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Corona-Blog

Dabei war doch alles
 so einfach

ich bin verwirrt. Und zwar jedes Mal, wenn ich jemanden begrüssen oder verabschieden soll. Früher waren das eingespielte Rituale, die einfach so passiert sind, wie sie immer passiert sind. Und jetzt? Eine unhaltbare Situation!

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Parzival Meister, stv. Nachrichtenchef

Dabei fing doch alles so gut an. Der Bundesrat sagte uns: Bleibt zu Hause und trefft euch nicht mit Freunden. Also blieben wir zu Hause, trafen keine Freunde und mussten uns auch keine Gedanken darüber machen, wie wir jemanden begrüssen sollen.

Nun aber haben wir diese Lockerungen. Und man begegnet immer öfters Menschen, die man kennt. Doch diese Menschen haben sich untereinander nicht abgesprochen. Und so frage ich mich bei jeder Begegnung, wie ich diese Person nun begrüssen soll. Da war letzthin eine Bekannte in der Migros: Ihre Körpersprache liess keine Zweifel offen, dass sie mich gleich mit drei Küsschen begrüssen würde. Ich hätte «Halt, Stopp, komm mir nicht zu nahe!» rufen können, doch ich hielt mich zurück, weil sich vor meinem inneren Auge ein Szenario abspielte, das damit endete, dass der Sécuritas angerannt kommt, um eine verdutzte Frau (meine Bekannte) vor einem Verwirrten mit Aggressionen (als0 mir) zu schützen. Ich konnte dem anschliessenden Smaltalk nur schwer folgen, weil ich überlegte, wie ich richtig hätte reagieren sollen. Als ich dann realisierte, dass meine Bekannte sich gerade beschwert, dass die Leute nun alle Regeln über den Haufen werfen und uns deswegen eine zweite Welle droht, wusste ich: Mit Denken finde ich keine Lösung. Ich muss es einfach passieren lassen. Also liess ich es passieren, einem Bekannten zur Begrüssung den Fuss anstelle der Hand anzubieten; was er mit der Frage quittierte, ob ich neue Schuhe habe. Dem nächsten wollte ich das «Fäustchen» geben, erkannte während meiner Bewegung, dass er zum Ellbogen-Gruss ansetzt, worauf ich meine Faust zur Seite gleiten liess und gerade noch rechtzeitig denn Ellbogen-Gruss erwidern konnte – und dabei wie ein Bewegungs-Legastheniker aussah. Also beschloss ich, von nun an abzuwarten, wie das Gegenüber reagiert. Aber als ich neulich beim Coiffeur frisch frisiert im Salon stand und darauf wartete, dass er zum Verabschiedungsritual ansetzt, wartete ich vergebens. Da niemand von uns reagierte, standen wir einfach so da, bis nach zehn Minuten ein Kunde reinkam und uns aus der Verabschiedungs-Sperre befreite.

Ich glaube, ich bleibe von nun an einfach wieder zu Hause.

pmeister@bielertagblatt.ch

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