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Bestattungen

Corona verändert den Abschied

Der Tod gehört zum Alltag eines Bestatters. Doch die zahlreichen Coronatoten belasten den Bieler Philipp Messer und beeinflussen seine Arbeit. Auch Angehörige können derzeit nicht gleich um die Verstorbenen trauern.

Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt

Deborah Balmer

Der Grossvater, die Schwester, die geliebte Ehefrau – jeden Tag sterben derzeit Menschen an oder mit dem Coronavirus. Seit Beginn der Pandemie sind in der Schweiz über 6000 Menschen wegen des Erregers aus dem Leben geschieden. Dass derzeit mehr Menschen als sonst sterben, zeigt auch ein Blick auf die Zeitungsseiten mit den Todesanzeigen, die deutlich zugenommen haben.

In den meisten Fällen handelt es sich bei den Verstorbenen um ältere Menschen, denen Monate oder Jahre des Lebens genommen wurden. Laut dem Bieler Bestatter Philipp Messer wurden die meisten in den 20er- oder 30er-Jahren geboren. «Junge Menschen trifft es selten und wenn sie an Corona sterben, hatten sie meistens eine Vorerkrankung», sagt Messer, der an der Reuchenettestrasse in Biel das Bestattungsunternehmen Storz führt. Messer ist zudem der oberste Bestatter der Schweiz: Er ist der Präsident des Schweizer Verbands der Bestattungsdienste.

 

«Es geht um Menschenleben»

Auch wenn für ihn der Tod etwas Alltägliches ist, beschäftigt ihn Corona stark – nicht nur, weil das Virus seine Arbeit verändert hat. «Corona ist eine Gefährdung, denn jedes Menschenleben ist wertvoll», sagt er. Messer betont, dass er kein Verständnis dafür hat, wenn man die Pandemie auf die leichte Schulter nimmt und etwa Weihnachten im grossen Kreis feiert: «Jeder kann etwas dazu beitragen, dass sich der Krankheitserreger nicht weiterverbreitet. Es geht um Menschenleben und ich bin erstaunt, dass viele dennoch nicht bereit sind, ihre sozialen Kontakte einzuschränken.»

Seit Corona hat sich der Alltag des Bestatters, der stets die erste Anlaufstelle für Hinterbliebene ist, stark gewandelt: «Wegen der vielen Todesfälle haben wir massiv mehr zu tun und leisten zahlreiche Überstunden», sagt der studierte Ökonom, der davon ausgeht, dass sich in seinem Bestattungsunternehmen die Zahl der Verstorbenen in den letzten Wochen nahezu verdoppelt hat.

Wenn jemand wegen des Virus verstarb, ist auch danach für Angehörige und den Bestatter noch besondere Vorsicht geboten. Denn die verstorbene Person könnte noch immer Träger der Viren und entsprechend ansteckend sein.

Wenn er die Leichen wäscht und bewegt, könnte Luft aus der Lunge entweichen. Messer trifft entsprechende Vorsichtsmassnahmen: Er arbeitet mit einer Schürze, mit Handschuhen, Brille, Kopf- und Schuhschutz. Ein Mundschutz gehört sowieso immer dazu. Das erfordert deutlich mehr Zeit als zuvor. Weil auch er Angst vor einer Ansteckung haben muss, hofft er, dass Bestatter bei den Impfungen Vorrang haben und prioritär geimpft werden, ähnlich dem Pflegepersonal. Wird der Leichnam im Sarg aufgebahrt, verhindert eine Glasscheibe, dass er von Familienmitgliedern umarmt oder geküsst wird. Auch das ist eine wichtige Massnahme.

Sowieso ist auch für Hinterbliebene vieles anders: Sie haben nicht mehr so viel Zeit und Gelegenheit, um von der verstorbenen Person Abschied zu nehmen – alles muss schneller gehen. Und obwohl Trauerfeiern in Kirchen und die Beisetzung auf Friedhöfen erlaubt sind, verzichteten schon in den vergangenen Wochen viele auf das anschliessende Leidmahl in einem Restaurant. Und wenn es trotzdem stattfand, war es nur für die nächsten Angehörigen und nicht für einen grösseren Kreis gedacht. Doch gerade dieses Mahl ist laut Messer für Familienangehörige, Freunde und Wegbegleiter sonst sehr wichtig. «Man weint zusammen, erinnert sich an den Verstorbenen zurück, wird gemeinsam getragen – es ist normalerweise der Beginn des Trauerprozesses.» Viele Familien würden ihn deshalb derzeit darum bitten, die Urne doch bei sich im Urnenschrank aufzubewahren, um dann in besseren Zeiten doch noch im grösseren Rahmen Abschied nehmen zu können, erklärt Messer.

 

«Das geht mir sehr nah»

Behördengänge organisieren, eine Pfarrerin finden – das Leidzirkular schreiben, Blumen organisieren: Der Bestatter hilft der betroffenen Familie nicht nur im Umgang mit der Trauer, sondern auch, alles rund um eine Beerdigung zu organisieren. In den Sommermonaten hatte Philipp Messer deutlich weniger zu tun als jetzt, weil Beerdigungen auch damals in kleinerem Rahmen stattfanden. Doch weil nun viel mehr Menschen sterben, hat sich das geändert.

Dabei hört der Bieler Bestatter auch viele Geschichten, die ihm unter die Haut gehen. So hat er mitbekommen, wie ein junger Mann vor einem Altersheim am Telefon darum bat, von einer im Sterben liegenden Person Abschied nehmen zu dürfen. Das sei ihm aber verwehrt worden. «So etwas geht mir schon sehr nah», sagt Philipp Messer, der eigentlich ein entspanntes Verhältnis zum Lebensende hat und den Tod als «gemeinen Kerli» bezeichnet, weil er beispielsweise Kinder durch einen Unfall unerwartet aus dem Leben reissen kann. «Andere leiden vielleicht an einer schweren Krankheit und der Tod wäre eine Erlösung für sie, doch sie können nicht sterben.»

Stichwörter: Corona, Tod, Bestattung, Biel

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