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Meinung

Der etwas andere Eurovision Song Contest

Stellen Sie sich vor, der Eurovision Song Contest wäre cool. Zum Beispiel mit Rappern anstatt Luca Hänni. Es gibt keinen Gewinner und, anstatt dass jedes Land jemanden schickt, kommen aus jedem Kanton die Besten.

Bild: zvg

von Luca Brawand alias Landro

Darf ich vorstellen? Die «Bounce Cypher». Sie findet einmal pro Jahr auf SRF Virus statt, und über 80 Rapperinnen und Rapper aus allen Landesteilen bringen exklusive Texte mit. Während andere Teenies früher versuchten, alle «Herr der Ringe»-Teile am Stück zu sehen, ohne einzuschlafen, haben wir uns jeden Januar mit Drinks und Snacks eingedeckt und sieben Stunden lang Live-Rap geschaut.

Heute stehe ich als Musiker auf der anderen Seite und muss selbst abliefern. Vor einigen Wochen war das wieder der Fall. Was viele nicht realisieren, ist, wie gross die Nervosität bei den Künstlern ist. Die Cypher hat wirklich einen hohen Stellenwert in der Szene: Wenn du gut bist, wissen es alle, wenn du schlecht bist, wissen es auch alle. Der Bieler Nemo beispielsweise hat durch die Cypher 2016 seinen grossen Durchbruch geschafft. Aber was bedeutet «Cypher» überhaupt?

Übersetzt heisst es so viel wie «Chiffre» oder «Code». Es handelt sich dabei um eine sehr ursprüngliche Form des Raps und meint, dass einer nach dem anderen rappt und zeigt, dass man der oder die Beste ist. Um das umzusetzen, gibt es eine riesige Palette an Möglichkeiten: lustig, ernst, schnell, melodiös, politisch, clever und so weiter. So entsteht ein grossartiger Event, den es so in keinem anderen Genre gibt. Was passiert aber, wenn aus dem Szene-Event ein Mainstream-Event wird?

Die «Sonntagszeitung» titelte Folgendes: «SRF erklärt Frauenfeindlichkeit zur Kunst». Weil einzelne Personen fragwürdige Begriffe benutzten, erklärte die Journalistin «die Rapper» und «die Rapszene» zu Sexisten. Dass nur ein Bruchteil der über 80 Künstlerinnen und Künstler an diesem Abend solche Wörter verwendete wird mit keinem Wort erwähnt. Dass Lo & Leduc Mundart-Wortkunst auf höchstem Niveau abliefern? Kein Thema. Dass junge Künstlerinnen wie Naomi Lareine oder KT Gorique abliefern? Scheinbar egal. Dass Rapperinnen und Rapper politisch progressive Statements machen? Whatever.

Im «Tagesanzeiger» erschien ein ähnlich undifferenzierter Artikel. Anschliessend trafen wir uns mit dem Journalisten für eine Diskussion, die zu einem weiteren Artikel führte. Die Begründung und Entschuldigung, wieso der erste Artikel so verallgemeinernd war? «In der Redaktion hiess es, die Cypher finde statt und man brauche noch schnell einen Artikel zum Thema Frauenfeindlichkeit.» Man könnte sich den Event natürlich auch zuerst anschauen, die Notiz steht fürs nächste Jahr aber wahrscheinlich bereits wieder im Kalender der Redaktion. Eine Frau wurde zur Diskussion übrigens erst nach meinem Einwand eingeladen.

Es ist ganz klar, dass es problematisch wird, sobald jemand wirklich ein diskriminierendes Weltbild hat und dieses in seiner Musik verbreiten will. Diese Themen sollte man im Jahr 2020 auch diskutieren und bekämpfen. Wenn aber irgendwelche Journalisten oder Journalistinnen fünf Minuten in den siebenstündigen Cypher reinschauen und denken, sie haben Rap verstanden, ist das einfach falsch und schade für die Kultur.

Es ist nicht zielführend, eine Musikrichtung allein für ein gesellschaftliches Problem verantwortlich zu machen. Sonst dürfte man sich gerne einmal die sexistischen Phrasen im Schlager, Ballermann und Pop anhören. Zum Glück darf aber jede Person hören, was sie will. Sei das nun eine Minute lang Wortspiele zum Thema «Strom» von Leduc oder ein Song von Luca Hänni, der mir am ESC die Worte «Dirty Dancing» ins Ohr säuselt.

Ich werde nächstes Jahr auf jeden Fall wieder an der Cypher rappen oder zumindest einschalten, falls ich nicht dort bin. Bis dahin hier meine Lieblingsparts der Cypher 20 (alle Videos sind auf YouTube). Viel Spass!

• Lo & Leduc    
• Tommy Vercetti
• Mimiks    
• Luuk

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