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Finanzen

Corona wird auch die Gemeindekassen stark belasten

Um den Geldfluss während der Corona-Krise zu sichern, nehmen einige Gemeinden Kredite auf. Sie erleiden Einbussen bei 
Taxen und Gebühren.

Die Stadt Biel rechnet provisorisch mit 10 Prozent weniger Einnahmen aus Firmensteuren. Bild: Matthias Käser
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Sandra Rutschi

Die Corona-Krise wird die öffentliche Hand viel Geld kosten. Zugleich wird sie weniger Steuern einnehmen. Was für den Bund und die Kantone gilt, trifft auch auf die Gemeinden zu. Beträge kann zurzeit niemand mit Sicherheit nennen. Der Bundesrat hat zwar angekündigt, ab Ende April den Lockdown schrittweise zu lockern. Dennoch bleibt unklar, wie lange die Krise dauern und welche konkreten Herausforderungen sie noch mit sich bringen wird.

Die «Berner Zeitung» hat exemplarisch bei fünf unterschiedlichen Gemeinden im Kanton Bern nachgefragt, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen und welche finanziellen Knacknüsse sie erwarten:

In Biel, der zweitgrössten Stadt im Kanton mit knapp 56 000 Einwohnern, geprägt von der Uhrenindustrie, einem hohen Ausländeranteil und einer rekordhohen Sozialhilfequote.

In Köniz, der grössten Agglomerationsgemeinde im Kanton mit knapp 43 000 Einwohnern, geprägt von eher städtischen Gebieten wie dem Liebefeld und ländlichen Dörfern wie Gasel.

In Langnau, dem Regionalzentrum im Emmental mit gut 9000 Einwohnern, geprägt von kleineren Gewerbebetrieben.

In Interlaken, der Tourismusgemeinde im Berner Oberland mit knapp 6000 Einwohnern, geprägt von den Jungfraubahnen und den Touristen aus Asien.

In Rohrbach, dem 1480-Seelen-Dorf im Oberaargau, geprägt von Gewerbebetrieben und Landwirtschaft.

Damit beschäftigen sich diese Gemeinden:

Der Finanzfluss

Wie der Kanton und der Bund bezahlen Gemeinden ihre Rechnungen nun möglichst schnell und stunden Beträge, die ihnen Firmen und Private schulden. «Wir bezahlen auch weiterhin alle Subventionen, etwa für den 100-Kilometer-Lauf, der nicht stattfinden kann», sagt die Bieler Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR). Die Stadt erlässt auch Pachtbeträge. Dasselbe wird Langnau bei den Pächtern prüfen, die das Restaurant zum nun geschlossenen Hallenbad betreiben. Interlaken stundet Mietzinse für Firmen, die in ihren Liegenschaften eingemietet sind.

Insgesamt geht also bei den Gemeinden mehr Geld raus als sonst, während weniger reinkommt. Biel hat vorsorglich einen Kredit von 20 Millionen Franken aufgenommen – um liquid zu bleiben. «Wir haben stabile Finanzen, auch dank der Tatsache, dass die Firmensteuern nicht gesenkt wurden», sagt Steidle, die gegen diese Senkung gekämpft hatte.

Auch Langnau hat einen Kredit aufgenommen, um den Geldfluss zu gewährleisten. Anders als in Biel ist das für das Emmentaler Regionalzentrum aber nichts Neues, wie der zuständige Gemeinderat Johann Sommer (FDP) sagt. «Es gibt bei uns in jedem Finanzjahr Zyklen, in denen wir noch auf Geld warten, etwa aus dem Finanz- und Lastenausgleich.» Sommer und Steidle betonen, dass das Zinsniveau für solche Überbrückungskredite im Moment sehr gut sei. Deshalb würden die Zinskosten weder in Biel noch in Langnau die Erfolgsrechnung übermässig belasten.

Allerdings zeichnet sich bereits eine Veränderung ab: Während vor wenigen Wochen noch ein Negativzins galt, liegt er nun bereits leicht über 0. Auch das eine Auswirkung der Corona-Krise. «Aber das Zinsniveau für Kredite ist noch immer wesentlich besser als bei der Finanzkrise vor 15 Jahren», sagt Steidle.

