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Westast

Corona mischt den Bieler Wahlkampf auf

Der runde Tisch zu Biels Stadtautobahn legt wohl erst nach den Bieler Wahlen seine Empfehlung vor. Nun müssen die Politiker schon vorher Farbe bekennen.

Symbolbild: bt/a
  • Dossier

Stefan von Bergen

Wenn nach den Sommerferien in Biel der Wahlkampf beginnt, ist ein Thema längst gesetzt: der umstrittene Autobahn-Westast. Die geplante Umfahrung mitten durch Biels Seevorstadt ist ein Politikum erster Güte. Seit der Gründung des Komitees Westast so nicht! 2015 gibt es in Biel keine neutrale Haltung mehr zum Projekt. Entweder ist man – vor allem im autokritischen rot-grünen Lager – gegen das einschneidende Vorhaben. Oder man ist dafür. Derzeit warten in Biel alle auf die Empfehlungen, die ein seit Februar 2019 tagender runder Tisch mit Gemeindevertretern, Gegnern und Befürwortern bis Ende Juni den Kantonsbehörden abgeben soll. Das Timing schien ideal. Biels politische Parteien konnten davon ausgehen, dass sie ihre Strategie für die städtischen Wahlen vom 27. September an der Haltung des runden Tischs ausrichten würden. Nun aber wird die Coronakrise die Reihenfolge auf den Kopf stellen und dadurch Biels Wahlkampf aufmischen. Die politischen Player können sich nun wohl nicht mehr hinter der Empfehlung des runden Tischs verstecken.

 

Stadtpräsident Erich Fehr
gibt sich zugeknöpft

Der kantonale Verkehrsdirektor Christoph Neuhaus (SVP) sagte letzte Woche gegenüber der «Berner Zeitung», dass die Frist des runden Tischs um die im Lockdown verlorene Zeit verlängert werde. Also etwa um zwei bis drei Monate. Über den genauen Termin wird am 2. Juni entschieden. Hans Werder, Moderator des runden Tischs und früherer Generalsekretär im Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, klärt derzeit mit den Teilnehmenden ab, wann man sich wieder treffen kann. Ob die auf den 23. Juni angesetzte nächste Sitzung der 50-köpfigen Dialoggruppe stattfinden kann, ist noch unklar. Ob der runde Tisch schon vor dem Wahltag vom 27. September zu einem Abschluss kommen kann, ist für Werder unsicher. Er geht überdies davon aus, dass der Dialogprozess während des Wahlkampfs sistiert würde.

Über die kurz- und mittelfristigen Massnahmen in den nächsten fünf bis zehn Jahren habe man schon einen Konsens erreicht, sagt Hans Werder. Über die langfristigen Massnahmen – konkret: die umstrittenen Tunnelbauten – sei die Diskussion aber noch im Gang. Biels Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer müssen also in Sachen Westast wohl Farbe bekennen, noch bevor der runde Tisch eine Einigung erzielt hat.

Das gilt vor allem für den amtierenden Stadtpräsidenten Erich Fehr von der SP, der die Wiederwahl anstrebt. Westast-Gegner sagen ihm nach, dass er in der Bieler Kardinalfrage am Lavieren sei. Wenn Fehr bei den Befürwortern auftrete, würden diese denken: Er ist einer von uns. Trete er bei den Gegnern auf, hätten diese denselben Eindruck. Wer hat recht? Auf welcher Seite steht Fehr? «Ich stehe auf der Seite der Stadt Biel», sagt dieser auf Anfrage.

Nein, das sei keine typische Politikerfloskel, wehrt sich Fehr. Seine Position sei klar: «Wir müssen im Rahmen des Dialogs am runden Tisch eine für alle Seiten tragfähige Lösung finden.» Ist das nicht schon wieder eine Floskel? «Ich bin als Stadtpräsident dem Kollegialitätsprinzip, der Behördenarbeit und dem Dialogprozess verpflichtet», sagt Fehr. Er könne dem Ergebnis des Dialogs nicht einfach vorgreifen und irgendeine Forderung herausschreien.

Als 2009/10 eine Arbeitsgruppe unter dem früheren Bieler Stadtpräsidenten Hans Stöckli die aktuell diskutierte Lösung mit zwei Autobahnanschlüssen mitten in der Stadt vorschlug, war Fehr schon Mitglied des Bieler Gemeinderats. Er könnte sich also tatsächlich an frühere Behördenentscheide gebunden fühlen. Fehr gibt zu, dass er als bisheriger Kandidat, der die Wiederwahl anstrebe, etwas weniger frei sei als eine neu Antretende oder ein neu Antretender. Ein wenig lässt er sich dennoch in die Karten blicken: Die Haltung gegenüber der motorisierten Mobilität habe sich in den letzten zehn Jahren verändert. «Die Diskussion hat sich von einer Strassenbaufrage zur einer gesellschaftspolitischen Debatte über die Stadtentwicklung und die Mobilität von morgen entwickelt», sagt Fehr. Deshalb habe er ja auch die Stadt Biel dem Kanton als Pilotort für Mobility-Pricing vorgeschlagen.

