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Serie Beziehungen

Der Bieler, der seinem Vater 
nicht albanisch genug ist

Wenn Suad Demiri sich in den Augen seines Vaters wieder einmal wie ein 
richtiger Spiesser-Schweizer verhält, nennt dieser seinen Sohn auch heute noch manchmal Hans.

Laufen lernen in La Neuveville: Das Foto aus dem Familienalbum zeigt Suad Demiri mit seinem Vater Sinan Demiri Anfang der 90er-Jahre am Bielersee. Bild: zvg
  • Dossier

Deborah Balmer

Wann ihn sein Vater das letzte Mal Hans nannte, weiss Suad Demiri nicht mehr genau. Doch es kommt auch heute noch vor, dass Sinan Demiri ihn bei seinem Spitznamen nennt: «Du Hans!». Hans könnte auch durch Martin oder Reto ersetzt werden. Denn Hans steht für seinen Vater im übertragenen Sinne für jemanden, der sich wie ein richtiger Spiesser-Schweizer benimmt. Wenn Suad als Kind lieber gelesen hat, statt mit seinem Vater Occasion-Autos anzuschauen beispielsweise, war er für seinen Vater wieder einmal ein Hans.

Suad Demiri ist in Biel aufgewachsen, er hat hier die Schulen besucht, später hat er eine kaufmännische Lehre absolviert, auf einer Staatsanwaltschaft und am Gericht gearbeitet. Heute studiert er Journalismus an der Fachhochschule in Winterthur. Berufsziel: Gesellschaftsjournalismus. Sein Vater Sinan Demiri kam in den 80er-Jahren als knapp 20-Jähriger als albanischer Gastarbeiter aus Nordmazedonien in die Schweiz, weil er sich hier ein besseres Leben versprach. Er sprach damals kein Deutsch, gründete eine Familie und arbeitet heute noch als Galvaniker.

 

Ringen um Akzeptanz

Der 28-Jährige bringt ans Treffen mit dem BT ein Foto aus dem Familienalbum mit. Es zeigt ihn und seinen Vater, als er als gut Einjähriger im August 1993 laufen lernte. «Mein Vater steht nicht gerne in der Öffentlichkeit, deshalb habe ich symbolisch das Bild von uns mitgebracht», sagt er, der in einem Artikel «Ich bin meinem Vater nicht albanisch genug» beschreibt, wie er in seiner Kindheit um Akzeptanz gerungen hat.

Und zwar auf beiden Seiten: In der Schule, unter Kollegen und in der Öffentlichkeit, wo er sich möglichst schweizerisch gab, um akzeptiert zu sein. Oft hatte Suad Demiri das Gefühl, sich erklären zu müssen, weil bereits sein Name darauf hinwies, dass er andere Wurzeln hat. «Ich musste also schon in der Kindheit immer geduldig Fragen zu meiner Familie und meiner Herkunft beantworten», sagt er, der in der Schweiz geboren wurde. Dies hatte zur Folge, dass er möglichst nicht auffallen wollte. Etwa genau darauf achtete, dass ihn nicht schon bereits seine «zu albanische Kleidung» oder ein in seinen Augen unschweizerisches Verhalten verrät. Und immer hoffte er, zu «den Guten zu gehören».

In seiner Familie hingegen liess er dem Haussegen zuliebe den Albaner stärker raushängen, als es ihm eigentlich lieb war. Denn keinesfalls wollte er seine Eltern, mit denen er bis heute albanisch redet, nicht enttäuschen.

Trotzdem konnte der Vater seinen Sohn nicht immer verstehen: «Du Hans!», hiess es, wenn er sich zum Geburtstag Rollschuhe statt eine Doppelkopfadler-Halskette wünschte, die Sinan Demiri zahlreich aus den Ferien in Nordmazedonien zurückbrachte. Oder wenn er den traditionellen albanischen Tanz nicht lernen wollte, dafür lieber ins Theater ging. «Immer dann also, wenn ich als Kind etwas gemacht habe, was meinem Vater nicht albanisch genug war, wurde ich von ihm als ‹Hans› abgestempelt», sagt Suad Demiri, der sagt, er habe sowohl eine typische albanische Kindheit erlebt, wie auch eine Schweizer Kindheit. «Die Sommerferien haben wir zum Beispiel immer in Skopje verbracht.»

 

Das Dilemma der Integration

Doch das führte auch zu Identitätsfragen. In seinem Artikel zeigt der Sohn das Dilemma der Integration auf und beschreibt schön, dass hinter dem Kosenamen «Hans» mehr steckt als ein gewöhnlicher Übername. «‹Hans› ist die Angst vieler Eltern, dass sich ihre Kinder nicht mehr mit ihren Werte und Traditionen identifizieren können», schreibt er. «Hans» sei also das sprachliche Werkzeug, das die Kinder wieder daran erinnern soll, dass man nicht zu «denen» gehört, zumindest nicht ganz. «Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass sich mein Vater bei meinem Spitznamen nicht viele Gedanken machte und sich doch eine Wirkung erhoffte. Nämlich die: Mich, seinen Sohn, der in der Schweiz geboren wurde und hier auch zur Schule ging, nicht fremd werden zu lassen.»

Suad Demiri hat schon als Primarschüler für seinen Vater Amtsbriefe übersetzt. Als er in den Kindergarten kam, konnte er nicht Dialekt, dafür fliessend Hochdeutsch sprechen, was er sich selber beigebracht hatte, in dem er deutsches Fernsehen schaute. Denn seine Eltern waren damals selber fremd in der Schweiz, und als Suad auf die Welt kam, waren sie damit beschäftigt, sich hier ein Leben aufzubauen. Lange haben sie sich stark an ihre Landleute und Traditionen gehalten. «Weil es das war, was ihnen Sicherheit gab», sagt Suad Demiri.

Auf seinen Artikel, der auch in der «App12» erschien, hat Suad Demiri viele Reaktionen erhalten. Von Bekannten, die in der Kindheit ähnliches erlebt haben. Menschen also mit Migrationshintergrund, die sowohl in der Öffentlichkeit, wie auch Zuhause um Akzeptanz kämpfen mussten. Aber auch von Schweizern ohne Migrationshintergrund, denen er eine neue Sichtweise eröffnete.

 

«Beides ist Teil von mir»

Auch sein Vater Sinan Demiri hat darauf reagiert. «Er hat sich Gedanken gemacht, weshalb er mich Hans nennt», sagt der Sohn, der während des Studiums wieder bei seinen Eltern lebt. Er sagte mir, dass es gut sein könne, dass ich mit meiner Erklärung recht habe.

Zu seinem Vater hat Suad Demiri auch als Erwachsener eine gute Beziehung. «Auch wenn wir uns in einem anderen Umfeld bewegen und nicht immer die gleiche Meinung haben, würde ich es als Beziehung auf Augenhöhe beschreiben.» Es ist nicht anders als eine andere Vater-Sohn-Beziehung, wie Suad Demiri sagt. Heute versucht er, sich selber weniger in die Albaner- oder in die Schweizerschublade zu stecken. «Beides ist Teil von mir, ich sehe mich einfach als Mensch, der seine Heimat da hat, wo er sich aufgehoben fühlt.»

Stichwörter: Beziehung, Serie, Region, Biel

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