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Energieversorgung

Darum drohen auch in Biel hohe Gaspreise

Wegen der Abhängigkeit von russischem Erdgas dürften die Heizkosten in Biel bald deutlich steigen. Was auf die Konsumentinnen zukommt – und wieso das letztlich die Bieler Energiewende beschleunigen könnte.

Bild: psj

Lino Schaeren

Die Hälfte des Wärmebedarfs der Stadt Biel wird mit Erdgas gedeckt. Weil die Gaspreise wegen des Kriegs in der Ukraine vergangene Woche sprunghaft angestiegen sind, dürften die Heizkosten für tausende Kunden des Energie Service Biel (ESB) bald steigen. Gut möglich, dass der ESB bereits in den kommenden Wochen einen Preisanstieg kommunizieren wird. Der eigentliche Preishammer könnte aber erst im Winter 2022/23 fallen. Grund ist die Abhängigkeit von Europa und der Schweiz von russischem Gas.

Diese ist mit Blick auf die Gasimporte augenfällig: 47 Prozent des eingekauften Gases stammte 2020 aus Russland. Das wiederum bedeutet, dass auch die Gasheizungen in der Region Biel mit russischem Gas betrieben werden. Nur gerade rund drei Prozent des Bieler Gasbedarfs wird über die Biogasproduktion der ARA Region Biel AG lokal eingespeist. Der grosse Rest wird über die Transit-Pipeline von Norden her kommend ins Bieler Gasnetz geleitet. Ihr Gas kaufen die Bieler über den Gasverbund Mittelland, an dem der ESB selber beteiligt ist. Der Kauf erfolgt über etliche Zwischenhändler, mit den russischen Gasproduzenten und -verkäufern wie Gazprom hat der ESB keinen Kontakt.

Der ESB beschafft den Grundbedarf langfristig, indem er die Menge Gas, die Biel auch in einem warmen Winter verbraucht, bereits im Sommer und im Herbst kauft. Übersteigt der Gasbedarf in kalten Monaten den Grundbedarf, kauft der Bieler Energieversorger Gas zu. Der ESB kauft also im Voraus zu fixierten Preisen und zu Spitzenzeiten zu aktuellen Marktpreisen ein. Dadurch kann eine gewisse Preisstabilität garantiert werden: Nur bei den kurzfristigen Zukäufen ist der ESB den Preisschwankungen ausgeliefert. Letzteres könnten die Kundinnen und Kunden demnächst zu spüren bekommen.

 

50 Prozent teurer

Die Preise am Markt sind mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine über Nacht um bis zu 50 Prozent gestiegen. Lag der Einkaufspreis vergangenen Mittwoch am Markt noch bei rund 80 Franken pro Megawattstunde, betrug er am Donnerstag nach dem russischen Einmarsch bereits 120 Franken. Seither sind die Preise volatil. Sie schwanken teils innerhalb von Stunde zu Stunde zwischen 100 und 120 Franken pro Megawattstunde. Aufgrund der starken Preisbewegungen will sich Martin Kamber, Leiter Marketing und Vertrieb beim ESB, nicht auf die Äste wagen bezüglich möglicher Preiserhöhungen. Er bestätigt jedoch, dass eine solche bei anhaltendem Krieg absehbar ist.

Der ESB passt die Preise immer auf Monatsbeginn an. Das heisst, dass die Heizkosten frühestens im April steigen werden. Wie massiv eine solche Erhöhung ausfallen kann, haben die Bielerinnen und Bieler letzten Dezember erlebt: Damals wurde der Gaspreis um 3,35 Rappen pro Kilowattstunde erhöht. Für eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung bedeutet ein solcher Aufschlag aufs Jahr gerechnet Mehrkosten von 350 bis 400 Franken. Da sich der Gasmarkt kurze Zeit später auf hohem Niveau wieder stabilisierte, konnte der ESB den Gaspreis bereits ab 1. Februar wieder um 0,8 Rappen pro Kilowattstunde senken; vor rund 30 Tagen hatte noch kaum jemand an einen tatsächlichen Einfall Russlands in die Ukraine gerechnet.

Aufgrund der Tragweite des russischen Angriffs und der damit verbundenen politischen Spannungen ist es unwahrscheinlich, dass sich die Preise erneut derart schnell stabilisieren. Zwar ist die Versorgungssicherheit nicht gefährdet, die Reserven in den europäischen Gasspeichern reichen aus, um die kalten Tage gut zu überstehen. Unklar ist jedoch, ob es im Sommer gelingen wird, die Speicher für den nächsten Winter zu füllen.

