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Dank alten Kleidern Arbeit finden

Vor 25 Jahren entstand in Biel das Projekt 93. Das Ziel: Arbeitslose bei der Jobsuche unterstützen und gleichzeitig Abfall recyceln. Heute führt der Verein Atelier 93 sechs Standorte, einer davon in Nidau.

Aus alten Vorhängen entstehen im Atelier 93 in Nidau neue Kleider. Doch die Finanzierung des Vereins ist ab 2020 ungewiss. Bilder: Peter Samuel Jaggi
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Hannah Frei

1993: François Methez, der während zwölf Jahren als UNO-Experte in Afrika unterwegs war, setzt es sich zum Ziel, drei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen: die Armut in Afrika bekämpfen, Arbeitslose in der Schweiz unterstützen und gleichzeitig Abfall recyceln. Aus diesem Gedanken entsteht das Projekt 93 in Biel, getragen vom damaligen Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga).

Das Konzept: Arbeitssuchende in der Schweiz sollen alte Schuhe flicken und auf Vordermann bringen, um so auf dem Weg zurück in die Arbeitswelt unterstützt zu werden. Die Schuhe werden dann nach Afrika verschickt und auf lokalen Märkten zu einem kleinen Preis angeboten. Falls sich das Pilotprojekt bewährt, soll damit künftig mehr als ein Drittel aller weggeworfener Schuhe in der Schweiz vor dem Abfall gerettet werden. So der Plan, den man im «Bieler Tagblatt» vom 26. November 1993 lesen konnte.

Heute, 25 Jahre später, heisst das Projekt Atelier 93 und hat expandiert: sechs Standorte, verteilt in der ganzen Schweiz, mit einem Lokal an der Gurnigelstrasse in Nidau. Zu Beginn des Projekts bot das Angebot am einzigen Standort in Biel 13 Plätze für Arbeitssuchende, heute arbeiten in Nidau 40 Personen, die von sechs Abteilungsleiterinnen und -Leitern und der Programmleiterin Anna Pfister unterstützt werden.


Heute auch Textilien
Das Angebot von Atelier 93 ist heute mehr als nur ein Beschäftigungsprogramm für Arbeitslose. In der modernen Lagerhalle in Nidau befinden sich über der eigentlichen Werkstatt ein Computerraum, eine Küche und ein grosser Raum für Schulungen. Dort werden die Arbeitssuchenden auf Bewerbungsgespräche vorbereitet oder erhalten Sprachunterricht.

Heute findet man im Atelier auch längst nicht mehr nur Schuhe. Vielmehr fallen in der Werkstatt die farbigen Kleider und Mäntel an den Stangen auf, die sortiert, gewaschen und dann verarbeitet oder geflickt werden.

Die Arbeitssuchenden werden entweder von der Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle (RAV) oder dem Sozialdienst an das Atelier 93 verwiesen. Und die Arbeitssuchenden kommen nicht alle mit denselben Bedürfnissen, wie Anna Pfister sagt. Manche würden vor allem eine Tagesstruktur und soziale Kontakte benötigen, andere arbeiten in der Institution zum allerersten Mal in ihrem Leben. «Bei manchen Frauen mit Migrationshintergrund müssen wir zuerst einmal eine Mailadresse einrichten und sie bei der eigenen Buchhaltung unterstützen», sagt die Programmleiterin.

Beim Eintrittsgespräch gilt es für Pfister daher herauszufinden, welche individuelle Unterstützung die Person benötigt, um später auch eine Chance im ersten Arbeitsmarkt zu haben.


Finanzierung auf der Kippe
Bei der Lancierung des Projekts wurde es noch vom schweizerischen Verband für Heimarbeit getragen. Nach dessen Auflösung wurde Atelier 93 zu einem eigenen Verein. Wie lange es das Atelier 93 in dieser Form noch geben wird, ist jedoch ungewiss. Denn Ende 2019 wird der Verein nicht mehr als Bundesmassnahme finanziert, sondern den jeweiligen Kantonen zugewiesen. Pfister befürchtet, dass die Kantone im Bereich der niederschwelligen Angebote auch weiterhin sparen werden. Deshalb bereite sich der Verein darauf vor, in Zukunft mit weniger finanziellen Mitteln auskommen zu müssen. «Wir befinden uns gerade im Wandel. Aber wohin es uns führen wird, ist noch ungewiss», sagt sie.

Für die Zukunft des Projekts ist die momentan tiefe Arbeitslosigkeit im Kanton in Hinsicht auf die Finanzierung keineswegs positiv. «Wenn solche Überbrückungsangebote nicht ausgelastet sind, wird der Kanton auch weniger Geld dafür zur Verfügung stellen», sagt Pfister.

Im letzten Jahr hat das Atelier 93 an den sechs Standorten 1080 Arbeitssuchende unterstützt. Fast ein Drittel von ihnen hat danach wieder eine reguläre Arbeitsstelle gefunden, heisst es im Jahresbericht.

Im Jahr 2016 wurden für die Ateliers über 220 Tonnen Kleider gesammelt. Das Ziel von François Methez, ein Drittel der weggeworfenen Schuhe zu recyceln, wurde damit aber nicht erreicht. Laut Pfister wäre dies heute auch gar nicht mehr möglich. «Die Qualität und die Menge der Schuhe ist heute eine andere. Bei vielen lohnt es sich gar nicht mehr, sie zu reparieren oder wiederzuverwenden», sagt sie.

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