Künftige Steuereinnahmen

Eine der grössten Unsicherheiten, mit denen sich die Gemeinden zurzeit herumschlagen, sind die Auswirkungen der Corona-Krise auf die künftigen Steuereinnahmen. Biel rechnet provisorisch mit 10 Prozent weniger Steuereinnahmen bei juristischen Personen, was 4 Millionen Franken entsprechen würde. Johann Sommer hofft, dass die vielseitige Gewerbelandschaft in Langnau dazu führt, dass es nicht alle gleich stark trifft.

Welche Beträge bei Privatpersonen wegfallen, weil sie arbeitslos werden oder weniger verdienen, kann niemand abschätzen. «Das käme Kaffeesatzlesen gleich», sagt die Rohrbacher Gemeindepräsidentin Elisabeth Spichiger (SVP).

In Köniz ist die Corona-Krise für die Steuern nicht die einzige Herausforderung. Das Stimmvolk hat letzten Herbst eine Steuererhöhung abgelehnt. Anfang 2020 hat die Swisscom angekündigt, 1200 Mitarbeitende aus Köniz abzuziehen. Allein daraus rechnet Gemeindepräsidentin Annemarie Berlinger (SP) mit 3 Millionen Franken weniger Steuereinnahmen. Treffen wird dies Köniz ab 2021 – dann, wenn auch die Corona-Auswirkungen belastend sein werden. «Unter diesen Umständen können wir ab 2021 nicht ausschliessen, dass wir dem Stimmvolk noch einmal eine Steuererhöhung vorlegen müssen», sagt Berlinger.

Die Gemeinde Interlaken hat einen hohen Anteil an Firmen, deren Betrieb nun stillsteht. Es handelt sich vor allem um Tourismusfirmen wie Bijouterien oder Bergbahnen sowie Hotels und Restaurants. Laut Gemeindepräsident Urs Graf (SP) hängt hier vieles davon ab, wie lange sich die weltweite Krise hinzieht. «Zurzeit ist noch nicht Hauptsaison. Im Sommer aber wäre der Totalausfall dramatischer», sagt er.

Spürbare Einbussen

Tourismustaxen sind eine Einnahmequelle, die bei den Gemeinden bereits praktisch versiegt ist. Laut Gemeindepräsident Urs Graf spürte Interlaken diese Ausfälle bereits in der späteren Wintersaison, weil die Touristen aus Asien weniger wurden.

Silvia Steidle rechnet für Biel mit Ausfällen im einstelligen Millionenbereich wegen wegfallender Taxen, Bussen, Gebühren, Konzessionen sowie wegen weniger Einnahmen aus Bildung, Kultur und Sport. Zudem geht sie davon aus, dass die Stadt allein aus den Parkgebühren in ihren drei Parkhäusern monatlich 150 000 Franken weniger einnehmen wird.

Die Mehrkosten

In Köniz musste die Gemeinde zusätzliches Sicherheitspersonal anstellen, das auch bei Randzeiten fürs Einhalten der Corona-Vorschriften auf Sportplätzen sorgt. Weiter musste die Gemeinde Laptops anschaffen, damit ihre Mitarbeitenden von daheim aus arbeiten können, und musste bisher nicht benötigte Hygieneprodukte wie Desinfektionsmittel besorgen.

Das Personal

Für das Personal in den Verwaltungen aller fünf Gemeinden hat die Corona-Krise bislang keine Auswirkungen. Es wird weiterhin voll beschäftigt und jeder erhält den vollen Lohn – auch wenn die Schalter nicht mehr oder nur noch nach Voranmeldung geöffnet sind, wie in Rohrbach. «Das ist zum Beispiel möglich, wenn jemand Baupläne einsehen will», sagt Spichiger. Durch einen separaten Eingang und ein Sitzungszimmer könne die Gemeinde gewährleisten, dass dies auch mit dem Einhalten der Corona-Regeln möglich sei.

