, dass die Stadtverwaltung das Problem kennt. Aber: «Solange die Branche vordergründig zum Nutzen der Stadt floriert, wird nicht eingegriffen.»

 

Beruf ist nicht geschützt

Bei den etablierten Fachbetrieben macht sich unter der stetig wachsenden Konkurrenz Verdruss breit. Einige sprechen von unlauteren Machenschaften, die meisten reagieren mit Achselzucken. Die Bielerin Dominique Zimmermann von «Dominique Coiffure» sagt etwa: «Ich frage mich, wie die Low-Cost-Shops so tiefe Preise praktizieren können. Dabei sind doch die Mieten und Pflegeprodukte für alle teuer.» Sie selbst musste deswegen nach 40 Jahren Geschäftstätigkeit in kleinere Räume umziehen. «Womöglich bezahlen die Konkurrenten keine Versicherungen und extrem tiefe Löhne», mutmasst die Coiffeuse. Sie stelle auch fest, dass einige ihren Shop schliessen und andernorts wieder eröffnen. «Diese Entwicklung bringt unseren wunderbaren Beruf in Gefahr», sagt Zimmermann. Immerhin könnten die traditionellen Betriebe auf eine treue Stammkundschaft bauen, aber für die nächste Generation macht sich die Fachfrau Sorgen: «Nach drei Jahren Berufslehre haben die Jungen kaum eine Chance, als Selbstständige zu überleben.»

Marina Mariotti vom Salon «La Scena, L’esprit de la coiffure» beurteilt die Lage ähnlich. Sie wünscht sich eine bessere Regulierung des Berufsstandes: «Man muss gleiche Pflichten für alle und Minimallöhne für die verschiedenen Mitarbeiterkategorien durchsetzen.»

 

Low-Cost-Spirale

Kahlid Saleh, der Chef von «Prinz Coiffeur», wünscht sich ebenfalls einen Mindestpreis für den Haarschnitt – obwohl er selbst zu den Billiganbietern gehört. «Wir senken die Preise sehr ungern, aber wenn neben uns ein neuer Salon öffnet, müssen wir mitziehen, um unsere Kundschaft zu behalten», sagt er.

Saleh ist seit zehn Jahren in Biel tätig, und sein Unternehmen «Prinz Coiffeur» betreibt vier Filialen. Auch er fände eine Beschränkung von Neueröffnungen, einen Mindestabstand zwischen zwei Salons und vermehrte Kontrollen durch die Gewerbeaufsicht sinnvoll.

Erst vor einer Woche hat Mohamad Kamaran Azeaz sein Coiffeurgeschäft an der Aarbergstrasse eröffnet. Auch er will sich mit einem Haarschnitt für 20 Franken einen Namen machen, räumt aber ein, dass er davon langfristig nicht existieren könnte: «Ich zehre von meinen Reserven und hoffe, aus meinem Bekanntenkreis einen Kundenstamm aufbauen zu können.» Azeaz nennt ein weiteres Kennzeichen für den Bieler Markt: «In dieser Stadt leben viele Menschen mit bescheidenem Einkommen. Ohne die tiefen Preise läuft da nichts», so der Geschäftsinhaber.

 

Keine groben Regelverstösse festgestellt

Friseursalons breiten sich munter aus, weil die juristischen, administrativen und finanziellen Hürden für eine Geschäftseröffnung im Vergleich zu anderen Gewerbekategorien niedrig sind. Zu niedrig, meinen einige.

Wer von der Verwaltung Auskunft über eventuelle Kontrollen erhalten möchte, muss nach einem Ansprechpartner suchen. Die Bieler Polizei verweist auf den Kanton, der im Rahmen des Geldwäscherei-Gesetzes für die Überwachung von Firmen und die Verfolgung von Delikten zuständig ist.

