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Serie Mein Montag

«Das Wunder der Geburt rührt mich zu Tränen»

Die Bielerin Regula Bachmann ist Mutter, Ehefrau und frei praktizierende Hebamme. Sie betreut frischgebackene Mütter und ihre Babys zuhause im Wochenbett – und oft auch darüber hinaus.

chau mir in die Augen, Kleines: Hebamme Regula Bachmann und die zehn Tage alte Emilia Orecchio. Raphael Schaefer

Aufgezeichnet: Brigitte Jeckelmann


« Um halb fünf Uhr morgens klingelte das Natel. Es war so weit. Mit einem Sprung war ich an diesem Novembertag im letzten Jahr aus dem Bett, in den Kleidern und im Auto auf dem Weg zu meiner schwangeren Freundin. Sie ist eine der wenigen Frauen, die ich als frei praktizierende Hebamme auch während der Schwangerschaft betreue und sie ins Geburtshaus zur Entbindung begleite. Angekommen bei meiner Freundin, stellte ich fest, dass die Fruchtblase geplatzt war. Zeit fürs Geburtshaus. Ihr Mann und ich fuhren mit ihr nach Bern. Grund zur Besorgnis gab es nicht. Es war bereits ihr viertes Kind, sie hatte also Erfahrung im Gebären. Die Schwangerschaft war problemlos verlaufen. Eine Geburt, noch dazu bei einer Freundin, ist für mich immer wieder ein emotionaler Moment. Im Gebärzimmer herrscht eine besondere Stimmung. Die Wehen, die Schmerzen, die Angst, ob alles gut kommt. Dann ist das Kind da, der erste Schrei, die Berührung des kleinen Körpers auf dem Bauch der Mutter. Der Wechsel von Angst und Schmerz zu unsagbarer Freude könnte grösser nicht sein. Nicht selten hat mich das so berührt, dass mir die Tränen kamen. So auch bei meiner Freundin. Diese Momente vermisse ich aus der Zeit, als ich noch als Hebamme erst am Regionalspital Biel arbeitete und später im Geburtshaus Luna in Biel, bei dessen Aufbau ich seinerzeit mit dabei war.
Heute arbeite ich selbstständig als Hebamme, bin frei praktizierend, so heisst es korrekt. Vor zehn Jahren habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen. Seither betreue ich praktisch jeden Morgen in der Woche drei frischgebackene Mütter mit ihren Neugeborenen. Man nennt das das sogenannte Wochenbett. Die Mütter sind gerade vom Spital nach der Geburt nach Hause gekommen. Meistens wenden sie sich an mich aufgrund einer Hebammenliste, die sie im Spital erhalten haben. Meine Aufgabe ist es, den Müttern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ich schaue mir das Baby an. Wie ist die Hautbeschaffenheit? Hat die Haut einen gelblichen Ton, muss ich besonders aufmerksam sein. Die gelbe Farbe zeigt an, dass die Leber überlastet sein könnte. Je nachdem überweise ich Mutter und Kind direkt ins Spital.
Ist es normal, dass mein Baby so oft weint? Darf ich es dann tragen oder soll ich es im Bettchen liegen lassen? Gerade junge Mütter, die ihr erstes Kind geboren haben, sind besonders besorgt um ihr Kleines und sie haben viele Fragen, bei denen sie froh um meine Hilfe sind. Ich persönlich rate den Frauen: Tragt Euer Baby, so oft ihr das Gefühl habt, es tragen zu müssen. Für mich ist es keine Option, einen Säugling einfach schreien zu lassen. Körperkontakt mit der Mutter und das Gefühl, getragen zu sein, gibt den Babys Sicherheit. Diese Sicherheit, das Gefühl, jemand ist für mich da, was immer auch kommen mag, und das ist meine feste Überzeugung, gibt Menschen ein Fundament fürs ganze Leben.