 

Rot und Grün müssen sich
noch finden

«Es ist klar, dass der Westast nicht so gebaut wird, wie er ursprünglich geplant wurde. Das will die Bieler Bevölkerung nicht», sagt Susanne Clauss, Co-Präsidentin und Stadträtin der Bieler SP. Sie räumt aber ein, dass es in ihrer Partei jenseits von diesem Grundkonsens unterschiedliche Positionen gebe. Die einen wollen eine zurechtgestutzte, die Radikaleren aber gar keine Stadtautobahn. «Wir müssen mehrere Faktoren berücksichtigen: die Interessen des Gewerbes, die Wiederwahl des Stadtpräsidenten, den Dialogprozess und unser Wahlbündnis mit den Grünen», sagt Clauss. Bei der SP gibt es also noch internen Diskussionsbedarf.

Für die Grünen aber gibt es in Sachen Westast weder Zweifel noch Differenzen. «Dieses Projekt betrifft die DNA unserer Partei», sagt die grüne Stadträtin Lena Frank. Nicht zuletzt der Widerstand gegen den Westast habe ihre Partei in Biel stark gemacht. Der umweltpolitische Aufreger vor der Haustür ist für die Bieler Grünen ein Glücksfall, der ihre Anhänger mobilisiert.

Die Grünen, räumt Frank ein, hätten etwas mehr Spielraum, ihre dezidierte Position zu vertreten, weil sie nach dem Rücktritt von Baudirektorin Barbara Schwickert keinen bisherigen Gemeinderatssitz zu verteidigen haben. Am 8. Juni nominiert die Partei ihre zwei Kandidaturen auf dem Fünferticket mit der SP. Frank selber würde sich zur Verfügung stellen. SP und Grüne haben derzeit drei der fünf Bieler Gemeinderatssitze inne. Die SP hat zur Verteidigung ihrer zwei Sitze schon den Bisherigen Erich Fehr sowie die Stadträtinnen Glenda Gonzalez und Anna Tanner nominiert (das BT berichtete).

Dass sich Grüne und SP in Sachen Westast nicht finden könnten, glaubt Lena Frank nicht. Eher befürchtet sie, dass sich die Westast-Positionen im Wahlkampf verhärten könnten. Das aber könnte die Konsensfindung im Dialog am runden Tisch erschweren. Wichtiger als die Empfehlungen der Dialoggruppe sei allerdings, wie die Behörden diese dann umsetzen würden, findet Lena Frank.

 

Bürgerliche sind meist
für Westast

Und wie steht es im traditionell autofreundlichen bürgerlichen Lager, ist es ein einheitlicher Block von Westast-Befürworterinnen und -Befürwortern? «Für uns ist klar: Biel muss vom Transitverkehr befreit werden», sagt Stadt- und Grossrätin Sandra Schneider, Fraktionschefin der SVP im Stadtrat. Man gehöre zum Lager der Befürworter, man habe sich aber noch nicht auf eine bestimmte Westast-Variante festgelegt.

In der FDP gibt es keine offizielle Position zum Westast. «Wir haben dazu noch nie eine Konsultativabstimmung bei unserer Basis gemacht», sagt Reto Lindegger, Präsident der Bieler FDP. Er wäre nicht überrascht, wenn es auch aus den Reihen seiner Partei Mitglieder im Anti-Westast-Komitee gäbe. Die Parteiexponenten hätten sich aber immer klar für den Westast ausgesprochen, sagt er. «Ich bin allerdings nicht sicher, ob der Westast überhaupt das Hauptthema des Wahlkampfs sein wird», fügt Reto Lindegger an. Was denn sonst? «Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in der Industriestadt Biel könnten wichtiger sein», vermutet er. Vom April 2019 bis zum April 2020 stieg die Arbeitslosenquote in der Stadt Biel von 3,5 auf hohe 4,8 Prozent. Dieser Sprung könnte im Bieler Wahlkampf eine Rolle spielen. Den Aufreger Westast dürfte er kaum von der Agenda verdrängen.

