Sie sind hier

Abo

Biel

Der Bielersee wird zur Heizung

Nach dem Rückzug von Nidau stemmt der Energie Service Biel die Seewassernutzung alleine. 2022 muss der erste Grosskunde mit Wärme und Kälte versorgt werden – ein sportlicher Zeitplan.

Unter dem Barkenhafen hindurch wird das Seewasser durch eine Leitung zum Pumpwerk in Nidau fliessen. Nico Kobel

von Carmen Stalder

Mit Wasser aus dem Bielersee soll künftig ein grosses Gebiet südlich des Bieler Bahnhofs geheizt und gekühlt werden. Zuerst werden der Campus der Berner Fachhochschule und der Swiss Innovation Park an das Fernwärmenetz angeschlossen. Potentielle Kunden wären die Residenz au Lac, das Centre Bahnhof und die Bildung Formation Biel (BFB). Schliesslich sollen dereinst auch Nidauer Privathaushalte sowie voraussichtlich Agglolac mit der Hilfe von Seewasser mit Wärme und Kälte versorgt werden. Das Grossprojekt wird seit 2015 vorangetrieben. Letztes Jahr kam es allerdings ins Stocken.

Das geplante Fernwärmenetz dürfte der Öffentlichkeit denn auch vor allem im Zusammenhang mit den politischen Wirren in Nidau in Erinnerung sein. Die Gemeinde hat 2017 beim Kanton Bern ein Konzessionsgesuch für die Nutzung des Seewassers eingereicht. Ursprünglich wollten Nidau und der Energie Service Biel (ESB) das Projekt gemeinsam stemmen, später entschied sich Nidau für den Alleingang. Im Herbst 2018 verkündete der Gemeinderat dann plötzlich, dass man die Konzession nun doch nicht selbst erlangen wolle – stattdessen solle dies der ESB übernehmen. Bei den Stadträten sorgten diese Kurswechsel für Irritation.


Rentabilität dank Schlüsselkunden

Während mehrerer Monate führten undurchsichtige Kommunikation und gegenseitige Vorwürfe zu einer schlechten Stimmung unter den Nidauer Politikern. Das Hin und Her fand schliesslich im März dieses Jahres sein Ende: Der Stadtrat willigte zähneknirschend ein, die Konzession an den ESB zu übergeben (das BT berichtete). Dieser übernahm daraufhin umgehend die Rolle als neuer Antragssteller. Bis Ende Jahr sollte die Konzession gemäss Martin Kamber, Leiter Marketing und Vertrieb, vorliegen.

Sowieso schaut man beim ESB mittlerweile lieber nach vorne statt nach hinten. Der Energieversorger treibt das Fernwärmenetz mit aller Kraft voran – denn die Zeit drängt. Der Campus der Berner Fachhochschule und der Swiss Innovation Park sind für den ESB die beiden wichtigsten Schlüsselkunden. Heisst: Nur mit den beiden Neubauten kann eine Rentabilität des Projekts erreicht werden.

Der Campus wird im September 2022 in Betrieb genommen, der Innovationspark sogar schon Ende 2020. Bei diesem ist die Zeit mittlerweile zu knapp geworden. Bis zur Inbetriebnahme des Seewassernutzungsprojekts wird er mit einer provisorischen Zwischenlösung versorgt (siehe Zweittext). Beim Campus dagegen sollte der Zeitplan gerade so aufgehen – das hat sich der ESB zumindest zum Ziel gesetzt. «Es ist sportlich, aber machbar», sagt Projektleiterin Katrin Fischer. Einen detaillierten Zeitplan gibt es derzeit nicht, noch ist der ESB dabei, die Planung zu verfeinern.


Baurechtsvertrag fehlt noch

In der Schweiz verfügen private Häuser meist nur über Heizungen und nicht über Klimaanlagen. Eine Seewassernutzung von dieser Dimension nur für Privathaushalte umzusetzen, wäre für den ESB entsprechend kaum rentabel gewesen. Geheizt wird schliesslich nur im Winter, im Sommer würde die Infrastruktur lediglich für das Warmwasser genutzt. Da der Campus und der Innovationspark jedoch auch gekühlt werden müssen, unter anderem wegen der Labors und Rechenzentren, wird das Seewasser auch im Sommer benötigt – was die Sache für den ESB interessant macht. «Die Ausgangslage mit diesen beiden Neubauten ist prädestiniert für unser Projekt», sagt Martin Kamber. Wenn dieser Moment verpasst würde, käme die Seewassernutzung gar nicht erst zustande.

Für die neue Energieversorgung musste der ESB zuerst nach einer geeigneten Wasserentnahmestelle suchen. Im Sommer darf das Wasser am ausgewählten Ort nicht wärmer als 15 Grad sein, sonst kann es nicht mehr zum Kühlen benutzt werden. Im Winter dagegen darf die Temperatur nicht unter 4 Grad fallen. Fündig wurde der ESB auf der Höhe des Seewasserwerks in Ipsach, in 30 Metern Tiefe. Von der dortigen Wasserfassung wird eine Leitung gebaut: Ein knapp ein Kilometer langes Rohr, das zuerst auf dem Seegrund und dann unter dem Barkenhafen hindurch zum Pumpwerk in Nidau führt.