Die Fremdenpolizei der Gemeinde Biel führt allerdings Inspektionen zur Prüfung der Arbeitsbewilligungen durch. Pro Jahr werden 16 Betriebe untersucht. André Glauser, Leiter der städtischen Abteilung für öffentliche Sicherheit, sagt: «Die Mehrzahl der Coiffeursalons arbeitet regelkonform.» In den letzten zwei Jahren wurden vier Verstösse gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) festgestellt.

Bei der Kantonspolizei Bern sind keine systematischen Kontrollen von Coiffeurbetrieben vorgesehen. «Wir prüfen die Salons lediglich auf die Einhaltung der Covid-Regeln», heisst es dort.

Die Arbeitsmarktkontrolle Bern ist beim Amt für Wirtschaft (AWI) angesiedelt. Sie führt im Auftrag des Kantons Kontrollen über Schwarzarbeit, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie Lohn- und Arbeitsbedingungen durch. Eine aktuelle Bilanz über die Situation in der Seelandmetropole liegt nicht vor. Vor vier Jahren aber wurden alle Coiffeursalons in Biel und Thun auf Schwarzarbeit kontrolliert. Die Auswertung ergab «wenige oder keine Verstösse gegen sozialversicherungs- und ausländerrechtliche Bestimmungen», lautet das Fazit des Kantons.

Hingegen stellten die Inspektoren «viele Verletzungen der gesamtarbeitsvertraglich vereinbarten Löhne» fest. In diesen Fällen sind die Sozialpartner der Coiffeurbranche aufgefordert, die Ansprüche der Mitarbeitenden durchzusetzen.

Dimitri Suhner, Präsident der Sektion Biel-Seeland-Berner Jura vom Verband Schweizer Coiffeurgeschäfte, räumt ein, dass er nicht beurteilen kann, ob alle Shops «nach den Regeln der Kunst» arbeiten. Allerdings führe sein Verband viele Inspektionen über die Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrages durch. Auch die Gewerkschaften hätten in den letzten zwei Jahren vermehrt kontrolliert. «In Biel wurden uns nur kleine Verletzungen gemeldet», erklärt Suhner. MAP/pl

 

Petition fordert 13. Monatslohn

Die Coiffeurbranche ist eine Tieflohnbranche. Gemäss dem aktuellen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) gilt im ersten Jahr nach der Ausbildung ein Basislohn von monatlich 3800 Franken. Im dritten Berufsjahr steigt er um 50, im vierten um 75 Franken und erreicht im fünften Berufsjahr 4000 Franken. Wird ein gewisser Mindestumsatz unterschritten, kann der Lohn sogar noch um bis zu 400 Franken gekürzt werden. «Das ist sehr beschämend für die gut ausgebildeten Fachkräfte und kommt daher, dass die Branche schlecht reguliert ist», sagt dazu Syna-Gewerkschafterin Migmar Dhakyel.

So können in den Coiffeursalons offenbar auch Mitarbeitende angestellt werden, die beispielsweise aus dem Ausland kommen und Erfahrung haben, aber keine oder eine geringere Ausbildung. «Die Salonbetreiber haben angesichts der grossen Nachfrage nach Coiffeurjobs eine starke Verhandlungsposition und können die Löhne auf ein Minimum drücken», sagt Dhakyel weiter.

Um den schlechten Lohnbedingungen entgegenzuwirken, hat die Gewerkschaft Syna im Rahmen der Verhandlungen um einen neuen GAV (der aktuelle läuft Ende Jahr aus) eine Petition beim Arbeitgeberverband Coiffure Suisse eingereicht. Sie fordert darin einen 13. Monatslohn. «Sogar die Gastronomie, ebenfalls ein Tieflohnsektor, hat einen 13. Monatslohn.»

Dimitri Suhner, Präsident der Sektion Biel-Seeland-Berner Jura vom Verband Schweizer Coiffeurgeschäfte kann die Forderung nachvollziehen. Für ihn ist die Verlängerung des GAV essenziell: «Dank dieser Regeln haben wir Qualitätskontrollen, es werden Bussen oder Schliessungen ausgesprochen. Fällt dies weg, wird der Wildwuchs an Dumping-Salons noch grösser.» mha

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