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Jurafrage

Das Herz schlägt für Bern

Emotional tendieren die Bernjurassier zum Kanton Bern. Anders ihre politische Haltung: Die ist nahe beim Kanton Jura. Das freut die Minister des nördlichen Nachbarn, bereitet hier aber keine Sorgen.

Die Bernjurassier stehen politisch dem Kanton Jura nahe, den Kanton wechseln möchten sie laut Umfragen aber nicht. Bild: Keystone

Fabian Maienfisch

Wäre es nach den Bernjurassiern gegangen, dann wäre die Schweizer Armee 1989 abgeschafft worden. Genau so sahen es auch die Nachbarn im Kanton Jura, nicht aber die Mehrheit der Berner. Dieses Beispiel steht exemplarisch für zahlreiche Eidgenössische Abstimmungen, bei denen die Bevölkerung des Berner Juras gleich dachte wie jene des grossen Nachbarn im Norden. Eine kürzlich erschienene Studie der Universität Bern zeigt, dass der Berner Jura im Mittel der letzten 30 Jahre eher wie der Kanton Jura als wie der restliche Kanton Bern gestimmt hat – offensichtlich haben die Bernjurassier eine andere politische Kultur als ihr Heimatkanton.

Würde nicht in acht Tagen über die Zukunft des Berner Juras abgestimmt, wäre diese Erkenntnis wohl im Alltagsgeschehen untergegangen. Am 24. November werden die Bernjurassier aber darüber befinden, ob sie mit dem Kanton Jura in Verhandlungen über die Bildung eines neuen Kantons treten wollen. Im Kanton Jura frohlockt man bereits ob dieser Studie – auf den ersten Blick liefert sie Argumente für einen Grosskanton Jura. Wenn da nicht die Umfragen wären, die das BT im Berner Jura durchführen liess. Diese zeichnen ein deutliches Nein zu einem neuen Kanton.

Dabei stellt sich die Frage, woher diese Differenz zwischen Abstimmungsverhalten und Zugehörigkeitsgefühl kommt. Und wie die beiden Seiten auf diese Studie reagieren.

Das Bauchgefühl ist wichtig
«Diese Differenz hat sehr stark mit dem Bauchgefühl zu tun», sagt Politologe Marc Bühlmann von der Uni Bern, der die Studie zusammen mit Flavia Caroni verfasst hat. Bei emotionalen Themen, wie die Juraabstimmung eine sei, fehle oft die Rationalität, fährt er fort. Der Mensch fühle sich dem verbunden, was er kenne. In diesem Zusammenhang dem Ort, wo er aufgewachsen sei. Auch wenn mögliche Argumente dagegen sprechen würden. Bei weniger emotionalen Abstimmungen hingegen sei man viel offener für rationale Argumente. «Es kommt auf das Thema an», betont Bühlmann.

Insgesamt hat Bühlmann 266 Abstimmungen analysiert, wobei die politische Kultur der Bernjurassier näher beim Kanton Jura als bei Bern zu sein scheint. Gestützt wird diese Aussage durch umstrittene Vorlagen, bei denen sich im Kanton Bern und im Kanton Jura verschiedene Mehrheiten fanden. Bei 77 Abstimmungen mit verschiedenen Mehrheiten schlug sich der Berner Jura 53 Mal auf die Seite des Kantons Jura, aber nur 25 Mal auf die Berner Seite. Den Nachbarn besonders nah fühlen sich die Bernjurassier in der Sozial-, Verkehrs- und Bildungspolitik. «Das zeigt die Nähe des Berner Juras zur französischsprachigen Schweiz, die eher einer staatszentrierten Sozial- und Bildungspolitik und einer individuellen Verkehrsmobilität den Vorrang gibt», so Bühlmann.

Fremde im eigenen Kanton?
Auf der anderen Seite der Kantonsgrenzen nimmt man diese Studie gerne als Steilpass für den Abstimmungskampf entgegen. «Wir leben zwar nicht im selben Kanton, aber wir sind ein Volk, wir sind alles Jurassier», sagt die für die Jurafrage zuständige jurassische Ministerin Elisabeth Baume-Schneider (PS). Man teile zusammen nicht nur die Interessen, sondern auch die Identität. Von den Resultaten der Studie zeigt sie sich nicht überrascht. Für sie und die Regierung des Kantons Jura habe diese Studie grosses Gewicht, zeige sie doch die Distanz zwischen dem Kanton Bern und dem Berner Jura auf. «Die Bernjurassier wären in einem neuen Kanton Jura besser vertreten», ist Baume-Schneider überzeugt.