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Regierungsrat Christoph Neuhaus erhält einen offenen Brief aus Biel

Die Dialoggruppe rund um den Bieler Westast hat Anfang Mai eine coronabedingte Terminstreckung von maximal zweieinhalb Monaten erhalten, um eine breit abgestützte Lösung im umstrittenen Bauprojekt zu finden (das BT berichtete). Das heisst, das Gremium rund um Diskussionsleiter Hans Werder hat neu bis Ende August oder spätestens Mitte September Zeit, um zu erklären wie es mit der geplanten Autobahn im Westen von Biel weitergehen soll. Gut möglich, dass sich das aber noch ändern.

Denn mit diesem neuen Fahrplan sind die Westastgegner nicht einverstanden. Gestern haben die 15 westastkritischen Organisationen – darunter «Westast – so nicht!» einen offenen Brief an Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) versendet. Unterschrieben ist er von den beiden Kerngruppenmitgliedern Catherine Duttweiler, Vorstandsmitglied des Komitees, und von Urs Scheuss, Mitglied der Kerngruppe und Vorstandsmitglied des VCS.

Westastkritiker fordern im Schreiben deutlich mehr Zeit für die Lösungssuche. Sie begründen das damit, dass der Dialog wegen der Coronakrise seit März unterbrochen wurde: «Aktuell ist es insbesondere wegen des Versammlungsverbots nicht möglich, einen echten Dialog zur Meinungsbildung in unseren Verbänden, Organisationen und Bewegungen zu führen.»

Dabei sei man doch gerade auf gutem Weg gewesen: Dank gemeinsamer Initiative der Befürworter und Gegner habe man Fortschritte erzielt, sagt Catherine Duttweiler. Ein abgekürztes Verfahren würden diese mühsam erarbeiteten Fortschritte aber gefährden. Zudem wird im Brief auf die Sommer- und Schulferien sowie die anhaltende berufliche und private Mehrfachbelastungen wegen Covid-19 verwiesen. Der Verteiler der Dialoggruppe umfasst 70 Personen. Darunter seien viele Selbstständige, Unternehmerinnen und Unternehmer und Eltern von schulpflichtigen Kindern. Denn das Komitee wolle zwingend alle Mitglieder kontaktieren, bevor es einer Lösung zustimme.

Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) hat den offenen Brief bereits geleesen. «Bis jetzt haben wir wegen Covid-19 etwa zweieinhalb Monate verloren, wir werden am Ende aber genau die Zeit anhängen, die wegfiel», sagt der Regierungsrat und Leiter der Behördendelegation Westast. Auch wenn man natürlich Forderungen stellen dürfe, gehe es auch darum, das Projekt zügig abzuschliessen. «Es wird nämlich nicht besser, wenn wir es in die Länge ziehen», sagt er. Laut Neuhaus ist Dialogleiter Hans Werder derzeit daran, Möglichkeiten zu finden, um den Dialog so schnell wie möglich fortzusetzen. Falls nötig, in einer neuen Form. Denn auch für Christoph Neuhaus ist klar: «Der gute Geist, der vor dem Lockdown im Dialog drin war, muss wiederbelebt werden.»

Catherine Duttweiler sagt dazu: «Wenn Neuhaus tatsächlich eine breit abgestützte Lösung anstrebt, dann muss er dem Dialog auch eine faire Chance geben.»

Auch Westastbefürworter hatten Kenntnis von den Forderungen an den Regierungsrat und damit an die Behördendelegation, wie Befürworter Gilbert Hürsch sagt. Er ist Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Biel-Seeland.

Und auch diese Seite fragt sich, ob eine Verlängerung von zwei Monaten reichen wird. «Wir können die Forderungen der westastkritischen Organisationen nachvollziehen», sagt Hürsch. Dass die Frist verlängert werden müsse, liege aufgrund der Coronakrise auf der Hand. Für eine genauere Beurteilung des noch benötigten Zeitraumes müsse man aber die nächsten Sitzungen abwarten. «Die Diskussionen rund um die langfristigen Varianten haben ja vor der Krise erst begonnen. Fazit: Verlängern ja, wie lange kann man erst nach Wiederaufnahme der Gespräche sagen.»

Bisher sind drei Sitzungen der Kerngruppe und zwei Treffen der grösseren Dialoggruppe wegen der Pandemie abgesagt worden. Am 2. Juni wird sich die Behördendelegation mit Vertretern der Städte Biel, Nidau, des Kantons und Bundes zum nächsten Mal treffen, und über das weitere Vorgehen reden. Geplant war eigentlich für diesen Termin bereits ein Gespräch über konkrete Autobahnlösungen.

Da der Bau des offiziellen Westastprojekts bis Ende Juni sistiert ist, muss die Delegation eine Verlängerung der Sistierung und eine neue Frist für den Dialogabschluss beantragen. Entscheiden wird am Ende der Bund. Deborah Balmer

 

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