Das unterirdische Pumpwerk soll vor dem ehemaligen Fabrikgebäude der Alpha AG gebaut werden. Es entsteht im Baurecht, der dafür nötige Vertrag zwischen Nidau und dem ESB wird demnächst erarbeitet. «Das sollte bis Ende Jahr in trockenen Tüchern sein», sagt Fischer. Dass man diesbezüglich rasch vorankomme, sei wichtig für die Planungssicherheit des ganzen Projekts.


Seewasser als Energiequelle

Im Alpha-Gebäude selbst entsteht schliesslich die Energiezentrale, das eigentliche Herzstück des Projektes. Hier wird dem Seewasser mittels Wärmepumpen Energie entzogen. Diese Energie wird dann auf die zum Heizen nötige Temperatur gebracht. Über ein separates Wärmenetz, in dem heisses Wasser zirkuliert, werden die Kunden mit Wärme versorgt, um ihre Gebäude zu heizen und den Warmwasserbedarf zu decken. Auch das Kältenetz zum Kühlen von Gebäuden erstreckt sich von der Energiezentrale zu den Kunden. Die Wärmepumpen selber werden mit elektrischem Strom angetrieben. Gemäss Kamber können aus einer Einheit Strom rund vier Einheiten Wärme erzeugt werden.

Das Bauen der beiden Wärme- und Kältenetze wird wohl eine der grössten Herausforderungen des Projekts. Für die Erschliessung von Campus und Innovationspark beispielsweise muss die Leitung unter der dichtbefahrenen Aarbergstrasse hindurch verlegt werden. Beim Stedtli wird es nicht einfacher: «Bis ganz Nidau erschlossen ist, wird es Jahre brauchen», sagt Kamber. Schliesslich müssen hier viele Strassen aufgegraben werden. Im Gegensatz zu den beiden Neubauten bestehe hier allerdings weniger Zeitdruck.


Zwei laufende Grossprojekte

Die Wärmeleistung wird zirka elf Megawatt umfassen, das ist ungefähr so viel Energie, wie 1000 Einfamilienhäuser zum Heizen benötigen. In das Projekt Seewassernutzung investiert der ESB knapp 30 Millionen Franken. Damit ist es für das Unternehmen neben dem Neubau des Seewasserwerks in Ipsach, der rund 50 Millionen Franken kostet (das BT berichtete), der Schwerpunkt in der Investitionsplanung der nächsten Jahre.

Das Projekt sei für den ESB ein wichtiger Pfeiler in der Strategie, für Biel und auch Nidau erneuerbare Wärme zu erzeugen, sagt Kamber. Mit Nidau sei man sich übrigens mittlerweile einig geworden: «Die Zusammenarbeit hat sich seit dem Entscheid des Gemeinderates, die Konzession an uns zu übergeben, verbessert», sagt Kamber. Er ist nun optimistisch, dass das Projekt wie geplant zustande kommt – gemäss seiner Aussage ein «Generationenprojekt», das auch noch in 50 Jahren genutzt wird.

* * * * *

Innovationspark erhält provisorische Lösung

Der Swiss Innovation Park geht Ende 2020 in Betrieb und hätte eigentlich direkt an das Fernwärmenetz des Energie Service Biel (ESB) angeschlossen werden sollen. Das Projekt wird jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht einsatzbereit sein. Eine Zwischenlösung muss also her: Für das Heizen wird ein Gaskessel installiert, der auch später dortbleibt – um etwa an das Projekt angeschlossene Altbauten zu heizen, die eine höhere Temperatur benötigen. Für das Kühlen kommt ein mobiler Rückkühler auf das Dach, der später wieder abgebaut wird.

Der Innovationspark hat eine vertragliche Vereinbarung mit dem ESB abgeschlossen, welche die Energieversorgung regelt. Es liegt also in der Verantwortung des ESB, dass der Neubau am geplanten Termin in Betrieb gehen kann – und er muss auch die Kosten für die Zwischenlösung tragen. «Der Start war schwierig, aber jetzt haben wir eine sehr gute Lösung», sagt Thomas Gfeller, Verwaltungsratspräsident des Swiss Innovation Park. Einziger Wermutstropfen: Dadurch, dass mehrere Energieversorgungsszenarien geplant werden mussten, wurde das Projekt für den Innovationspark teurer.

Auch beim Campus der Berner Fachhochschule, bei dem noch diesen Sommer die Aushub- und Pfählungsarbeiten beginnen, hat der Verlauf des Projekts Seewassernutzung zuletzt für Unsicherheit gesorgt. Bei Einreichung des Baugesuchs wurde zur Sicherheit gar eine autonome Energielösung mit Holz beantragt. Nun gibt man sich jedoch vorsichtig optimistisch: «Falls das geplante Fernwärmenetz mit Seewasser wie erwartet realisiert werden kann, wird die Energieversorgung des Campus angepasst. Die entsprechenden Vereinbarungen sind bereits in Arbeit», schreibt Gerhard Ammann von der Medienstelle der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern.

Gemeinsam mit dem ESB verfolge man mit grossem Einsatz das Ziel einer nachhaltigen Energielösung. «Wir sind zuversichtlich, dieses Ziel mit dem Seewasserprojekt gemeinsam erreichen zu können», so Ammann.

Nachrichten zu Biel »