Ferien müssen die Mitarbeitenden in allen angefragten Gemeinden beziehen, wenn sie diese bereits eingegeben hatten. Und in einigen Gemeinden, etwa in Langnau, müssen sie Überzeit kompensieren. «Es muss aber niemand Minusstunden machen», betont Gemeinderat Johann Sommer.

Der verzögerte Politbetrieb

Die Corona-Krise trifft etliche Gemeinden mitten im Budgetierungsprozess. Budgets beruhen jeweils auf Erfahrungen von Vorjahreszahlen und Schätzungen für die Zukunft. Beide Faktoren sind zurzeit alles andere als zuverlässige Anhaltspunkte, da mit Corona vieles anders sein wird. Silvia Steidle überlegt sich deshalb, die Budgetberatung im Bieler Stadtrat vom Herbst auf den Winter zu verschieben. Einen solchen Entscheid kann Johann Sommer auch für Langnau nicht ausschliessen.

Anders Rohrbach: Hier ist es sogar ein Thema, die Budget-Gemeindeversammlung vorzuziehen. Angedacht ist, dass es nicht wie üblich eine Versammlung im Frühsommer und eine im Spätherbst fürs Budget gibt – weil jene Anfang Mai zu nahe am Lockdown wäre –, sondern eine gemeinsame im frühen Herbst.

Im Zentrum steht für die meisten Gemeinden, wie sie ihren Bewohnern die Situation vereinfachen können. Diese Massnahmen sind nicht primär kostspielig, bringen aber Aufwand mit sich. Elisabeth Spichiger rief in den letzten Tagen alle 119 Rohrbacherinnen und Rohrbacher über 75 persönlich an, um sich zu erkundigen, ob und wie die Gemeinde ihnen helfen kann. «Es waren sehr intensive und wertvolle Gespräche, für die ich sehr dankbar bin», sagt Elisabeth Spichiger. Sie habe feststellen dürfen, dass die Nachbarschaftshilfe in ihrem Dorf sehr gut funktioniere.

Auch die grösseren Gemeinden engagieren sich. Interlaken und die anderen Bödeli-Gemeinden haben eine Helpline eingerichtet, wo ihre Bewohnerinnen und Bewohner rund um die Uhr Hilfe erhalten. Biel schaltet regelmässig aktuelle Infos zur Situation in der Stadt auf ihrer Website auf, Langnau informiert ebenfalls auf diesem Weg. Und Köniz verschickte Flugblätter an die über 65-Jährigen und führte dort private Hilfsangebote auf, die seriös sind. «Es ging das Gerücht um, dass es auch unseriöse Angebote gab. So können wir Seriöses bewusst mit dem Label der Gemeinde kennzeichnen», sagt Gemeindepräsidentin Annemarie Berlinger.

Die happigen Folgejahre

Die Bieler Finanzdirektorin rechnet damit, dass die Folgekosten und Mindereinnahmen insbesondere in den Jahren 2021 und 2022 zur Herausforderung werden. «Sozialhilfeanfragen haben seit der Krise um 50 Prozent zugenommen. Damit rechnen wir für Biel bereits mit rund 1 Million Franken Mehrkosten im Jahr 2020», sagt Silvia Steidle. Die Hälfte der dabei anfallenden Kosten trägt der Kanton, die andere die Gemeinden.

Auch die Einbussen der Firmen dürften noch längerfristig spürbar sein. «Wenn sie 2020 Verluste erleiden, können sie diese während Jahren mit allfälligen Gewinnen verrechnen», sagt der Interlakner Gemeindepräsident und Grossrat Urs Graf. Somit könne sich dies auf die Steuereinnahmen der Folgejahre auswirken.

Gerade die Städte tragen aus Steidles Sicht – sie ist Präsidentin der Finanzdirektorenkonferenz der Städte – einen grossen Teil der Corona-Kosten mit. «Ich erwarte, dass dies vom Bund und vom Kanton auch berücksichtigt wird», sagt sie. Steidle findet, dass der Kanton mit den 320 Millionen Franken aus der Gewinnausschüttung der Schweizerischen Nationalbank die Gemeinden in dieser Zeit unterstützen sollte.

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