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Sion 2026

Der Bieler Olympiaturbo ist zum Warten verdammt

Eigentlich würde er unter der Bundeshauskuppel gerne für Olympia im eigenen Land lobbyieren, was das Zeug hält. Doch SP-Ständerat Hans Stöckli muss warten. Auf die Walliser.

Hans Stöckli ist einer der Väter der Bieler ­Tissot Arena. ­Hier würde an Olympia 2026 das Eishockeyturnier der ­Frauen gespielt. Bild: Susanne Keller

Die Hände sind in ständiger ­Bewegung, der Schalk in den ­Augen ist unübersehbar, die Energie des 66-Jährigen gut spürbar. Hans Stöckli sitzt in einem bequemen Sessel neben dem Ständeratszimmer des Bundeshauses. Die Sommersession ist in vollem Gang. Auf dem Bildschirm sind seine Ständeratskollegen beim Debattieren zu sehen. Eigentlich wäre Stöckli jetzt auch dort. Doch er muss Prioritäten setzen. Und wenn ihn ein Journalist darum bittet, über die Olympischen Winterspiele 2026 in der Schweiz zu sprechen, ist schnell klar, was Vorrang hat.

Denn für den Bieler SP-Ständerat sind es entscheidende Tage. Er ist Vizepräsident des Bewerbungskomitees von Olympia 2026 und weibelt an allen Fronten für die Spiele – und irritiert damit den einen oder anderen Genossen. Denn die SP ist grösstenteils gegen Olympia im eigenen Land. In ein paar Tagen schon finden der Achtel- und Viertelfinal statt, wie Stöckli es nennt. Auf dem Spielfeld: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von Kandersteg und des Kantons Wallis. Die Oberländer befinden morgen Abend an der Gemeindeversammlung über 1,2 Millionen Franken für Olympiaanlagen im Dorf (siehe Text unten). «Sagen die Kandersteger Ja, hätten wir den Achtelfinal ­gewonnen», sagt Stöckli dazu.

Weitaus bedeutender ist für Stöckli und das Grossprojekt ­jedoch die Abstimmung vom Sonntag im Wallis. Die Stimm­berechtigten entscheiden über einen 100-Millionen-Kredit und damit auch darüber, ob ihr Kanton Gastgeber der Spiele werden soll oder nicht. Wegen dieses Viertelfinals verzichtet Stöckli gar auf den traditionellen 100-Kilometer-Lauf in seiner Stadt Biel am Tag vorher. «Trainiert dafür habe ich aber trotzdem, das schadet ja nicht.»

 

Das PR-Material ist parat
Bei einem Nein im Wallis wären Stöckli und das Bewerbungskomitee gescheitert, die Heim-Spiele wären vom Tisch. Aber ­darüber mag der Enthusiast nicht sprechen. Viel lieber zeigt er auf die drei Mappen vor sich auf dem Tisch. Dort drin ist viel Papier. Man könnte sagen: PR-Munition. «Sagt das Wallis ja, gehts los. Ich würde die letzte Woche der Sommersession für viele Gespräche nutzen.» Dies mit dem Ziel, möglichst viele Parlamentarier in die Ja-Spur zu bringen. Im Ständerat ist die Abstimmung über den ­1-Milliarden-Kredit des Bundes für Sion 2026 in der Herbstsession vorgesehen. Danach müsste noch der Nationalrat ­seinen Segen geben.
 

Final gegen Schweden?
Eigentlich hätte Stöckli unter der Bundeshauskuppel gerne schon zu Beginn der laufenden Session die Olympiakampagne beworben, die Lobbymaschine angeworfen. Doch es hilft alles nichts: Die Walliser geben im Moment den Takt vor. Deshalb muss sich Stöckli mit Vorbereitungen ­begnügen. Bei einer Walliser ­Zustimmung tagt nächste Woche die Finanzkommission des Ständerats und verabschiedet ihren Mitbericht zum Bundeskredit für Sion 2026. Und es gilt einen Infoanlass zu organisieren für sämtliche Mitglieder des National- und Ständerats. Auch dieser würde nächste Woche stattfinden. Wichtig auch: Die ständerätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) entscheidet noch vor den Sommerferien über ihre Haltung zum Bundeskredit. «Die WBK-Mitglieder wollen wir in geeigneter Form ­informieren», sagt Stöckli.