Diesseits der Kantonsgrenze sieht man das Ganze etwas nüchterner. «So gross sind die kulturellen Unterschiede in meiner Wahrnehmung nicht», sagt Philippe Perrenoud (PS), der für die Jurafrage zuständige Berner Regierungsrat. Die Kultur- und Sprachgrenze sei sehr breit, wie das Beispiel der Stadt Biel zeige. «Tausende Berner sind täglich mit Menschen der anderen Sprache in Kontakt: in den Schulen, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen und im Ausgang», hebt er hervor. Im Kanton Bern werde die Zweisprachigkeit gelebt.

Wichtig sei aber, dass die bernjurassische Bevölkerung bei Themen, die ihr am Herzen liegt, stark Einfluss nehmen könne, so Perrenoud. Darum gebe es auch das Gesetz über den Sonderstatus und den Bernjurassichen Rat.

Bern: Vermittler der Schweiz
Bühlmann möchte seine Studie nicht als Votum für oder gegen Fusionsverhandlungen verstanden wissen. Als Wissenschaftler sei er grundsätzlich neutral. Zudem: «Von einer Deckungsgleichheit der politischen Kulturen kann sicherlich nicht gesprochen werden.» Weiter würden die Resultate auch für die von der Berner Seite oft postulierte Brückenfunktion des Kantons sprechen. «Die Berner können Vermittler zwischen der welschen und der deutschsprachigen Schweiz sein», sagt Bühlmann. Durch die Integration der französischen Sprache in den mehrheitlich deutschsprachigen Kanton Bern würden die Berner den welschen Kantonen deutlich mehr Verständnis entgegenbringen als so mancher deutschsprachige Kanton.

Für Bühlmann bleibt eine Frage unbeantwortet: Platzen die Fusionsverhandlungen, müsse über einen möglichen Ausbau der Autonomie diskutiert werden. Denn Fakt sei, dass der Berner Jura eine recht eigenständige politische Kultur entwickelt habe.

 

So tickt die Stadt Biel
Das BT hat die politische Kultur der Stadt Biel analysiert. Die Frage lautete: Wem fühlen sich die Bieler politisch am nächsten: dem Heimkanton oder dem Kanton Jura? Politisch gesehen befindet sich Biel genau zwischen dem Kanton Bern und dem Kanton Jura. Dieses Resultat stimmt mit der offiziellen Haltung der Stadt Biel überein, die sich im Abstimmungskampf um den Berner Jura für neutral erklärte. Für die Analyse angeschaut wurden alle eidgenössischen Abstimmungen der letzten zehn Jahre. Bei den insgesamt 84 Vorlagen (Initiativen, Referenden und Bundesvorlagen) stimmten der Kanton Bern und der Kanton Jura bei 17 Themen (20 Prozent) anders. Die Stadt Biel schlug sich in diesen divergierenden Abstimmungen neun Mal auf die Seite der Berner und acht Mal auf die Seite der Jurassier. Biel befindet sich somit in der Mitte zweier politischer Kulturen. Diese Erkenntnis deckt sich mit der Tatsache, dass die Stadt zweisprachig ist. In den acht Abstimmungen, bei denen die Bieler Meinung von der der restlichen Berner abweicht, geht es in erster Linie um soziale Fragen. Es handelt sich um Themen, die eine städtische Gesellschaft meist stark beschäftigen, wie Steuergerechtigkeit, Arbeitslosenversicherung, Ausländer- oder Mietfragen. Wenig überraschend steht die heterogene Bieler Bevölkerung solchen Themen offener gegenüber als die homogenere Landbevölkerung. Somit findet man zwischen Biel und dem restlichen Kanton Bern nicht primär einen kulturellen Graben, sondern eher den altbekannten Stadt-Land-Graben, der im Kanton Bern seit jeher sehr ausgeprägt ist und in letzter Zeit wieder deutlicher wurde.

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