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Biel

Das kann ganz schön in den Rücken gehen

Steifer Nacken, Rückenschmerzen, Trägheit: Der Bieler Ergonom Carlo Schmuki gibt Tipps, wie man es ohne solche Beschwerden durch die Homeoffice-Zeit schafft.

Hier fehlt laut dem Ergonomen so ziemlich alles, was man für eine optimale Arbeitshaltung braucht. Keystone
Interview: Hannah Frei
 
Carlo Schmuki, nehmen wir an, jemand arbeitet achteinhalb Stunden zuhause vor dem Bildschirm. Worauf sollte diese Person besonders achten?
Carlo Schmuki: Das passende Material spielt eine Rolle: der Bürostuhl, der Tisch, die Tastatur, die Maus, der Bildschirm. Aber das Wichtigste am Ganzen ist, dass man nie in einer sitzenden Tätigkeit verharrt. Unterbrechungen bringen extrem viel, das muss nichts Grosses sein. Vielfach geht das vergessen. Die Leute bestellen sich einen Bürostuhl, vielleicht sogar einen höhenverstellbaren Tisch und denken dann, damit sei alles getan. Doch so einfach ist es nicht.
 
Was genau meinen Sie mit Unterbrechungen?
Kurz aufstehen, herumspazieren, sich strecken, mal etwas im Stehen machen, auch wenn man keinen höhenverstellbaren Tisch hat. Das muss regelmässig stattfinden, mindestens einmal pro Stunde. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass man dadurch Risiken für gewisse Krankheiten minimieren kann. Dabei geht es längst nicht nur um Rückenbeschwerden.
 
Welche anderen Risiken meinen Sie?
Herz-Kreislauferkrankungen, also etwa Bluthochdruck, aber auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Wenn man regelmässig die sitzende Tätigkeit unterbricht, kann man dieses Risiko deutlich minimieren. Positive Effekte hat dies auch für den Bewegungsapparat, für die Muskeln, die Sehnen, die Gelenke. Die Bewegungen fördern die Durchblutung.
 
Wie lange sitzen Sie denn durchschnittlich im Alltag?
Ich bin kein klassischer Bürolist. Meine Arbeit mache ich überwiegend direkt vor Ort bei den Arbeitsplätzen der Kundinnen und Kunden, sei es in einer Bäckerei, auf der Baustelle oder im Homeoffice. Ich habe verschiedene Mandate bei Firmen rund um die Themen Ergonomie und Gesundheitsförderung, unter anderem auch beim Spitalzentrum Biel.
 
Wie läuft eine solche Beratung ab?
Bei mir melden sich Firmen oder Einzelpersonen. Letztere wegen Beschwerden, Firmen für eine Einzelabklärung eines Angestellten, oft ergänzend zu Abklärungen bei einem Arzt oder einer Physiotherapeutin. Ich gehe dann vor Ort und schaue mir den Arbeitsplatz an. Bei Rückenbeschwerden am Bildschirmarbeitsplatz geht es häufig um den Stuhl und den Tisch. Passen deren Einstellungen überein? Sitzt man gerade? Werden genügend Unterbrechungen gemacht? Manchmal schule ich ganze Abteilungen. Nebst dem Bewegungsverhalten sind natürlich auch Körperwahrnehmung und Fitness zentral. Eine gewisse Rumpfstabilität ist zwingend, auch im Büro.
 
Expertinnen empfehlen ein halbstündiges Training mehrmals pro Woche. Das ziehen zuhause aber die wenigsten durch. Haben Sie da einfachere Tipps?
Mit zu vielen Übungen kommt es selten gut. Diese macht man ein paar Tage lang und hört dann aus Zeitgründen wieder damit auf. Besser ist, sich gleich von Anfang an nur zwei bis drei Übungen herauszupicken und diese zwei- bis dreimal in der Woche zu machen. Da reichen schon zehn Minuten. Das ist für die meisten auch langfristig machbar. Die Regelmässigkeit macht es aus, nicht die Menge. Und es sollte einem schon zumindest ein wenig Spass machen, sonst zieht man das in der Regel nicht durch.
 
Gibt es denn ein Rezept für gesundes Sitzen im Homeoffice?
Es gibt gewisse Empfehlungen. Aber nicht jeder und jede reagiert gleich. Gehen wir von einer Person aus, die wegen der Pandemie vom Büro ins Homeoffice gewechselt ist und seither Schmerzen hat. Da ist es wichtig, herauszufinden, was im Homeoffice anders ist. Das können kleine Dinge sein, etwa die Höhe des Bildschirms oder das Mausmodell. Vielleicht passt das Mobiliar aber auch und es liegt lediglich an der fehlenden Bewegung.
 