Ich und mein Mann sind Eltern von zwei Söhnen und einer Tochter im Alter zwischen 13 und 20. Der älteste Sohn ist gerade ausgezogen. Mia, die Jüngste, geht zur Schule. Sie ist sehr selbstständig. Wenn ich von meiner Morgentour zurückkomme, ist sie manchmal schon dabei, das Mittagessen zu kochen. Der mittlere Sohn, Kay besucht die Heilpädagogische Schule in Biel. Er kann kaum sprechen, die zerebrale Einschränkung stammt vermutlich von einem genetischen Defekt, die Ärzte konnten nie eine Diagnose stellen. Kay ist ein lieber Junge, der mit allen gut auskommt. Und er hat buchstäblich einen Tick: Er liebt alte Pendeluhren. Bei uns in der Wohnung hängt fast ein Dutzend davon. Das Ticken ist für unsere Familie allgegenwärtig geworden. Wenn die Uhren  schlagen - mindestens eine alle Viertelstunde - dann hören wir das schon gar nicht mehr.
Meine Woche gestaltet sich immer wieder anders. Tagwache ist bei uns um 6.20 Uhr. Dann stehe ich auf, wecke Kay, während die Tochter selber aufsteht. Eine Stunde später, wenn alle aus dem Haus sind, schaue ich die Nachrichten auf meinem Handy an. Dann beginne ich meine Tour bei den Wöchnerinnen. Je nachdem, wenn ich nicht zu weit fahren muss, nehme ich dafür mein Elektrovelo. Diesen Montag habe ich bei Andrea Orecchio in Brügg begonnen. Ihre Tochter Emilia ist gerade 10 Tage alt geworden. Während Emilia noch schlief, habe ich mich mit Andrea unterhalten. Hat sie gut geschlafen? Wie geht es mit dem Stillen? Dann haben wir Emilia aufgeweckt. Ich habe ihr den Pyjama ausgezogen und mir den Nabelstumpf angeschaut. Normalerweise stirbt das Gewebe einige Tage nach der Geburt ab. Manchmal kann er sich entzünden. Bei Emilia sieht er normal aus.
Sie mag es nicht, ausgezogen zu werden. Obwohl es im Zimmer warm ist, ist es für sie ohne Kleider unangenehm kühl. Im Mutterleib ist es mit 37 Grad natürlich viel wärmer. Danach habe ich das Baby auf die Waage gelegt und kontrolliert, ob sie auch genügend zugenommen hat. Auch das war tip top. Emilia ist Andreas zweites Kind. Sie macht alles super. Nach einigen Minuten Plaudern, habe ich mich auf den Weg zur zweiten Frau an diesem Morgen gemacht. Sie hatte eine entzündete Brust, die ich kontrolliert habe. Bei manchen Frauen staut sich die Milch in der Brust. Wenn dann noch Bakterien dazukommen, kann das ganz schön schmerzhaft werden. Dann mache ich einen Wickel mit Quark und wenn nötig, darf ich auch bestimmte Medikamente abgeben. Da ich zu den Menschen nach Hause gehe, blicke ich hinter die Kulissen. Ich sehe, in welchen Verhältnissen die Mütter leben, wie das Umfeld ist. Wenn es Probleme gibt, sei es in der Familie oder am Arbeitsplatz, bekomme ich das mit. Die Mütter vertrauen sich mir oft an, daher machen Gespräche einen Grossteil meiner Arbeit aus. Unter den Frauen, die ich betreue, sind auch viele Migrantinnen. Diese sind zum Teil sehr hilflos, weil sie sich nicht verständigen können. Ich fülle für sie Formulare aus, telefoniere manchmal mit Behörden oder mit dem Vermieter, wenn es nötig ist oder fahre Mutter und Kind an Arzttermine. Ich mache das sehr gerne, denn es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich sehe, dass ich helfen kann. Meine Tätigkeit als Hebamme umfasst etwa ein Pensum von 40 bis 50 Prozent. Die restliche Zeit gehört meiner Familie.»

Stichwörter: Serie, Hebamme, Baby

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