Das könnte mittelfristig für den ESB und seine Kunden zum Preisschock führen: Im Sommer muss der Energieversorger die Gaseinkäufe zur Deckung des Grundbedarfs für den Winter 2022/23 tätigen. Sind die Beschaffungskosten dann immer noch derart hoch, wird das auch in Biel die Gasrechnungen der Mieter und Hausbesitzerinnen in die Höhe treiben. Würde der ESB den Grundbedarf heute beschaffen, müsste er laut Martin Kamber dafür etwa dreimal so viel bezahlen wie im vergangenen Sommer. Spielraum hat der ESB wenig: Die eigene Beschaffungsstrategie lässt keinen Platz für Spekulationen. Der ESB wird also nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt eine grosse Menge Gas einkaufen, er muss sich an den festgeschriebenen Zeitplan halten.

 

Fernwärme auf Vormarsch

Die höheren Preise könnten dazu führen, dass die eine oder andere bisher skeptische Liegenschaftsbesitzerin eher auf ein Heizsystem mit erneuerbarem Energieträger umsteigt. Einen wesentlichen Einfluss auf den hohen Gasanteil an der Bieler Wärmeversorgung wird das aber kaum haben. Das städtische Gasnetz wurde in den letzten Jahrzehnten bewusst ausgebaut, der ESB hat viel investiert, um Kunden davon zu überzeugen, von Öl auf Gas umzusteigen. Schliesslich wurde Erdgas bis vor einigen Jahren als zukunftsfähiger Energieträger betrachtet. In Biel wurde diese Strategie erfolgreich umgesetzt: Der Gasanteil von 50 Prozent am städtischen Wärmebedarf ist vergleichsweise hoch. Davon profitieren heute nicht zuletzt die Bezüger, da die Netzkosten pro Haushalt aufgrund der grossen Kundenzahl eher tief sind.

Aufgrund der beschlossenen Energiewende und dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 hat jedoch auch der ESB seine Strategie angepasst. Seit mehreren Jahren wird Gas nicht mehr aktiv beworben, weshalb die Zahl der Neuanschlüsse laut Kamber stagniert hat. Will Biel seine Klimaziele erreichen, wird der Anteil in den kommenden Jahren sukzessive verringert werden müssen. Dafür hat der ESB eine Netzanalyse erstellt, die aufzeigt, wann welche Leitung das vorgesehene Lebensende erreicht. «Wenn wir Leitungen erneuern, machen wir das mit dem Szenario Netto-Null», sagt Martin Kamber. Heisst: Die Gasleitungen werden entweder ganz entfernt oder die Kapazität deutlich verringert.

Um den Kundinnen und Kunden ein Alternativangebot machen zu können, investiert der ESB seit einigen Jahren massiv in Fernwärme. Vergangene Woche hat der Verwaltungsrat grünes Licht gegeben für ein neues Projekt im Osten von Bözingen. Fernwärmeprojekte müssen jedoch kostendeckend betrieben werden können. Bevor Millionen-Investitionen getätigt werden, müssen also sogenannte Schlüsselkunden den Anschluss ans Netz zugesichert haben. Eine hohe Hürde, das hat sich zuletzt im Quartier Linde gezeigt, wo ein Fernwärmeprojekt aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit und der hohen unternehmerischen Risiken begraben werden musste.

Planungssicherheit würde dem Energieversorger eine Anschlusspflicht ans Fernwärmenetz bringen. Tatsächlich hatte die Stadt Biel 2019 nach der Ablehnung des kantonalen Energiegesetzes genau das ins Auge gefasst. Die Pläne scheiterten jedoch, da für eine Anschlusspflicht heute die gesetzliche Grundlage fehlt.

Sowieso ist das Potenzial von Fernwärmeverbünden beschränkt: Der ESB geht davon aus, den Fernwärmeanteil auf rund 15 Prozent erhöhen zu können. Derzeit in Umsetzung ist das Projekt Seewassernutzung in Nidau. Das System soll künftig das Gebiet westlich des Bieler Hauptbahnhofs und grosse Teile von Nidau mit Wärme versorgen (siehe Text unten). Mit der Seewassernutzung will der ESB jährlich rund 25 Gigawattstunden Heizenergie erzeugen. Zum Vergleich: Der Jahresbedarf an Gas beträgt 430 Gigawattstunden. Mit der Seewassernutzung könnten also laut Angaben von Kamber fünf bis sechs Prozent des Gasbedarfs kompensiert werden. Das hat seinen Preis: Das Investitionsvolumen alleine für das Projekt Seewassernutzung beträgt zirka 50 Millionen Franken.

Stichwörter: Gas, Biel, Preis

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