Plötzlich schaut der Berner Ständerat auf den Bildschirm, springt erschrocken auf und sagt: «Ui, ich muss kurz abstimmen gehen.» Er rennt in den Ständeratssaal und ist kurz darauf zurück. «Es hat gerade noch gereicht.» Sollten Stöckli und seine Mitstreiter auch den Halbfinal im Parlament gewinnen, wäre das IOC am Zug. Zuerst müsste das Internationale Olympische Komitee im Oktober entscheiden, ob Sion überhaupt zur Kandidatur eingeladen wird. Laut Stöckli eine Formsache. Erst im September des nächsten Jahres wäre dann der Final anberaumt. Wohl gegen einen anderen europäischen Austragungsort. Vielleicht wäre es einer aus Italien. Nach der schmerzhaften Niederlage der Kandidatur Sion 2006 gegen Turin würde man den Schweizern diesmal lieber einen anderen Gegner wünschen. Stöckli tippt auf Schweden mit der Hauptstadt Stockholm.
 

Viele Anfeindungen
Bei aller Begeisterung, die er für Olympia aufzubringen fähig ist, einmal wird Stöckli im Gespräch doch nachdenklich: Dann nämlich, wenn es um die Anfeindungen geht, die er als Bewerber der Spiele erlebt. «‹Dumm und dämlich› ist nicht das Übelste, was im kritischen Teil der E-Mails, SMS und Briefe steht, die ich erhalte.» Vielfach seien die Mitteilungen anonym. «Ich habe Mühe, mich an diesen Stil zu gewöhnen, und verstehe es nicht.»

Doch es gelingt rasch, die Sorgenfalten aus Stöcklis Gesicht zu vertreiben. Man muss mit ihm nur über die Tissot Arena in Biel reden. «Ich bin einer der Väter», sagt er. Dort will er sich für diesen Artikel fotografieren lassen. «Die Arena ist Teil meines Vermächtnisses als Stadtpräsident von Biel.» Und das Stadion wäre Austragungsort des olympischen Frauen-Eishockeyturniers. «Das wäre doch eine schöne Geschichte», sagt Stöckli. Die Hände sind wieder in Bewegung. Philippe Müller

 

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Ein Fahrplan von bernischer Langsamkeit

Abstimmung Der Kanton Bern lässt sich Zeit mit seinem Olympiadossier. Das Berner Volk stimmt erst über seine Teilnahme an Sion 2026 ab, wenn die Kandidatur entweder aufgegleist oder gescheitert ist.

Der Kanton Bern ist bloss ein Nebenschauplatz in Sions Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2026. Bern und Biel würden die Eishockeyturniere von Männern und Frauen beherbergen. In Kandersteg sind die nordische Kombination und das Skispringen auf der Normalschanze geplant.  Die wichtigsten Wettbewerbe aber finden im Wallis statt.

Die grösste Hürde für die Olympiakandidatur ist die dortige kantonale Abstimmung vom kommenden Sonntag, 10. Juni.  Dann entscheiden die Walliserinnen und Walliser über einen Kredit von 100 Millionen Franken. Er ist unterteilt in 60 Millionen für die Subventionierung von Infrastrukturbauten und 40 Millionen für Sicherheitskosten.

 

Puls fühlen in Kandersteg
Dennoch spielt der Berner Schauplatz für die Zukunft der Olympiakandidatur eine nicht unwesentliche Rolle. Morgen Freitagabend spricht an der Gemeindeversammlung von Kandersteg erstmals das Volk zur Olympiakandidatur. Das Votum ist ein Stimmungsmesser. Auch wenn es «nur» um einen 1,2-Millionen-Franken-Kredit für Anlagen in der Gemeinde geht: für den Bau eines neuen Sprungrichterturms sowie die Verbreiterung von Zufahrtsstrassen. Sagen die Kanderstegerinnen und Kandersteger nein, finden das Skispringen und die nordische Kombination wohl in Engelberg statt.