Viele haben aber keinen anstrengenden Arbeitsweg, fahren nicht etwa eine halbe Stunde mit dem Rad oder spazieren durch die halbe Stadt.
Das muss auch nicht sein. Mit Bewegung sind eben auch die kleineren Dinge gemeint, etwa der Weg zur Bushaltestelle oder das Treppenhaus im Geschäft. Auch im Büro selbst bewegt man sich häufig mehr als daheim, holt sich einen Kaffee, geht zum Drucker, trifft sich in anderen Räumen zu Sitzungen. Das fehlt im Homeoffice. Bewegungsmangel kann dann bereits ein Grund für Schmerzen sein.
 
Sie erwähnten Empfehlungen, die man beachten kann. Welche Tipps können Sie da geben?
Die Minimalanforderung ist, dass man nebst dem Laptop eine externe Tastatur und eine externe Maus hat. Viele arbeiten noch ausschliesslich mit dem Laptop. Durch die Neigung des Körpers nach vorne kann es rasch zu einer Überlastung des Nackens kommen. Für ein bis zwei Stunden ist das in Ordnung, aber wer länger am Computer arbeitet, sollte unbedingt zusätzlich eine Maus und eine Tastatur haben. Der Laptop sollte in den meisten Fällen mit einem Ordner oder zwei, drei Büchern etwas erhöht werden, sonst bleibt man in der gebückten Kopfhaltung. Wer täglich länger als zwei bis drei Stunden am Computer arbeitet, braucht jedoch einen zusätzlichen Bildschirm, der höhenverstellbar ist.
 
Auf welcher Höhe muss man den Bildschirm positionieren?
Man sollte leicht nach unten schauen, in einem 30°-Winkel zur horizontalen Blickrichtung. Wenn man geradeaus schaut, sollte zwischen Blickrichtung und Bildschirmrand eine Handbreite Platz haben. Somit ist der Blick etwas geneigt und der Hals und Nacken werden weder überstreckt noch gebeugt.
 
Worauf sollte man beim Material achten?
Wenn man investiert, dann in etwas Gutes. Probesitzen wäre gut, manche Firmen bringen Bürostühle oder Tische sogar nach Hause zum Ausprobieren. Die Ästhetik sollte beim Material nicht im Vordergrund stehen.
 
Es gibt aber auch Menschen, die seit Jahren auf einem einfachen Holzstuhl arbeiten und keine Probleme damit haben.
Das höre ich auch manchmal, besonders von Personen im Homeoffice. Wenn das ohne Probleme funktioniert, dann ist das gut so. Was für den einen passt, muss für den anderen nicht auch passen. Solange einem wohl ist, muss man nichts ändern. Bei einem Grossteil funktioniert das mit dem Holzstuhl jedoch nicht.
 
Wie hat sich die Pandemie auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Vor zwei Jahren wurden viele Aufträge erst einmal abgesagt, weil im ersten Lockdown anderes wichtiger schien. Ich wurde also keineswegs überrannt. Mit der Zeit hat sich das aber wieder eingependelt. Ich habe zudem begonnen, Online-Kurse zu geben. Es suchen aufgrund der Pandemie nicht grundsätzlich mehr Leute Hilfe bei mir. Rückenprobleme etwa waren bereits vor der Pandemie immer präsent. Rund 80 Prozent der Menschen haben irgendwann im Leben Probleme mit dem Rücken. Ob das in der Pandemie zugenommen hat, ist schwierig zu sagen. Zurzeit kommen aber ziemlich viele Anfragen rein. Wer am Anfang der Pandemie die Haltung bei der Arbeit hinten angestellt hat, rückt sie nun wieder nach vorne.
 
Grundsätzlich wissen ja viele Menschen, worauf sie in Bezug auf die Haltung im Homeoffice achten müssen – setzen es aber dann doch nicht konsequent um. Weshalb?
Das ist Bequemlichkeit. Solange man keine Probleme hat, reagiert man nicht. Dabei sollte man nicht erst dann darauf achten, wenn es irgendwo schmerzt. Deshalb ist es zentral, dass man die Menschen immer wieder daran erinnert. Wichtig ist auch, dass sofort reagiert wird, wenn Schmerzen entstehen. Reagiert man früh genug, kann man ohne ärztliche Hilfen viel erreichen und dafür sorgen, dass es gar nicht zu einem langwierigen Problem wird.
 
Ist das auch der Grund, weshalb Sie heute mehrheitlich als Ergonom und nicht nur als Physiotherapeut arbeiten?
Ja. Als Physiotherapeut behandle ich häufig Menschen, die Beschwerden haben, weil etwas bei ihrer Arbeit nicht optimal läuft. Ich kann dann zwar anhand der Erzählungen und der Beschwerden dabei helfen, Dinge am Arbeitsort zu ändern. Als Ergonom kann ich aber gleich selbst vor Ort die Situation mit den Betroffenen anschauen und verbessern. Und ich kann vorbeugen: etwa in Unternehmen dafür sorgen, dass manche Beschwerden gar nicht erst auftauchen. Alles verhindern kann man zwar nicht. Aber für mich ist es immer ein schönes Erlebnis, wenn ich beispielsweise bei jemandem eine kleine Anpassung machen kann und die Schmerzen dadurch plötzlich verschwinden.

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