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1. Mai

«Dafür gehen wir nicht auf die Strasse»

Gut 300 Menschen haben sich gestern im Rahmen des internationalen Tags der Arbeit auf dem Bieler Zentralplatz versammelt. Die Themen waren breit angelegt, regionale Probleme wurden aber keine angesprochen.

1. Mai in Biel. Bilder: Stefan Leimer/ Bieler Tagblatt

Gabriel Gasser

Es war der persönlichste und rührendste Moment der gestrigen 
1.-Mai-Feier auf dem Bieler Zentralplatz. Das Urgestein der Bieler Arbeiterbewegung, Beat Schaffer, erhielt für sein Lebenswerk den Unia-Preis «Arbeit und Solidarität» verliehen. 1941 geboren, setzte sich Schaffer in den vergangenen Jahrzehnten für eine gerechtere und sozialere Schweiz ein. Er sammelte Unterschriften, organisierte Zusammenkünfte und war sich auch für Demonstrationen und Streiks nicht zu schade.

So zum Beispiel Ende der 60er-Jahre, als er sich für das Autonome Jugendzentrum im Gaskessel engagierte. Da sei es schon mal vorgekommen, dass man mit über 600 Leuten spontan auf die Strasse gegangen sei, erzählt Schaffer nach der Preisverleihung mit glänzenden Augen. Von solch einer Zahl war die gestrige 1.-Mai-Kundgebung weit entfernt. Gut 300 Personen versammelten sich auf dem Zentralplatz vor der kleinen Bühne, um sich die Reden der eingeladenen Gäste anzuhören. Nachdem es zwischenzeitlich aus allen Löchern gegossen hatte, waren bei Schaffers Dankesrede nur noch die wirklich Hartgesottenen vor Ort. Der Geist habe sich geändert, die Bedürfnisse der Menschen seien nicht mehr die gleichen, sagt Schaffer: «Für viele sind Rente, fairer Lohn und angemessene Arbeitszeiten selbstverständlich geworden. Doch das ist nicht alles einfach vom Himmel gefallen, sondern Resultat jahrzehntelanger Diskussionen.»

Ein etwas anderes Plakat

Diskutiert wurde viel am Tag der Arbeit in Biel, die Themen waren breit angelegt und wenig überraschend. So waren am Umzug Plakate zur Gleichstellung, Lohngleichheit oder Rentenstärkung zu lesen. Ein etwas anderes Plakat trug Juso-Politiker und Lysser Parlamentarier Vincenz Binggeli mit sich. «You don’t hate mondays, you hate capitalism» stand darauf. Die Message dahinter: Der Kapitalismus versklavt die Arbeiterschaft, dagegen müsse man sich wehren, so Binggeli, der bei Weitem nicht der einzige junge Teilnehmende an der Demonstration war.

Einer der Jungen ist der Berner Stadtrat Daniel Egloff (PdA). Morgens war Egloff in Bern, nachmittags habe er aus Solidarität an der Bieler Kundgebung teilgenommen. Die hiesige Stimmung sei kämpferischer als in der Bundeshauptstadt, so Egloff. Die Kritik, das Umzugsmotto «Eine Zukunft für alle – sozialer, gerechter» sei zu schwammig formuliert, um die Leute auf die Strasse zu holen, kann er nachvollziehen: «Manchmal habe ich das Gefühl, der 1. Mai ist zu einem traditionalistischen Anlass geworden. Immer wollen wir von Anfang an den Kompromiss, aber dafür gehen wir nicht auf die Strasse.»

So sah das gestern auch Juso-Präsidentin Tamara Funiciello, eine der vier geladenen Rednerinnen. Funiciello verglich die politische Lage der Schweiz mit der Titanic und sieht dabei die FDP am Steuer, die SVP auf und die Linke folglich unter dem Deck.

Wenig Konkretes

Doch wie eigentlich alle Reden an diesem Abend spannte Funiciello zwar einen grossen Bogen um die üblichen Themen, wirklich konkret wurde sie dabei aber selten. Sie glaube an die Macht der Massen, an die Revolution, schrie Funiciello ins Mikrofon und versuchte damit den sintflutartigen Regen zu übertönen. «Die glaubt ein bisschen viel und wahrscheinlich auch noch an den Vater, den Sohn und den heiligen Geist», kommentierten einige Senioren geschützt unter dem Dach eines aufgebauten Plastikzeltes und lachten in die Runde. Sowieso gewann man gestern den Eindruck, dass hiesige Arbeitnehmende im Regen stehengelassen wurden. Regionale Probleme wurde keine angesprochen. Teresa Matteo, nationale Branchenleiterin bei der Unia, sprach wie bereits vor einem Jahr in Grenchen vor allem über die Frankenstärke und den Werkplatz Schweiz.

Die zweite Bielerin auf dem Podium, Stadträtin Judith Schmid (PdA), konzentrierte sich überwiegend auf das Flüchtlingsthema. Gar nicht so abwegig, ist sie doch als Vorstandsmitglied von Stand Up for Refugees eingeladen worden. Andere Themen wie zum Beispiel der Mangel an Veloparkplätzen in der Stadt anzusprechen, sei ihr dabei nicht richtig vorgekommen, gab Schmid nach ihrer allerersten derartigen Rede etwas nervös zu. Warum die regionalen Probleme in den drei Stunden höchstens gestreift wurden, wusste denn auch das Urgestein Schaffer nicht zu beantworten: «Junger Freund, da bin ich überfragt.»

Stichwörter: 1. Mai, Tag der Arbeit, Unia

Kommentare

Biennensis

Wenn ich den Bericht von der 1. Mai-Feier im BT lese, so war der Regen noch das Beste"!


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