Sie sind hier

Abo

Neulich

Das wunderschöne Panorama

Wenn einer eine Reise tut, kann er was erzählen. Falls er etwas davon sieht oder hört. Denn bei dieser Sightseeing-Tour auf der Fahrt hinunter in den sonnigen Süden ist die «Sight» nahe bei Zero, und das «Seeing» direkt im Minusbereich.

Bild _Baschung_Niklaus_psj_freigestellt.jpg (7733479)

Gerade passieren wir Kitzbühel – das behauptet jedenfalls der charmante und gut gelaunte Reisebuschauffeur – wo all die Promis ihre teuren Chalets gebaut haben. Doch der dichte Nebel hat sie alle verschluckt. Das hat auch etwas Beruhigendes, wenn wenigstens das Wetter keine Rücksicht auf den Prominentenstatus nimmt.

«Dort rechts finden jährlich die berühmten Hahnenkammrennen statt», erklärt der Chauffeur zuversichtlich. Wo jetzt? Er war in jüngeren Jahren mal Skilehrer und kennt sich aus.

«Hä?», schreit der Mann direkt hinter mir, sodass den Nächstsitzenden der Schrecken in die Glieder fährt, und flucht dann lauthals über die schlechte Tonqualität der Mikrofonanlage. Dabei ist der Ton für alle andern gut hörbar. Seine neben ihm sitzende Partnerin versucht, ihn zu beruhigen. Was ihr aber nicht gelingt. Sie hat sich längst damit abgefunden.

«In der Mitte des Berges sehen wir nun die Hausbergkante», erzählt der Busfahrer. Das ist eine reine Behauptung. Aber ich weiss, was er meint. Nach dem Sprung über die Hausbergkante müssen die Abfahrer viel Höhe für die Traverse gewinnen, das weiss ich aus unzähligen Direktübertragungen des Skirennens. Sonst werden die Rennläufer von den unzähligen Wellen und Schlägen zu weit nach unten getragen, und die Chance für eine Spitzenplatzierung ist weg. Auch die Fahrt mit dem Bus ist von zahlreichen Wellen und Schlägen begleitet. Aber so wissen wir wenigstens, dass wir in der Spur sind.

«Hier musste ich vor vier Jahren die Schneeketten montieren» , berichtet nun der Chauffeur. Es hat damals sehr früh bis in tiefe Lagen hinuntergeschneit. «Hä?», schreit der Mann hinter mir. Seine Frau versuchts mit Ironie: «Ich glaube, du hast deine Ohren daheim vergessen.» – «Hä?»

Vor dem Tunneleingang musste der Fahrer die Schneeketten dann wieder demontieren, damit der Strassenbelag im Tunnel geschont bleibt. Um sie kurz darauf nach dem Tunnelausgang erneut zu fixieren. Ein Kraftakt, der uns diesmal erspart bleibt. «Da hätten wir jetzt das wunderschöne Panorama», muntert er uns dafür ausgangs Tunnels auf. Wir blicken in ein grauweisses Nichts.
Panoramas, die man nicht sieht,
sind eigentlich die allerschönsten.

Bei der Ortschaft St. Johann im Walde klart es endlich auf, und die Frau sagt zum Mann, der seine
Ohren zu Hause gelassen hat: «Jetzt wird es heller!»

«Hä?»

«Wir können wieder etwas sehen!»

Der Buschauffeur öffnet die Türen für eine Reisepause in Lienz. Wir gehen in Richtung des Info-Schildes «Lebenshilfe», dort hat es viele Cafés. Bei der «Lebenshilfe» handelt es sich um ein Frühförderungs-Angebot für Kinder. Sicher eine wertvolle Institution. Aber eine Spätförderung für angeblich Erwachsene wäre manchmal viel dringender.

 

Info: Niklaus Baschung ist Journalist, Kommunikationsfachmann und Hundehalter.
 

kontext@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Neulich, Niklaus Baschung

Nachrichten zu Biel »