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Das Medikament ist zu wirksam

Niklaus Baschung ist Journalist, Kommunikationsfachmann und Hundehalter.

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Wer solche Schmerzen ertragen muss, wird sich noch genau an das Datum erinnern können: Im Herbst 2014 wurde das Kopfweh-Mittel «Migräne-Kranit» nach
30 Jahren im Einsatz plötzlich vom Markt genommen. Betroffene aus meinem Bekanntenkreis waren entsetzt, dass ausgerechnet dieses einzige Präparat, welches ihnen verlässlich Linderung versprach, nicht mehr produziert wurde. Zum Verhängnis wurde dem Medikament, dass es Schmerzen lindert. Ohne präzis zu wissen, weshalb.

Für eine Erneuerung der Zulassung dieses Kombi-Präparats hätte die Herstellerfirma in Studien beweisen müssen, welche Bestandteile wie genau wirken, welche Nebenwirkungen im Detail auch im unwahrscheinlichsten Fall auftreten können. Die zu erwartenden Kosten machten den Konzernverantwortlichen aber so starkes Kopfweh, dass sie auf eine Neuzulassung verzichteten und die Restbestände von «Migräne-Kranit» selber verspeisten. Wahrscheinlich samt der Verpackung.

Nichtbetroffene wie mich hatte
dieses Ereignis weniger beschäftigt. Doch diesen Frühling wollte ich eine Hautcreme kaufen, die mich verlässlich seit Jahrzehnten begleitet, nicht rezeptpflichtig und kostengünstig ist und kein Cortison enthält. Von einem Tag auf den andern wurde die Creme nicht mehr hergestellt. Sie war schlicht zu wirksam, zu billig, zu hilfreich und hat die Krankenkasse nicht belastet. So was darf nicht sein. Kürzlich musste ich deshalb den Arzt aufsuchen.

In der Ferienzeit liegen meine körperlichen Schwachstellen anderswo. Für die kommenden Herbstferien kenne ich aber ein Wundermittel, welches sehr preisgünstig ist und verlässlich Linderung verschafft. Allerdings hat das Medikament einen unaussprechlichen Namen, der mir jedes Mal wieder entfällt.

«Ich hätte gerne dieses Spasmu ... dieses Spasmocanlase», stottere ich in der Apotheke zur Pharma-Assistentin.

«Ah, Sie meinen Spasmo-Canulase», lächelt die junge Frau mit einem virtuosen Zungenschlag, der mich alle aktuellen und zukünftigen Leiden vergessen lässt.

«Genau, schöner könnte ich es nicht sagen.»

«Dieses Heilmittel gibt es nicht mehr. Welche Beschwerden haben Sie denn?»

«Das geht dich gar nichts an!», denke ich und sage dann: «Das weiss ich erst, wenn ich die Beschwerden bereits habe.»

Auch dieses Medikament, welches bei unterschiedlichsten Verdauungskomplikationen einsetzbar war, wurde offenbar vom Markt genommen. Stattdessen darf der Patient für jede einzelne Beschwerde ein spezifisches Arzneimittel kaufen, das jeweils teurer als das Kombi-Präparat ist. Aber ohne mich.

Doch die Pharma-Assistentin lässt nicht locker: «Haben Sie etwa einen übersäuerten Magen?» Diese Frau hat prophetische Fähigkeiten. Ich bin tatsächlich sehr, sehr sauer wegen dieser unverschämten Geldmacherei. Und kaufe deshalb und weil ich schlecht «Nein» sagen kann, ein Präparat für den Magen. Oder gegen den Magen. Oder auf den Magen. Langsam wird das Sauersein zu meinem Lieblingsleiden.

kontext@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Neulich, Niklaus Baschung

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