Die Stimmung im Kanton Bern beeinflusst das Olympiaprojekt auch deshalb, weil das Gemunkel über angeblich erhöhte Berner Sicherheitskosten für Unruhe gesorgt hat. Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann (SP) ­hatte gegenüber dem «Regionaljournal» von Radio SRF höhere Sicherheitskosten angetönt. Im Walliser Kantonsparlament löste das prompt eine olympiakritische Anfrage zu den Walliser Sicherheitskosten aus.


Indiskretion hilft Gegnern
Mitte Mai schrieb dann die  «Sonntagszeitung», die Berner Sicherheitskosten seien zwei- bis dreimal höher als bisher angenommen. Überdies berichtete das Blatt, Ständerat Hans Stöckli (SP) habe an einer vertraulichen Sitzung mit der Berner Kantonsregierung gefordert, diese Kostensteigerung zu vertuschen. Stöckli dementierte heftig. Und der Berner Regierungsrat erhob Strafanzeige gegen unbekannt, um die falsche Indiskretion aufzuklären. Das Hin und Her dürfte eher den Olympiagegnern geholfen haben.

Sagen die Walliserinnen und Walliser am Wochenende Nein, wird laut Volkswirtschaftsdirektor Ammann auch der Kanton Bern die Olympiakandidatur «nicht weiterverfolgen». Es fiele dann auch nicht auf, dass das kantonale Bewilligungsverfahren mit typischer Berner Langsamkeit unterwegs ist.  Und dass die Berner keine Risiken eingehen müssen, weil vorher schon andere für sie entschieden haben.

Im Laufe des Juni verabschiedet der Regierungsrat das Berner Olympiadossier. Dann wird es auch einen konkreten Kostenrahmen inklusive Sicherheitskosten für die Berner Olympiawettbewerbe geben. Anschliessend nimmt sich die Finanzkommission der Olympiavorlage an, sodass sie in der Septembersession vom Grossen Rat behandelt werden kann. Das Parlament muss dabei auch entscheiden, ob der Olympiakredit einem obligatorischen oder fakultativen Referendum unterliegt. Das obligatorische ist für den 10. Februar 2019 angesetzt. Zu diesem Zeitpunkt muss die Schweiz die Olympiakandidatur Sion 2026 schon offiziell eingereicht haben.

 

Berner als Spielverderber?
Sollte es ein fakultatives Referendum und eine Unterschriftensammlung geben, müssten sich die Berner schon fast beeilen, weil nämlich das Olympische Komitee im September 2019 definitiv den Austragungsort der Winterspiele 2026 kürt.

Wenn die Sion-Kandidatur bis Ende Januar 2019 alle Hürden nimmt, könnten die Berner mit einem allfälligen Nein am 10. Februar gar als Spielverderber dastehen und die ganze Kandidatur beeinträchtigen. «Was bei einem Berner Nein genau passiert, können wir nicht sagen, das Organisationskomitee müsste das dann analysieren», räumt Regierungssprecher Christian Kräuchi ein.

Jedenfalls hätte das Versteckspiel der Berner ein Ende, sie müssten Farbe bekennen. Das tun im Kanton Bern nur Olympiafreunde wie Alt-Bundesrat Adolf Ogi und Ständerat Hans Stöckli. Der Berner Regierungsrat aber äussert sich zurückhaltend zu Sion 2026.

Auf die Anfrage dieser Zeitung, wie der federführende Volkswirtschaftsdirektor Ammann persönlich zur Kandidatur stehe, wird man auf die offizielle Erklärung des Gesamtregierungsrats verwiesen. Dieser befürwortet zwar eine Kandidatur, formuliert für seine Zustimmung aber mehrere Bedingungen. Begeisterung tönt anders. Offene Kritik auch. Stefan von Bergen

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